Radtour auf den Spuren eines umstrittenen Nationalhelden

Von Martin Sander |
Eine Radtour zu Ehren des ukrainischen Nationalhelden Stepan Bandera mit Grenzübertritt nach Polen lässt einen historischen Streit zwischen Polen und der Ukraine wieder aufleben.
"Man hätte hier mit Mitteln der Überzeugungskunst gegenüber den Ukrainern arbeiten sollen und nicht mit administrativen Entscheidungen."

Mit diesen Worten kommentiert der polnische Publizist und Osteuropa-Experte Jerzy Pomianowski den jüngsten Eklat in den polnisch-ukrainischen Beziehungen. Ausgelöst wurde dieser Eklat durch ein von Warschau verhängtes Einreiseverbot für eine Gruppe von ukrainischen Touristen.

Die Idee wirkte auf den ersten Blick überaus harmlos, sommerlich, grenzüberschreitend und sogar – völkerverbindend. Eine ukrainische Stiftung, die sich mit dem etwas skurrilen Namen "Öko-Barmherzigkeit" schmückt, hatte Jugendliche zu einer Fahrradtour durch Europa geladen. Vom westukrainischen Tscherwonograd bei Lemberg sollte es über Krakau und Auschwitz nach München gehen. Doch als die ersten vier Radler am Freitag vergangener Woche die Grenze im südostpolnischen Medyka überschreiten wollten, wurden sie von empörten polnischen Demonstranten empfangen. Die polnischen Behörden verweigerten die Einreise trotz gültiger Visa und begründeten: Die ukrainische Fahrradtour sei keine ökologische Freizeitveranstaltung, sondern eine politische Provokation. In der Tat wurde die Fahrt zu Ehren eines Politikers organisiert, dessen historische Rolle als höchst fragwürdig eingeschätzt werden muss: Stepan Bandera.

Bandera kam 1909 in Ostgalizien zur Welt, einer Region, die mit ihrer Metropole Lemberg damals an der östlichen Peripherie der Habsburger Monarchie lag. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kam das Land zum damals wieder gegründeten polnischen Staat. Doch dieser Staat war im multiethnischen Galizien nicht bei allen beliebt. Bandera organisierte in den 30er-Jahren den Widerstand der ukrainischen Bevölkerungsgruppe gegen die polnische Obrigkeit – mit Waffengewalt. Für die Beteiligung an einem Attentat auf den polnischen Innenminister 1934 kam er lebenslänglich in Haft. Aus der Gefangenschaft befreite ihn 1939 die deutsche Wehrmacht. Danach kollaborierte Banderas Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) mit Hitler, besonders nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941.

Banderas OUN und die dazugehörige Ukrainische Aufstandsarmee zeichneten dabei für die Ermordung zehntausender Polen, Juden und vieler sowjetischer Kommunisten in Lemberg und Umgebung verantwortlich. Bald gerieten Bandera und seine Leute aber auch mit den Nazis in Konflikt. Denn die ukrainischen Nationalisten riefen ohne deutsche Zustimmung einen eigenen Staat ins Leben. Dafür kam Bandera ins KZ Sachsenhausen, in Schutzhaft. 1944 wurde er aus dem Lager entlassen und blieb nach dem Krieg im Exil in München, wo ihn 1959 ein KGB-Agent aufspürte und mit Blausäure tötete.

Den meisten Polen galt und gilt Stepan Bandera als Kriegsverbrecher. In der westlichen Ukraine, dem einstigen Galizien, stieg er nach der Loslösung von der Sowjetunion zum Nationalhelden auf. Kaum eine Stadt, die sich nicht ein Bandera-Denkmal leistet.

Bandera dient heute als historisches Vorbild in einer Gesellschaft, die sich als Demokratie versteht und spätestens seit der orangenen Revolution nach Europa tendiert. Dieser Umstand empört viele Polen. Die "Tour de Bandera" müsse gestoppt werden, hieß es auf polnischen Transparenten. Und: Wer den Faschisten Bandera unterstütze, sei selbst ein Faschist. Besonders heftig reagierten einige nationalkonservative Medien sowie Interessensvertreter der ehemaligen polnischen Ostgebiete, darunter auch katholische Priester. Indes mahnen etliche polnische Beobachter zur Mäßigung, so der Publizist und Ukrainespezialist Jerzy Pomianowski:

"Wir sollten keine Wettrennen mit Leichen veranstalten. Das aber ist die Lieblingsbeschäftigung vieler Interessenvertreter der polnischen Ostgebiete, besonders auch von Geistlichen."

Viele ukrainische Politiker und Publizisten können oder wollen die polnischen Proteste, vor allem aber das Einreiseverbot, nicht verstehen. Im Gegenzug könne man dann polnischen Touristen verbieten, die Gräber polnischer Soldaten auf dem Lyczakowski-Friedhof im heute westukrainischen Lemberg zu besuchen, heißt es. Die polnischen Soldaten, die auf dem Lyczakowski-Friedhof bestattet sind, hatten nach dem Ersten Weltkrieg die damals aufgestellte ukrainische Armee niedergerungen – und mit Gewalt die polnische Herrschaft über Galizien etabliert.

Die Folgen der geplatzten Fahrradtour haben viele überrascht. Denn in den vergangenen Jahren wurden die tiefen historischen Gegensätze zwischen Polen und der Ukraine mehr oder minder unter der neuen Oberfläche der politisch-strategischen Partnerschaft vergraben. In Polen begeisterte man sich für die orangene Revolution. In der Ukraine war man davon überzeugt, dass Polen dem Land den Weg nach Europa ebnen könne. Einen gemeinsamen Angstgegner fand man in Putins Russland. Nun aber ist der alte ukrainisch-polnische Streit wieder aufgebrochen und wird mit wird von Tag zu Tag heftiger. Die neueste Forderung polnischer nationalkonservativer Politiker: Wenn es zu einer weiteren derartigen "ukrainischen Provokation" komme, müsse man Lemberg von der Liste der Austragungsorte der Fußballeuropameisterschaft 2012 streichen.