Radikale Reduktion eines Liebesdramas
Arthur Schnitzler war nicht nur Dramatiker, sondern auch Arzt - das schärfte womöglich seinen Blick auf eine kranke Gesellschaft am Fin de Siecle. Michael Thalheimer hat Schnitzlers Klassiker, den "Reigen", als sein zweites Stück auf die Bühne des Hamburger Thalia-Theaters gebracht. Nach eigener Aussage war es eines der für ihn am schwersten zu inszenierenden Stücke.
Die zehn Paare haben keine Zeit! Gerade acht Minuten bleiben ihnen für den Geschlechtsverkehr - einschließlich des Davor und eines kurzen Danach. Es gibt kaum ein Stück der Weltliteratur, bei dem so viel auf die Uhr gesehen werden muss, wie Arthur Schnitzlers "Der Reigen". Alle sind nervös, aggressiv, gereizt, und wollen immer schnell weg. Arthur Schnitzlers zehn Dialoge vor und nach einem Geschlechtsakt sind nur zum Schein Dialoge, in Wirklichkeit sind es frontale Monologe der Angst, bei denen immer auch die Konkurrenten, die Nebenbuhler, die Vorgänger und potentielle spätere Liebhaber präsent und der Tratsch der Öffentlichkeit präsent sind.
Diese Versuchsanordnung Arthur Schnitzlers aus dem Jahre 1900 müsste dem Regisseur Michael Thalheimer liegen, der auch in seinen Inszenierungen die Essenz eines Stückes bloßlegt und frontal zum Publikum an die Rampe setzt dort diesen Kern in den körperlichen nervösen Zuckungen der Darsteller ausstellt. Aber vielleicht ist es gerade das! Schnitzlers Stück ist bereits radikale Reduktion eines konventionellen Liebesdramas. Bei einer Reduktion dieser Reduktion geht nun in Thalheimers Inszenierung jede Anteilnahme an Schnitzlers Paaren verloren, Thalheimer denunziert sie als lächerliche, selbstverliebte, aggressive, hysterische zur Liebe unfähige Personen. Bestenfalls, wenn der Partner schon auf und davon ist, gestattet Thalheimer einigen von ihnen, lautlos den Mund zu bewegen, wie wenn sie sich doch - vergeblich - erklären möchten. Sie haben aber keine Zeit.
Dabei leuchtet das Konzept teilweise durchaus auch ein. Thalheimer verzichtet auf allen Charme einer untergehenden Gesellschaft mit ihren feschen Kadetten, süßen "Madln", in Affären verstrickten Schauspielerinnen. Einzig der senile Graf (Norman Hacker) versucht sich im Wienerischen Slang, aber nicht aristokratisch a la Graf Bobby, sondern als vulgärer Wiener Zuhältertyp. Auch ist - ebenfalls einleuchtend - der Vollzug des Geschlechtsakts bei den Acht-Minuten-Treffen von Thalheimer äußerst realistisch choreographiert; die Slips lassen die Schauspieler freilich angezogen. Bei der Uraufführung 1921 in Berlin fiel immer der Vorhang, wie wenn Schnitzlers "Reigen" nur die Konversation davor und danach zum Thema hätte. Bei Thalheimer hingegen entwickeln sich die Geschlechtsakte folgerichtig aus gereizter Nervosität, aus Aggression, ohne dass Sex diese Gefühle lösen könnte.
Und doch! Arthur Schnitzler - und parallel Sigmund Freud - hatten ihre Figuren und Patienten und ihre Sexualität niemals verurteilt, wie es Thalheimer tut. Henrik Ibsen mag seine Gesellschaft boshaft gesehen haben, doch Schnitzlers Figuren faszinieren, wie sie lügen und lustvoll - sicherlich weniger für den Partner - aber für sich werben, wie sie Theater spielen. Auch macht sich die Inszenierung in ihrem modernen Outfit wenig Gedanken darüber, was an der Konversation und der Rhetorik der Ehemänner und Dichterlinge von 1900 um 2009 noch aktuell sein könnte. Alles spielt nahe und frontal zum Publikum, während auf der Bühne (Olaf Altmann) neun überzogene einfache Betten kreisen. Doch man möchte in Hamburg vor allem eines nicht, den hysterischen, aggressiven, verklemmten Figuren dieses Reigens körperlich nahe kommen!
Diese Versuchsanordnung Arthur Schnitzlers aus dem Jahre 1900 müsste dem Regisseur Michael Thalheimer liegen, der auch in seinen Inszenierungen die Essenz eines Stückes bloßlegt und frontal zum Publikum an die Rampe setzt dort diesen Kern in den körperlichen nervösen Zuckungen der Darsteller ausstellt. Aber vielleicht ist es gerade das! Schnitzlers Stück ist bereits radikale Reduktion eines konventionellen Liebesdramas. Bei einer Reduktion dieser Reduktion geht nun in Thalheimers Inszenierung jede Anteilnahme an Schnitzlers Paaren verloren, Thalheimer denunziert sie als lächerliche, selbstverliebte, aggressive, hysterische zur Liebe unfähige Personen. Bestenfalls, wenn der Partner schon auf und davon ist, gestattet Thalheimer einigen von ihnen, lautlos den Mund zu bewegen, wie wenn sie sich doch - vergeblich - erklären möchten. Sie haben aber keine Zeit.
Dabei leuchtet das Konzept teilweise durchaus auch ein. Thalheimer verzichtet auf allen Charme einer untergehenden Gesellschaft mit ihren feschen Kadetten, süßen "Madln", in Affären verstrickten Schauspielerinnen. Einzig der senile Graf (Norman Hacker) versucht sich im Wienerischen Slang, aber nicht aristokratisch a la Graf Bobby, sondern als vulgärer Wiener Zuhältertyp. Auch ist - ebenfalls einleuchtend - der Vollzug des Geschlechtsakts bei den Acht-Minuten-Treffen von Thalheimer äußerst realistisch choreographiert; die Slips lassen die Schauspieler freilich angezogen. Bei der Uraufführung 1921 in Berlin fiel immer der Vorhang, wie wenn Schnitzlers "Reigen" nur die Konversation davor und danach zum Thema hätte. Bei Thalheimer hingegen entwickeln sich die Geschlechtsakte folgerichtig aus gereizter Nervosität, aus Aggression, ohne dass Sex diese Gefühle lösen könnte.
Und doch! Arthur Schnitzler - und parallel Sigmund Freud - hatten ihre Figuren und Patienten und ihre Sexualität niemals verurteilt, wie es Thalheimer tut. Henrik Ibsen mag seine Gesellschaft boshaft gesehen haben, doch Schnitzlers Figuren faszinieren, wie sie lügen und lustvoll - sicherlich weniger für den Partner - aber für sich werben, wie sie Theater spielen. Auch macht sich die Inszenierung in ihrem modernen Outfit wenig Gedanken darüber, was an der Konversation und der Rhetorik der Ehemänner und Dichterlinge von 1900 um 2009 noch aktuell sein könnte. Alles spielt nahe und frontal zum Publikum, während auf der Bühne (Olaf Altmann) neun überzogene einfache Betten kreisen. Doch man möchte in Hamburg vor allem eines nicht, den hysterischen, aggressiven, verklemmten Figuren dieses Reigens körperlich nahe kommen!