Rabattmarken bringen Kaufrausch

Christian Elger im Gespräch mit Joachim Scholl |
Wenn ein Rabattzeichen das gekaufte Produkt als besonders günstig ausweist, wird das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert. Wird das Produkt zum gleichen Preis erworben, ohne dass es als besonders preiswert ausgewiesen ist, ist die Freude am Kauf sehr viel geringer. Dies hat Christian Elger, Professor für Epileptologie an der Universität Bonn, herausgefunden. Gibt es also einen "Kaufknopf" im Gehirn?
Joachim Scholl: Behavioral Economics, Neuromarketing. Das sind neuerdings Stichworte für eine Forschungsrichtung, die ganz neue Kundenzonen auslotet, nämlich unser Gehirn. Was geht vor sich, wenn wir kaufen, auf welche Reize reagieren wir, welche Neuronen funken, wenn es etwa ein Schnäppchen zu machen gilt? Solcherlei Dinge erforscht Christian Elger, Professor für Epileptologie an der Universität Bonn. Ich grüße Sie, Herr Elger!

Christian Elger: Ja, guten Tag!

Scholl: Erzählen Sie uns von den Herrensocken, Herr Elger! Sie haben da ein interessantes Experiment vollzogen.

Elger: Wir haben natürlich das Experiment erst dann gemacht, als wir vorher in einem Kernspintomogramm gesehen haben, was tatsächlich passiert, wenn Rabattzeichen auftauchen. Das Experiment ist ganz einfach: Sie gehen in eine x-beliebige Fußgängerzone, bieten drei Paar Socken für 15 Euro an und ein Paar Socken für vier Euro. Und Sie werden feststellen, dass 80 Prozent der Leute, die überhaupt etwas kaufen, drei Paar Socken für 15 Euro kaufen, obwohl es ein ganz einfaches Rechenexempel wäre, rauszubekommen, dass man die drei Paar Socken auch für zwölf Euro bekommen könnte.

Scholl: Das heißt sozusagen, das Rabattschild wirkt dann sofort, wie denn, Hirn verklebend, ich denke dann nicht mehr nach?

Elger: Es wirkt in zweifacher Hinsicht. Wenn man in diesem Kernspintomograf, in dem man quasi die Funktion des Gehirnes tatsächlich messen kann, bei ganz bestimmten Aufgaben betrachtet, während Gegenstände mit Rabattzeichen angeboten werden, dann fällt zunächst auf, dass bei dem Gedanken, einen solchen Gegenstand zu erwerben, das Belohnungssystem des Gehirnes aktiviert wird. Das ist offensichtlich für einen Menschen sehr viel besser, etwas zu erwerben mit einem Rabattzeichen als ohne.

Dieses Belohnungssystem macht es so positiv für uns, dass wir uns kaum dagegen wehren können. Der zweite auffallende Punkt war, dass bei einem Großteil der Leute, die wir untersucht haben, im mittleren Stirnhirn eine Zone weniger aktiviert ist, die bei solchen Entscheidungsprozessen aktiv ist, brauche ich den Gegenstand, brauche ich ihn nicht. Wäre ich bereit, Geld dafür auszugeben oder nicht. Das heißt also, diese Prozesse, diesen Abwägeprozess vor einem Kauf, der wird offensichtlich ganz vermindert, wenn ein Rabattsymbol mit diesem Kauf verbunden wird.

Scholl: Aber ich möchte es noch mal fragen, ich kann es mir noch nicht so richtig vorstellen, wie Sie das sehen. Also Kernspintomograf, das ist die Röhre, die berühmte, in die der Mensch geschoben wird. Wenn ich da jetzt reingeschoben werde, dann kaufe ich ja nichts oder dann bin ich nicht in einer Kaufsituation. Wie können Sie jetzt plötzlich in meinem Gehirn in welcher Zone sehen, dass da also Mitte, hinten, vorne was sich tut?

Elger: Die Menschen, die dort reinkommen, kriegen über eine Videobrille angeboten Gegenstände mit einem Preis und sollen die Entscheidung treffen, ob sie diesen Gegenstand für diesen Preis kaufen würden oder nicht. Da gibt es dann auch Möglichkeiten, diese Probanden zu entlohnen, dass nachher zufällig einer dieser Gegenstände ausgewählt wird oder so ähnlich. Das heißt also, es ist schon so Anreiz da, dass diese Probanden ernsthaft dieses Experiment mitmachen.

Scholl: Und das heißt, in dem Moment, wo also so ein Belohnungsreiz ist, dann sehen Sie das an einer bestimmten Färbung des Gehirns oder es schlägt aus?

Elger: Nein, was wir messen in diesem Kernspintomografen ist die Änderung des Sauerstoffverbrauchs in einer bestimmten Region und die Steigerung der Hirndurchblutung, also eine Mischung aus beidem. Und man weiß auch tierexperimentellen Dingen, dass das einhergeht mit einer vermehrten Aktivität der dort liegenden Nervenzellen.

