Querelen

Von Alexandra Gerlach, Barbara Roth und Frank Überall |
Der sächsische Korruptionssumpf hat offenbar "Material für eine mittlere Staatskrise" und beschäftigt nicht nur die Landes-CDU, die Oberpfälzer CSU will die Hauptbeschuldigten der Regensburger Rechtsradikalismus-Affäre aus ihren Ämtern drängen und die Kölner Staatsanwaltschaft will offenbar erneut ihrem Ruf als "Einstellungsbehörde" folgen und Verfahren gegen beschuldigte Kommunalpolitiker einstellen.
Sachsen

Seit knapp vier Wochen halten Meldungen über eine mögliche Korruptionsaffäre enormen Ausmaßes ganz Sachsen in Atem. Die Rede vom "sächsischen Sumpf" macht die Runde. Unterlagen, die das Landesamt für Verfassungsschutz über Jahre gesammelt hat, sollen brisante Informationen über kriminelle Machenschaften und Netzwerke im Freistaat enthalten. 100 Aktenordner mit insgesamt 15.600 Seiten umfasst das Recherche-Ergebnis. Die Akten waren bislang hochgeheim, erst seit wenigen Tagen ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden. Derweil zeigt sich immer mehr, dass der Inhalt der Akten auch politischen Sprengstoff enthält.
Alexandra Gerlach über das Leipziger Allerlei.

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth, CDU, gibt sich jetzt zuversichtlich. Er habe Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Institutionen bei der Aufklärung der möglichen Korruptionsaffäre im Freistaat. Seit gut zwei Wochen ermittelt eine Sondereinheit der Staatsanwaltschaft Dresden. Mindestens zwei Dossiers aus dem Landesamt für Verfassungsschutz liegen den vier Staatsanwälten der Anti-Korruptionseinheit INES zur Lektüre vor, weitere sollen zeitnah folgen. Insgesamt sind 100 Aktenordner zu studieren und zu verifizieren. Geert Mackenroth:

"Der Aufwand, den wir betreiben, ist Reaktion auf die im öffentlichen Raum stehenden Vorwürfe gegen, wie es so schön in den ersten Berichten und auf bestimmten Internetseiten heißt, gegen die massiven Vorwürfe bis in die höchsten Politiker-, Justiz- Verwaltungs- und sonstige Kreise hinein. Zum Wahrheitsgehalt dieser Vorwürfe und zu den Inhalten kann ich natürlich derzeit überhaupt nichts sagen."

"Sachsen ist kein Sumpf" ließ der Minister die Zeitungsleser kürzlich noch in einem Gastkommentar wissen. Kurz darauf aber musste er erklären:

"Dass die Justiz des Freistaates und der Freistaat insgesamt in einer schwierigen Situation ist, dass es darum geht, auch nicht den Anschein zu erwecken, hier werde gemauschelt oder etwas unter den Teppich gekehrt."

Was ist los im Musterland des Ostens? Nahezu täglich werden derzeit noch unbestätigte Details aus jenen hochgeheimen Akten bekannt, die der sächsische Verfassungsschutz über Jahre in akribischer Kleinarbeit und nicht immer ganz legal gesammelt hat. Stoff, aus dem die Krimis sind. Da ist die Rede von Amtsmissbrauch und Korruption, von Immobilienschiebereien, von Netzwerken aus Justiz, Polizei und Rotlicht-Milieu, von Strafvereitelung wird berichtet und von Kinderprostitution. Außerdem geht es auch um Mord, in mehreren Fällen sowie um Mordversuch. Nachdem die parlamentarische Kontrollkommission beschlossen hat, diese Akten mit Informationen über die Organisierte Kriminalität im Freistaat, die eigentlich aus verfassungsrechtlichen Gründen nie hätten zusammengetragen werden dürfen, an die Ermittlungsbehörden weiter zu geben, ist der Weg offen, den Wahrheitsgehalt und die Gerichtsfestigkeit der Hinweise zu überprüfen. Das brauche Geduld und viel Zeit, sagt der Justizminister:

"Der Nachweis von Strukturen und die Überführung von Verdächtigen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität - ich darf daran erinnern, wir haben es hier nicht mit Hühnerdieben zu tun - setzt ebenfalls professionelles Arbeiten voraus."

