Radikalkur fürs Schulsystem

Um mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen, hat sich der "Aktionsrat Bildung" für einen radikalen Umbau des Schul- und Vorschulsystems ausgesprochen. Flächendeckend müssten Ganztagsschulen etabliert, Qualitätskontrollen gewährleistet und ein rechtlicher Anspruch auf Kinderbetreuung eingeführt werden, heißt es in einem am Donnerstag in München vorgestellten Gutachten. Die bisherigen Reformen reichten nicht aus, kritisierten die Experten.
Der Vorsitzende des Aktionsrats und Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, hob im Deutschlandradio Kultur hervor, es mangele weder an Ideen noch an politischem Willen, die erforderlichen Reformen anzugehen. Wörtlich sagte Lenzen: "Es fehlt die Tatkraft, es dann auch wirklich zu tun. Das Thema Bildungsgerechtigkeit ist das Megathema unserer notwendigen Bildungsreform, weil sie im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt einfach nachhängt."

Lenzen kritisierte, viele der getroffenen Entscheidungen würden im "Sand der Verwaltungen und des Detailkriegs vor Ort" versickern. Daher müssten die Bildungsverwaltungen aus den Detailsteuerungen herausgehalten werden. Es müsse mehr Verantwortung nach unten, in die einzelnen Schulen hinein abgegeben werden. So könnten Schulleitung, Lehrerinnen und Lehrer selbst den Weg zu den – allerdings vorgegebenen - Zielen gestalten, sagte Lenzen.

Als eine zentrale Ursache für die Bildungsungerechtigkeit nannte Lenzen die Übergänge im Bildungssystem. Beim Übergang von der Grundschule in das weiterführende System und beim Übergang von der Sekundarstufe II in den Hochschulbereich befänden sich Filter, die nicht richtig funktionierten. Hier seien manche Gutachten schlichtweg falsch.

Zugleich forderte der Präsident der Freien Universität Berlin mehr Autonomie im Bildungsbereich. Der Staat müsse zwar die Ziele vorgeben, könne die Trägerschaft von Bildungseinrichtungen aber auch anderen Einrichtungen und Verbänden überlassen. Als mögliche Träger nannte er die Kirchen, die Caritas oder das Deutsche Rot Kreuz.

Der "Aktionsrat Bildung" plädiert außerdem für ein zweigliedriges Schulsystem. Es dürfe nicht zugelassen werden, so Lenzen, dass rund zehn Prozent eines Jahrganges als "Bildungsrest" ohne Chancen in einer gesonderten Schule unterrichtet werde. Was die Ganztagsschule angehe, müsse man zur Kenntnis nehmen, dass wir "in einer neuen Welt leben". Dass die Mutter mittags zu Hause auf die Kinder warte, gehöre der Vergangenheit an.

Die Forderung nach einem Recht auf einen Krippenplatz begründete der Universitäts-Präsident damit, dass in der Vergangenheit zahlreiche Paare auf Kinder verzichtet hätten, weil kein entsprechendes Angebot zur Kinderbetreuung bestanden habe. Wir könnten uns einen Geburtenrückgang in bildungsnahen Schichten um fast 50 Prozent nicht leisten, betonte Lenzen. "Wir müssen eine faire Chance auch für diese Familien haben, die Leistungsträger dieser Gesellschaft sind."

Das gesamte Gespräch mit Dieter Lenzen können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.