"Querdenken"-Demo in Kassel

Wie das Framing von Videos wirkt

06:51 Minuten
Demonstration gegen die Corona Auflagen. Teilnehmer auf einer Kundgebung auf dem Friedrichsplatz in Kassel. Sie stehen eng beieinander und tragen keine Masken. 20. März 2021.
In Kassel verstießen Tausende gegen die Corona-Regeln, doch frühzeitig aufgelöst wurde ihr Protest nicht. © imago/Leonhard Simon
Daniel Hornuff im Gespräch mit Ute Welty · 22.03.2021
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Videos von der "Querdenken"-Demo in Kassel am Samstag werden unterschiedlich vereinnahmt: Die einen betonen schwere Verstöße gegen die Corona-Regeln, andere die Polizeigewalt. Der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff erklärt das Phänomen.
Ute Welty: Die Polizei hoffnungslos unterlegen, die Situation offenbar nicht unter Kontrolle, ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat: Nach der "Querdenken"-Demo in Kassel am Samstag sind die Kommentare heute früh in den Zeitungen recht eindeutig, aber die Bilder werden auch vielschichtig interpretiert.
Die einen sehen einen nicht genehmigten Protestzug, die anderen Polizeigewalt. Vermittelt werden die Bilder vor allem über Handyvideos aus Kassel, die auch am Wochenende die sozialen Medien geflutet haben.
Über Hassbilder hat Daniel Hornuff sich etliche Gedanken gemacht, Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule in der Universität Kassel, und so heißt auch sein Buch: "Hassbilder: Digitale Bildkulturen". Kann denn ein solches Handyvideo mehr sein als eine Momentaufnahme und so etwas wie Wahrheit bedeuten?
Hornuff: Ja, das Video an sich nicht. Das Video stellt ja immer nur einen Ausschnitt der Realität dar. Es ist Dokument einer bestimmten Perspektive auf das Ereignis, und so muss man, wenn man diese Videos bewerten möchte, immer auch den Kontext miteinbeziehen: Wer hat sie gepostet, wer hat sie möglicherweise erstellt, und mit welchem Interesse werden sie jeweils auch verbreitet?

Skeptisch bleiben und die Herkunft der Bilder prüfen

Welty: Aber das erschließt sich ja nicht unbedingt auf Anhieb.
Hornuff: Nein, das erschließt sich überhaupt nicht auf Anhieb. Wir sind ja geneigt, insbesondere Videos eine große Glaubwürdigkeit zuzubilligen, sie für authentisches Material immer zu halten. Umso wichtiger ist es aber, skeptisch zu bleiben, im Prinzip das zu tun, was man als Quellenkritik beschreiben könnte, nämlich zu prüfen, von wo stammen eigentlich die Bildmaterialien, mit denen man sich auseinandersetzt.
Welty: Sie haben es angesprochen, Videos haben das Image, unbestechlich zu sein, Stichwort Videobeweis im Fußball. Inwieweit muss man über dieses Image der Unbestechlichkeit noch mal dringend und tiefer nachdenken?
Hornuff: Ich glaube, es lohnt sich immer, darüber nachzudenken. Man könnte jetzt ja den Einwand formulieren, na ja, macht jetzt der Typ hier im Radio nicht genau das, was man auch den Querdenkerinnen und Querdenkern vorwirft, nämlich vermeintliche Wahrheiten, Tatsächlichkeiten infrage zu stellen. Die Grenze zwischen diesem Verschwörungsglauben und einem skeptischen Blick auf vermeintliche Wahrheiten ist tatsächlich eine fließende.
Wenn man der Wissenschaft oder dem wissenschaftlichen Umgang mit solchen Materialien vorwirft, man würde im Grunde genommen die Logiken von Verschwörungsglauben übernehmen, nutzt man die systematische Schwäche von Wissenschaft aus, die natürlich nie eine abschließende Antwort präsentieren kann, was Material immer als ein vorläufiges einstuft.

