Radikal aktiv und moralische Instanz

Von Heike Wipperfürth |
Paula Hyman, die am 15. Dezember im Alter von 65 Jahren starb, war eine der führenden US-Historikerinnen des Judentums und eine Wegbereiterin des jüdischen Feminismus. Sie schrieb preisgekrönte Bücher über die Gleichberechtigung jüdischer Frauen.
My Life as a radical jewish woman, auf deutsch " Mein Leben als radikale jüdische Frau“. So lautet der Titel eines Buches von Paula Hyman, die 25 Jahre lang als Professorin für moderne jüdische Geschichte an der Yale Universität tätig war, bis sie vergangene Woche mit 65 Jahren nach langem Kampf gegen Brustkrebs in New Haven starb. Das Buch (2003 erschienen) ist Hymans englische Übersetzung der Memoiren von Puah Rakovsky, die 1865 in Polen geboren wurde – sie gilt als Paradebeispiel einer emanzipierten Frau, die sich als Aktivistin und hochgebildete Erzieherin betätigte.

Die Beschreibung der aktiven Rolle der Frau in der jüdischen Gemeinschaft, die die Zeilen aller zehn Bücher von Paula Hyman durchzieht, wurde zum Markenzeichen der US-Historikerin, die zeit ihres Lebens Kraft aus den Lehren der Vergangenheit schöpfte – selbst im Umgang mit dem Antisemitismus.

„Der Antisemitismus-Unterricht gibt mir die Gelegenheit zu zeigen, wie politische und kulturelle Vorurteile entstehen. Und warum diese Vorurteile einigen Leuten zu bestimmten Zeiten so wichtig sind.“

Die Bekämpfung von Verlogenheit und falschen Gewissheiten in Wissenschaft, Politik und Religion war so eine Art Lebensmotto für die lebenslange Feministin; gelegentlich mit Erfolg. Wie 1972, als sie Hunderten von Rabbinern des konservativen Judentums beim Treffen in New York eine Kampfschrift überreichte – mit dem Ziel, die Ordination von Frauen als Rabbinerinnen zu erreichen. 13 Jahre später wurde die erste Frau vom konservativen Jewish Theological Seminary in New York zur Rabbinerin ausgebildet – drei Jahre, nachdem Hyman dort eine Stelle als Dekanin erhielt.

In der Zwischenzeit war ihr erstes Standardwerk entstanden: „The Jewish Woman in America“, das sie zusammen mit zwei Kolleginnen schrieb und 1976 veröffentlichte. Die Emanzipation der jüdischen Frau und ihre Pflicht, sich im öffentlichen Leben zu bewähren, setzte sie gegen den Anpassungszwang an die Erwartungen vieler jüdischer Männer. Der Enthusiasmus, den sie damit entfachte, zeigte sich in 700 wissenschaftlichen Folgearbeiten. 1997 hat Paula Nyman diese Publikationen in einem Buch namens Jewish Women in America veröffentlicht.

Gleichzeitig beschäftigte sie sich aber noch mit etwas ganz anderem: der Einführung eines Kurses über den Holocaust, den sie seit 1979 abhielt, zunächst an der Columbia, dann an der Yale Universität:

„Ich unterrichte einen Kurs über den Holocaust, seit ich an der Columbia Universität gesehen habe, dass es so etwas nicht gab. Es gab einen Kurs über die Nazis im Zweiten Weltkrieg, aber bloß eineinhalb der 13 Vorlesungen drehten sich um den Holocaust.“

Kaum einer konnte dieses schwierige Thema besser unterrichten als die älteste Tochter jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. Sie war verheiratet und hatte zwei Töchter und zwei Enkelkinder. Das Judentum und seine Geschichte bildeten ihre geistige Heimat. Nach dem Grundstudium am Radcliffe College und dem Hebrew Teachers College of Boston wechselte sie zur Columbia Universität in New York. In ihrer Dissertation, für die sie 1975 den Doktortitel erhielt, befasste sie sich mit der Dreyfuss-Affäre und dem Antisemitismus unter dem Vichy-System.

Bis heute gilt sie als moralische Instanz. Auch ihre Erkenntnis eines Hangs zur Polarisierung in Amerika ist ernst zu nehmen:

„Es gibt feste Gewissheiten unter den extremen Rechten und den extremen Linken in Amerika. Alles wird polarisiert. Wir werden als Land vielleicht nicht überleben, wenn es so weiter geht.“

Eine schlimme Befürchtung. Aber das war für Paula Hyman kein Anlass zur Verzweiflung. Im Gegenteil. Ihre Liebe zum Judentum und ihr Mut zum Feminismus trieben sie bis zuletzt. Sie arbeitete unter anderem an einem Buch über den Zionismus und befasste sich mit ihrem Lieblingsthema, der Geschichte jüdischer Frauen.

Ein unvollendetes Programm, das an die Hoffnung erinnert, die in den Kampf um Gleichheit der Frauen gesetzt wurde – Paula Hyman hat uns vorgemacht, wie er weitergeführt werden muss. Nicht nur im Judentum, sondern überall.