Die Vorwürfe, Verdächtigungen und Hinweise beziehen sich offenbar in erster Linie auf Vorgänge Anfang und Mitte der 90er Jahre in Leipzig und im Vogtland. Leipzig war damals die Boom-Town des Ostens, alles schien möglich, das Rechtssystem war nicht gefestigt, verunsicherte Ost-Beamten stießen offenbar häufig auf westdeutsches Mittelmaß und vor allem auf so manchen Goldgräber, der die Gunst der Stunde nutzen wollte. Was alles davon letztlich stimmt, wird sich zeigen. Ein Zustand, der schwer zu ertragen ist in einem politisch aufgeputschten Klima. Das war deutlich zu spüren in der ersten Sondersitzung des sächsischen Landtages, als Johannes Lichdi von den Bündnisgrünen das aussprach, was viele denken:

"Wir stehen einem Geraune im Politikraumschiff gegenüber, das sich längst verselbständigt hat. Die ekligsten Details werden so lange wieder gegeben, bis sie als unumstößliche Wahrheit erscheinen. Wer es in diesem Klima wagt, auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen, macht sich schon fast verdächtig etwas vertuschen zu wollen."

Die Linksfraktion.PDS hat indessen schnell entdeckt, dass dieser mutmaßliche Sumpf ein perfektes Reservoir für politische Profilierung bildet. Sie hat sich umgehend an die Spitze derer gesetzt, die eine rückhaltlose Aufklärung und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordern. Deren parlamentarischer Geschäftsführer, Andre Hahn, ist Mitglied in der PKK. Damit ist er einer der fünf Landtagsabgeordneten, die den Inhalt der Akten wirklich kennen. Sein Fazit:

"Manche der Straftatvorwürfe sind verschiedenen Institutionen in Sachsen offenbar seit Jahren bekannt, ohne das dagegen ernsthaft vorgegangen wurde. Jetzt ist es allerhöchste Zeit, um aufzuräumen und auszumisten."

Das ist die Sprache von Fakten, weniger von Gerüchten. Und damit ist die Gretchenfrage klar. Wer von den damals aktiven CDU-Ministern hat wann was gewusst? Wie viel wusste beispielsweise Thomas de Maiziere, der einstige Staatskanzleichef, der zunächst für das Justizressort und dann kurzzeitig für das Innenministerium zuständig war? Gegenüber mdr-Info erklärte der heutige Chef im Bundeskanzleramt vor wenigen Tagen:

"Es gab zu dem Zeitpunkt nicht die entsprechende Erkenntnisdichte und es gibt auch den Grundsatz, dass man über laufende Verfahren nicht berichtet. Die Erkenntnisdichte hat dann ja zugenommen, deswegen kenne ich den letzten Stand nicht, und den muss ich auch nicht kennen, denn ich bin ja nicht mehr Innenminister."

Doch mit dieser Erklärung ist de Maiziere noch nicht aus dem Schneider. In ungewöhnlich scharfer Form reagierte sein Parteifreund Gottfried Teubner, der Vorsitzender der PKK im sächsischen Landtag ist. Er warf de Maiziere in einem Zeitungsinterview "glatten Rechtsbruch" vor, weil de Maiziere die PKK entgegen anders lautender Bestimmungen übergangen habe. Die SPD fasste ihren Protest noch schärfer. PKK-Mitglied Stefan Brangs fordert nun auch bundespolitisch Konsequenzen:

"Dass Angela Merkel ernsthaft überlegen muss, ob sie sich einen Koordinator für den Geheimdienst leisten kann, der so mit rechtstaatlichen Bedürfnissen umgeht."

Damit hat die Affäre, deren Details zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige kennen, das Kanzleramt erreicht. Und Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo, CDU, fürchtet offenbar noch mehr Enthüllungen. In einem eindringlichen Appell, rief er die die demokratischen Kräfte im Parlament dazu auf, fest zusammenzustehen im Kampf gegen die "OK", die Organisierte Kriminalität. Denn die werde versuchen, sich zu wehren, um die Zerstörung des kriminellen Netzwerks zu vereiteln.