Videos für die eigene Weltsicht eingesetzt

Welty: Sieht am Ende jede Gruppe das, was sie sehen möchte?
Hornuff: Nicht unbedingt, nicht zwangsläufig, aber Bilder sind wunderbar dazu geeignet, mit ihnen Politik zu betreiben. Sie können für eigene Interessen eingesetzt werden, sie können die eigene Weltsicht stabilisieren.
Je nachdem, wie ich ein Foto, ein Video präsentiere, mit welchen Schlagworten ich es versehe, kann ich es in bestimmte Gruppen, in bestimmte Interessengemeinschaften verlinken und damit eben auch dem Material eine bestimmte Bedeutung geben.
Ein Polizist hält einen Demonstranten am Boden, umgeben von weiteren Polizisten.
Stellenweise griff die Polizei in Kassel durch: vor allem gegen Gegendemonstranten, wie Beobachter beklagten. © imago/xcitepress
Genau das haben wir auch im Nachgang oder auch schon während der sogenannten Demonstration in Kassel gesehen, dass ein und dasselbe Videomaterial zum Teil durch ganz unterschiedliche Gruppierungen vereinnahmt worden ist und mit der je eigenen gewünschten Bedeutung belegt worden ist.
Welty: Welche Macht haben diese Bilder über die Gefühle derer, die sich das anschauen, vor allem über die negativen Gefühle? Da ist ja viel Unverständnis und auch Wut in den Reaktionen auf allen Seiten.
Hornuff: Bilder wirken immer affektiv, Bilder appellieren an das Gefühl, Bilder wallen auf, sie erinnern uns vielleicht an unsere eigene Situation, an unsere eigenen Beschwernisse.
Wenn man die Massenaufmärsche, diese Massenzusammenkunft von Kassel sich im Internet angeschaut hat, dann entstand natürlich schon die Frage: Was bedeuten denn diese Bilder für all die Menschen, die sich einschränken, die sich zurücknehmen, die vielleicht auch an vorderster Front gegen das Virus kämpfen? Was machen diese Bilder eigentlich mit den Menschen, die sich solidarisch zeigen, die sich für die Gesellschaft einsetzen, indem sie sich selbst einschränken?

Besonnenheit und Differenzierung statt Wut

Welty: Was machen diese Bilder mit Ihnen, der Sie in Kassel leben und arbeiten?
Hornuff: Das ist eine sehr gute Frage. Mich haben die Bilder zunächst einmal traurig gemacht. Ich bin mit Kassel verbunden, ich kenne diese Stadt, ich arbeite in dieser Stadt, ich kenne viele Menschen in dieser Stadt.
Sie machen mich aber auch wütend, und sie machen mich nicht zuletzt deshalb wütend, weil ich ratlos bin. Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, eine schlüssige Lösung dafür vorzulegen, wie damit umzugehen ist, wenn ein rechtskräftiges Urteil oder ein rechtskräftiger Beschluss eines Verwaltungsgerichtshofs derart massiv missachtet wird und dem Staat offenkundig keine Mittel einfallen, die Rechtsfolgen durchzusetzen.
Welty: Und dieser Teufelskreis von Wut und Frust im Netz, lässt der sich durchbrechen, indem man einfach auch verbal abrüstet?
Hornuff: Ganz unbedingt. Das verbale Abrüsten, der Versuch zu differenzieren, der Versuch, besonnen auf solches Material zu reagieren, ist etwas ganz, ganz Wichtiges, und es ist nicht zuletzt etwas, das häufig unterschätzt wird.
Natürlich ist die emotionalisierende Aussage die, die die größte Öffentlichkeit erzeugen kann, die am stärksten wahrgenommen wird. Aber eigentlich bräuchten wir eine Prämierung von Besonnenheit, eine Auszeichnung von Differenzierung und ein Hören darauf, wie Menschen vielleicht etwas distanzierter, gelassener versuchen, mit solchen Videos und Fotos umzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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