Und da wir gute Kenntnis des Gehirnes inzwischen haben, wissen wir, wenn in einer ganz bestimmten Region etwas abläuft, was das letztendlich auch bedeutet für die Abläufe im Gehirn. Und es gibt tatsächlich im Gehirn ein Zentrum, was als Belohnungszentrum auch bezeichnet wird.

Wenn Sie beim Tier dort eine Reizelektrode einstechen und das Tier dort elektrisch reizen, fühlt es sich ungemein wohl, und wenn Sie dem Tier beibringen, selbst diesen Reiz auszulösen, dann wird es nichts anderes mehr tun, als sich dort zu reizen.

Scholl: Welche Versuche haben Sie denn noch gemacht, jenseits der Socken?

Elger: Wir machen eine ganze Reihe von Versuchen, das ist nicht nur dieses Sockenexperiment. Es geht zum Beispiel um die Frage der Kaufzufriedenheit. Nehmen wir mal an, Sie haben etwas und Sie haben das erworben für einen Preis, der nach langem Handeln von einer bestimmten Summe abgezogen wird und Sie enden zum Beispiel bei einer Substanz von zehn Euro.

Und wenn Sie das vergleichen mit einem anderen Experiment, wo dieses Handeln nicht möglich ist, aus welchem Grund auch immer, das ist experimentell etwas schwierig zu konstruieren, aber man kann das machen, dann werden Sie feststellen, dass, obwohl der eine für genau denselben Preis zum Beispiel im Internet ein runtergeladenes Lied gekauft hat oder nicht, doch völlig unzufrieden ist, wenn er auf eine Quelle trifft, wo er nicht manipulieren kann, das heißt, den Preis nicht in einer Richtung nach unten variieren kann.

In dem Augenblick, wo die Möglichkeit besteht, es nach unten zu variieren, er fängt von mir aus bei 19 an und endet schließlich bei zehn, hat der Kauf eine extrem hohe Nachkaufzufriedenheit. Auch hier erklärt sich das wieder, wenn man in den Kernspintomografen bei diesen Aufgaben die Hirnaktivität misst, dass man feststellt, dass das Belohnungssystem bei dieser Sache hoch aktiv ist.

Scholl: Konsum im Kopf, Neuromarketing. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Christian Elger von Universität Bonn. Können Sie auch überprüfen in Ihrem Kernspintomografen, wie wir auf Werbung reagieren? Also Werbung, sei es im Fernsehen, auf Plakat, ich denke, das ist ja wahrscheinlich für die Branche hochinteressant, oder?

Elger: Ich weiß nicht, ob es hochinteressant ist, aber ich denke, es ist schon ganz verführerisch, die Dinge zu verstehen. Wir sehen das mehr als Wissenschaftler. Uns interessiert es natürlich, was passiert. Die Firmen sehen das mehr unter dem Gesichtspunkt, dass man vielleicht noch besser manipulieren kann. Aber wir sind eher auf der deskriptiven Seite.

Ich mache mal ein Beispiel: Wir haben untersucht diese sogenannten Begleitaspekte von einem Produkt. Es gibt zum Beispiel das Produkt A, und dieses Produkt A wird immer dargestellt in der Umgebung von einer Karibikwelt mit entsprechender Musik und entsprechendem Wohlbefinden. Und das Produkt B hat eine ganz vernünftige Information. Es handelt sich zum Beispiel um ein Arzneimittel, was die Darmbakterien besonders gut erhält und deshalb die Verdauung gut ist, und es gibt eine richtig vernünftige, fast wissenschaftlich fundierte Information.

Wenn Sie diese Hintergrunddinge miteinander vergleichen, dann stellen Sie fest, dass, wenn das Karibik-Feeling mit einem Produkt verbunden ist, der Mandelkern massiv aktiviert wird. Und das bedeutet im Endeffekt, wenn der Mandelkern massiv aktiviert wird, dass Sie einen Schlüssel haben, das Gedächtnissystem des Gehirnes aufzumachen und dieses Produkt im Gehirn bevorzugt unterzubringen und abzulegen.

Wohingegen, wenn es so eine rationale Begleitung eines Produktes ist, es ganz, ganz schwierig ist, ins Gehirn reinzukommen. Das trifft aber nur für ganz bestimmte Altersgruppen zu. Wenn Sie in höhere Altersgruppen wieder hineingehen, dann spielen diese emotionalen Aspekte nicht mehr so eine Rolle, da tritt dann eher eine vernünftige Argumentation in den Vordergrund und man muss es zum Beispiel verankern mit einem alten, bekannten Produkt oder mit einer altbekannten Zeit.