"Die OK wird verleumden, sie wird Misstrauen säen, sie wird Gerüchte streuen, sie wird einschüchtern, unseren guten Ruf versuchen zu zerstören. Wenn ihr das gelingt, kann sie den Kampf gewinnen, und das müssen wir verhindern."

Bayern

Vom "schwarzen Block" war in den vergangenen Tagen oft die Rede, nun geht es um gleich zwei schwarze Blöcke. Und um einen Machtkampf um Posten und Pöstchen, hier nun in der CSU. Wer in dieser Partei nach oben will, muss Seilschaften knüpfen und Allianzen schmieden können. Was nun aber momentan in der Regensburger CSU abläuft, bereitet selbst der Parteispitze im fernen München Magenschmerzen. Denn: In der oberpfälzischen Stadt liefern sich der etablierte Parteiflügel um den Oberbürgermeister eine öffentliche Schlacht mit jungen CSU-Mitgliedern, denen rechtsextreme Tendenzen nachgesagt werden. Von Spaltung der Regensburger CSU ist die Rede und vom Showdown. Barbara Roth mit Einzelheiten über den bayerischen Gesinnungskampf.

An einer Person scheiden sich in der Regensburger CSU die Geister: Thomas Fürst, 35, ein Versicherungsvertreter. Smart, gut aussehend. Vier Jahre saß er im Bundesvorstand der Jungen Union. Seit 2002 ist er Stadtrat in Regensburg. Ihm wird eine rechtslastige Gesinnung nachgesagt, weil er schon mal neben einer Hakenkreuz-Fahne das Horst-Wessel-Lied der SA gegrölt haben soll. Entsprechende Medienberichte in den 90er Jahren wollte er gerichtlich untersagen lassen – ohne Erfolg. Fürst ist ehrgeizig, machthungrig und sehr katholisch.

"Ich habe kein Problem damit, zu sagen, dass ich Mitglied der katholischen Studentenverbindung Rupertia bin. Unser prominentestes Mitglied ist Papst Benedikt XI. Ich glaube, es ist nur sinnvoll und gewollt, wenn Mitglieder aus katholischen akademischen Studentenverbindungen sich auch in der Politik engagieren. Richtig ist, dass mich der Präses der Marianischen Männerkongregation, Herr Prälat Heinrich Wachter, auch vorgeschlagen hat für die Wahl zum Ortsvorsitzenden."

In Regensburg der wichtigste CSU-Ortsverband, den Fürst mit seinen Gefolgsleuten kurzerhand übernahm. Seine Anhänger: ein Sammelsurium aus JU-lern, katholischen Studenten und der, in der gottesfürchtigen Bischofsstadt einflussreichen Marianischen Männerkongregation. Fürst ist Mitglied dieser erzkatholischen Gemeinschaft. Die Männer streben – eigenen Angaben nach - in ihrem Leben die Einheit mit Gott an. Er nehme das C in der CSU noch ernst, wird Fürst nicht müde zu betonen, seine Anhänger aber köderte er mit Partys und Freibier. Sein ehemaliger Weggefährte Christian Schlegel, 36, auch Stadtrat, erinnert sich.

"Tatsache war, dass eine Vielzahl von Partys und Festen stattgefunden haben mit einem sehr exzessiven Alkoholgenuss. Und bei diesem exzessiven Alkoholgenuss sind auch rechtslastige Ausfälle, Parolen durchaus vorgekommen. Ich war vor 20 Jahren ein Bestandteil dieses Systems Fürst, wo man durch Mitgliederwerbung und noch mehr Mitgliederwerbung versucht hat, sich politischen Einfluss zu erarbeiten."
Fürst hat sich schon lange keine rechtsradikalen Torheiten mehr zuschulden kommen lassen. Sein System aber funktioniert, seine rechtskonservative Truppe hat er im Griff. Bei der Wahl des neuen CSU-Kreisvorsitzenden kam es zum Eklat: Wieder brachte Fürst einen der Seinen in Stellung: Franz Rieger, 47, Jurist, politisch eher unerfahren. Mit 63 zu 59 Stimmen setzte sich Rieger gegen den Kandidaten aus dem etablierten Parteiflügel durch. In der Folge zog sich die gesamte bisherige Führungsriege aus dem Kreisvorstand zurück. CSU-Oberbürgermeister Hans Schaidinger und Bürgermeisterin Petra Betz verweigerten dem Fürst-Mann die Zusammenarbeit.

Schaidinger: "Ich habe auch dem Herrn Fürst gesagt, dass ich ihm und seinen politischen Absichten nicht traue. Das habe ich schon vor fünf Jahren gesagt."
Betz: "Ich muss ganz ehrlich sagen, dass wir es nicht dulden werden, einen braunen Sumpf in unserer Partei zu haben. Das sind wir Regensburg und den Menschen in unserer Stadt schuldig."

Seitdem werden öffentlich die Messer gewetzt. Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Thomas Fürst ficht das alles nicht an. Seine Rechnung ist ja aufgegangen. Mit seinem ultrarechten Parteiflügel hat er sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Und hält die Gegenseite der Altgedienten für schlechte Verlierer.

"Es ist doch eindeutig, was hier passiert. Es soll eine Schmutzkampagne initiiert werden, um in den parteiinternen Machtkämpfen der CSU jemand fertig zu machen."

Gerüchte und einschlägige Hinweise gibt es seit Jahren, räumte Oberbürgermeister Schaidinger ein. Nur sie wurden immer ignoriert.

"Vielleicht habe ich wirklich zu lange zugeschaut. Gott sei dank kann ich sagen, ich habe nicht immer zugeschaut. Man versucht in einer Partei immer Kompromisse zu schließen. Aber ich habe dann in den letzten Wochen klar gesagt, bis wohin und nicht weiter."

Dann wagten sich sieben junge Regensburger Ortsverbandsvorsitzende aus der Deckung. Sie legten Fakten für rechtsradikales Gedankengut im Umfeld von Fürst auf den Tisch. Und untermauerten ihre Vorwürfe mit eidesstattlichen Erklärungen: Ein JU-Mitglied habe eine SMS mit Heil Hitler beendet. Ein CSU-Stadtrat habe die nationale Weltrevolution gefordert und erklärt, dass Schwarze wie Tiere seien. In der Wohnung eines anderen Politikers soll über Jahre hinweg eine verbotene Reichskriegsflagge gehangen haben. Auch Fürst selbst habe sich eindeutig rassistisch und menschenverachtend über eine junge Frau geäußert, erinnert sich Bernhard Mittko:

"Es ging um die Sammlung potenzieller Wahlhelferinnen für eine Wahl der JU. Daraufhin herzhaftes Gelächter von Thomas Fürst. Zum Hintergrund, der sich für die Zeugen erst nachher erschlossen hat: Der Großvater dieses Mädchens ist schwarzer Hautfarbe."

Die Staatsanwaltschaft ermittelte unter anderem wegen Volksverhetzung und Beleidigung, stellte die Verfahren wegen Verjährung aber wieder ein. Denn die Anschuldigungen sind zum Teil bereits zehn Jahre alt. Trotzdem lassen sich die Belege für rechtsradikales Gedankengut in der Regensburger CSU nicht mehr wegdiskutieren. Parteichef Edmund Stoiber reagierte entsetzt:

"Die CSU ist auch die Partei der demokratischen Rechten. Aber Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, das steht außerhalb des Verfassungsbogens, das hat bei uns keinen Platz."

Generalsekretär Markus Söder wurde nach Regensburg geschickt, um zwischen den Blöcken zu vermitteln – ohne Erfolg. Auch Möchtegern-Parteichef Erwin Huber führte Gespräche und scheiterte. Der neue Kreisvorsitzende Franz Rieger versprach, sich zu kümmern. Doch er gilt als Marionette von Fürst, der naturgemäß kein Interesse an Aufklärung hat. Aber: Die Landesleitung der CSU im fernen München erklärte sich für nicht zuständig und gab das Problem an den zuständigen Bezirksverband, die CSU Oberpfalz, ab. Bezirkschef Hans Spitzner, der wochenlang tatenlos zusah, will nun endlich durchgreifen.

"Denn Gesinnung verjährt nicht. Wir haben fest vor, bis spätestens erste Juli-Woche dann eine Entscheidung zu treffen. Entsprechend der CSU-Satzung werden wir dann Ordnungsmaßnahmen beschließen. Die da sein können Enthebung von Parteiämtern und dann den Ausschluss aus der Partei."