Scholl: Aber gerade deshalb sind ja die relevanten Zielgruppen immer so von 14 bis 49, weil eben sozusagen der alte Weise, der lässt sich eben nicht so manipulieren. Aber Herr Elger, Sie…

Elger: Nein, nein, das kann man nicht sagen.

Scholl: Das kann man nicht sagen?

Elger: Er lässt sich genauso manipulieren. Nur die Wege, die bisher beschritten werden, Sie können nicht dieses System, was Sie bei einem jungen Menschen, ohne Weiteres auf ein älteres Gehirn übertragen.

Scholl: Aber Herr Elger, Sie haben vorhin gerade auch das Kritische schon angesprochen. Sie sagen, die Werbebranche ist entzückt, Sie sehen das eher als wissenschaftliches Experiment.

Aber ist das nicht eine Wissenschaft, die eigentlich prädestiniert ist, sich zum Büttel der Industrie zu machen? Wenn wir hier irgendwie ein großer Konzern kommt und sagt, hey prima, ich gebe euch eine Million, erforscht mal, ob dieses neue Enthaarungsmittel irgendwie gut kommt. Ich meine, das ist doch verführerisch, oder?

Elger: Na ja, ich meine, wir machen letztendlich nichts anderes, als zum Beispiel auch eine Werbefirma machen würde. Das ist auch eine Frage, wie die Dinge nachher ausgehandelt werden. Wir arbeiten für die Industrie, untersuchen für die Industrie auch Fragestellungen, da gibt es auch sehr interessante Aspekte. Es gibt zum Beispiel eine Werbung mit einem wenig attraktiven Model, die sehr gut angekommen ist, die als hervorragend gilt.

Wenn Sie das im Gehirn untersuchen, vergleichen mit einem aufgestylten Model, dann stellen Sie fest, dass, obwohl die Probanden vorher alle gesagt haben, das natürliche Model ist viel, viel besser, dass das aufgestylte Model in den entscheidenden Regionen des Gehirnes, wo es zur Erinnerungsbildung kommt, Emotion kommt, viel besser wegkommt. Das sind Zusatzinformationen, die wir natürlich für die Industrie auch machen, auch im Auftrag. Wir müssen für unsere Institutionen Geld verdienen, um die Wissenschaft…

Scholl: Das heißt also, die Umfragen sind dann gar nicht mehr so relevant, weil man nämlich sagen könnte, also jetzt mit dem Beispiel Model, ja, man sagt politisch korrekt, natürlich finde ich das Natürliche schöner, aber im Grunde reagiere ich trotzdem sozusagen auf das Top-Model, auf den Hochglanzstil. Herr Elger, wie …

Elger: Sie haben völlig recht. Ich denke, das politisch Korrekte, ich denke, mit der Methode, die wir haben, sind wir eine Ebene tiefer, mehr am Elementarprozess dran und können das politisch Korrekte von der tatsächlichen Seite separieren.

Scholl: Wie gehen Sie eigentlich persönlich einkaufen, Herr Elger, wenn Sie jetzt gerade Weihnachtsshopping machen zum Beispiel, sind Sie als Fachmann immun gegen Ihr neuronales Konsumverhalten, wenn er das Rabattschild liebt?

Elger: Absolut überhaupt nicht. Obwohl ich es weiß, gelingt es mir nicht, diesem immer zu widerstehen. Es gelingt mir vielleicht besser, weil ich mir sage, ich will nicht manipuliert werden. Aber wir informieren ja Leute, ich halte in der Öffentlichkeit darüber, und trotzdem, wenn Sie vor der Tür das Experiment machen würden, würden Sie genau wieder in dieselbe Falle hineinlaufen.

Das ist so verankert, und man kann es ja ableiten. Da gibt es ja Märkte, die eröffnen, die werden gestürmt und da gehen Scheiben zu Bruch, das kann man sich nicht rational vorstellen. Was das Wichtige ist …

Scholl: Man findet es aber auch nicht richtig schön, oder man denkt immer, meine Güte, muss das denn sein, so ein blindes Kaufrauschwutverhalten, oder?

Elger: Das muss natürlich nicht sein. Ich denke auch, wenn man es versteht, kann man es vielleicht besser steuern. Darin sehen wir auch unsere Aufgabe. Bei allen Verträgen, die wir mit der Industrie machen, bestehen wir drauf, dass wir die Dinge auch veröffentlichen dürfen, für jedermann zugänglich.

Und bisher hat noch keine Industrie, die mit uns zusammengearbeitet hat, dem widersprochen, sodass alle Dinge nach außen gekehrt werden und öffentlich dargestellt werden, auch im aufklärerischen Sinne.

Scholl: Neuromarketing. Diese neue Facette des Konsums haben wir mit Christian Elger beleuchtet, er forscht an der Universität in Bonn. Ich danke Ihnen für das Gespräch und, ja, schönen Weihnachtseinkauf!

Elger: Ja, wiederhören!