Die Zeit aber drängt, steht doch eine Drohung des Oberbürgermeisters im Raum. Schaidinger erwägt, bei den Kommunalwahlen im kommenden März mit einer eigenen Kandidatenliste anzutreten – ohne CSU.

"Es gibt viele Freunde von mir, auch in der Fraktion, die sich um ein klares politisches Profil sorgen. Zu diesem klaren politischen Profil gehört die Frage, wer mit welchem rechtslastigen Umgang ist da dabei. Und es kann nicht sein, dass wir Kompromisse schließen."

Im Klartext: Wenn Thomas Fürst in der CSU verbleibt – kehrt ihr Hans Schaidinger wohl den Rücken. Soweit will es der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller nicht kommen lassen: Er schlägt vor, dass Fürst und die Seinen öffentlich Buße tun: Sie sollten aus privater Tasche einen Rollstuhl für einen Mehrfachbehinderten kaufen. Der Bischof glaubt, dass sich die Gruppe so unmissverständlich vom Gedankengut der Nationalsozialisten distanzieren könnte, für die Behinderte als nicht lebenswert galten. Ob sie sich freikaufen sollten, um in der CSU bleiben zu dürfen, dazu äußerte sich der Kirchenmann nicht.

Nordrhein-Westfalen

Die spöttische Bezeichnung von der "Einstellungsbehörde" macht die Runde. Gemeint ist damit die Kölner Staatsanwaltschaft und ihre Praxis. Und es bezieht sich auf Strafverfahren gegen Kommunalpolitiker. Und da gilt offenbar: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Erst auf der Reise, dann wieder zu Hause. Jedenfalls dann, wenn sie auf Einladung von Energieversorgungsunternehmen zum Teil doch etwas weite Fahrten gemacht haben. Dass nun die Kölner Staatsanwaltschaft deshalb ein umfangreiches Ermittlungsverfahren einleitete, sorgte zunächst bundesweit für Schlagzeilen. Dass viele Fälle nun aber gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden, ebenfalls. Frank Überall hat sich des Angeklagten-Freikaufs angenommen.

Freikauf für prominente Angeklagte – so nennt man in juristischen Fachkreisen den Paragraphen 153a des Strafgesetzbuches. Der Beschuldigte zahlt dabei eine Geldauflage an die Staatskasse, und im Gegenzug werden die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Viele Politiker, die sich zu Unrecht zu touristischen Fahrten von der Energie-Lobby einladen ließen, bekamen auf diese Weise einen schnellen Abschluss ihres Verfahrens. Rüdiger Thust vom Bund Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen kann das kaum nachvollziehen:

"Dann fragen sich logischerweise viele kriminalpolizeiliche Ermittler, wofür habe ich eigentlich Tage, Woche, Monate, mitunter Jahre investiert und gearbeitet, wenn ein solches Ergebnis dabei herum kommt? Man kann da sehr geteilter Meinung sein, ob das nicht eine Bankrotterklärung der Justiz ist, wenn ich mir tatsächlich bei solchen komplexen Verfahren immer wieder vor Augen führen muss, hinterher kommt ein 153a dabei herum oder nur geringe Strafen, das ist im höchsten Maße frustrierend."

Was aber ist so schlimm an den sogenannten Lustreisen der kommunalen Volksvertreter? Erst seit dem Kölner Müllskandal sind die Ermittler sensibel geworden für das, was die großen Firmen früher politische Landschaftspflege nannten. Die Einladung zu Reisen sei da nur ein kleiner Teil eines großen Systems, meint Werner Rügemer, Vorsitzender der bundesweiten Anti-Korruptions-Organisation Business Crime Control:

"Lustreisen sind ja eingebettet in ein ganzes Spektrum von Gaben, Vorteilsgaben, Landschaftspflege, die die Energiekonzerne den Entscheidungsträgern in den Kommunen zukommen lassen. In diesem Zusammenhang sind natürlich auch Lustreisen, die vielleicht noch gar nicht so üppig sind, auch nicht rechtens, eigentlich."

Eigentlich können viele Betroffene also glücklich sein, dass sie mit der Geldauflage vergleichsweise glimpflich davon kamen. Das Amtsgericht in Gummersbach aber wehrte sich dagegen – und verweigerte einfach die formal notwendige Zustimmung zur Verfahrenseinstellung. Die Vorwürfe seien zu gravierend für die Anwendung des umstrittenen Paragraphen, die Fälle müssten in einer ordentlichen Gerichtsverhandlung anständiger aufgearbeitet werden, hieß es. Einige Betroffene wurden deshalb doch angeklagt, obwohl ihnen vorher die juristische Schmalspur-Bestrafung angeboten worden war. Korruptionsexperte Rügemer hält die Entscheidung der Gummersbacher Amtsrichter für richtig:

"Die Geldauflage, die wir auch bei größeren Verfahren sehen, ist für alle Seiten die bequemere Lösung. Die ursprünglich Angeklagten können sagen, wir haben keine Schuld. Die Staatsanwaltschaft kann sagen, naja, wir können jetzt zwar nicht zu Ende alles klären, aber irgendwie haben wir es ja abgeschlossen. Es ist leider der bequemere Weg, und er dient nicht der Rechtsklärung und dem Rechtsfrieden."

Bei der Kölner Staatsanwaltschaft kann man diese Aufregung unterdessen nicht nachvollziehen. Auch wenn Verteidiger immer wieder etwas anderes behaupten, sei juristisch doch klar, dass die hier gewählte Art der Verfahrenseinstellung eben kein Freispruch ist. Günther Feld, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft:

"Wenn gegen Geldauflage eingestellt wird, setzt das voraus, für uns, aufgrund der gesetzlichen Situation, dass wir hinreichenden Tatverdacht sehen müssen. Das ist derselbe Verdacht, den wir für eine Anklagerhebung brauchen würden."

Die Anklage findet in vielen Fällen aber eben nicht statt. Das erspart viel Zeit und zusätzliche Arbeit – davon haben die Ermittler ohnehin viel zu viel, seitdem man intensiver auf das guckt, was an mehr oder weniger kleinen Vorteilsannahmen seit Jahrzehnten in deutschen Rathäusern üblich war. Da gibt es auch schon mal Personal- und damit auch Ermittlungs-Engpässe bei der Polizei. Durch den Stellenabbau der letzten Zeit könnten die Verfahren kaum noch anständig bewältigt werden, meint Rüdiger Thust vom Bund Deutscher Kriminalbeamter:

"Je größer und komplexer ein Verfahren ist, umso komplexer müssen wir auch mit Personal dort rein gehen, um auch zeitnahe Ergebnisse zu präsentieren. Hat die ermittelnde Dienststelle nicht genügend Personal, muss sie wie bei anderen Kommissionen auch unterstützt werden aus anderen Bereichen. Dann fehlt das Personal da. Das ist das Bettdecken-Prinzip: Ziehen Sie an der einen Seite, fehlt es auf der anderen."

Personal fehlt auch bei der Justiz. Am Kölner Landgericht wurde jüngst sogar aus Kostengründen ausgerechnet die Kammer geschlossen, die sich bis dato vor allem um Korruptionsverfahren gekümmert hatte. Und die Kölner Staatsanwaltschaft nimmt eine lange Verfahrensdauer ebenso in Kauf. Günther Feld:

"Auf der anderen Seite sind die Dinge nun nicht so gravierend. Es handelt sich ja nun nicht um spektakuläre Verbrechen, dass man da gleich fünf Staatsanwälte dran setzen muss. Und der eine Kollege, der es hier so zügig wie es eben geht betreibt, der muss halt eine Vielzahl von Verfahren erledigen, und das kann er nicht parallel, das kann er nur sukzessive machen."

Experten aber warnen, dass gerade im Bereich von Vorteilsannahme und Untreue eine schnelle Bestrafung nötig ist. Nur so könne eine konsequente Abschreckung ermöglicht werden. Immerhin richtet sich das Verfahren um die sogenannten Lustreisen gegen mehr als 150 Beschuldigte. Die meisten von ihnen sind Kommunalpolitiker aus Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Bundesländern. Aber hier geht es eben nur um die Reisen der letzten Jahre und nur um die Energiebranche. Auch noch andere Wirtschaftsbereiche und deren Einladungspraxis in Bezug auf Volksvertreter unter die Lupe zu nehmen, dafür fehlt der Kölner Justiz offenbar nun wirklich die Zeit.