Quarantäne-Tipps von Serebrennikow

"Tun Sie, worauf Sie Lust haben"

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"I have to stay at home": Schauspielerin Franziska Petri bei der Berlinale mit einem Bild des Regisseurs Kirill Serebrennikows.
"I have to stay at home": Schauspielerin Franziska Petri mit einem Bild des Regisseurs Kirill Serebrennikows. © picture alliance
Von Gesine Dornblüth · 20.03.2020
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Der russische Theaterregisseur Kirill Serebrennikow hat Erfahrung mit heimischer Isolation. Anderthalb Jahre stand er unter Hausarrest. Jetzt erklärt er, wie er diese Zeit genutzt hat, um als neuer Mensch daraus hervorzugehen.
Gegen den künstlerischen Leiter des Gogol-Centers in Moskau, Kirill Serebrennikow, läuft ein umstrittenes Strafverfahren. Wegen angeblicher Veruntreuung von staatlichen Fördermitteln stand er deshalb 20 Monate unter Hausarrest. Beweise gibt es nicht. Serebrennikow weist die Anschuldigungen zurück.
In Zeiten von Corona hat er nun ein Video mit zehn Tipps für die heimische Isolation aufgenommen. Dazu, wie man die Isolation zuhause sinnvoll nutzen kann, ohne verrückt zu werden. Gesine Dornblüth hat es angeschaut.

Das Positive sehen

Kirill Serebrennikow steht, ausgestattet mit Schirmmütze und schwarzer Hornbrille, im dunklen Foyer des Gogol-Centers und spricht in ein Mikrofon. Sein erster Ratschlag ist grundlegend: Man solle die Isolation als "Geschenk des Himmels" begreifen.
"Die Isolation in der Wohnung oder im Haus, allein oder mit der Familie, ist ein Moment der Wahrheit", sagt er. "Wenn Sie lernen können, darin etwa Positives zu sehen, dann wird Ihnen das Leben in der Isolation nicht nutzlos erscheinen."
In der russischen Hauptstadt sind alle ständig in Eile, mehr als in Berlin, niemand hat Zeit. „Unser Leben war ein Chaos", blickt der Regisseur zurück. "Wir wurden dauernd von irgendwelchen Leuten rausgerissen: Anrufe, SMS-Mitteilungen, Telegram, Instagram, Facebook und so weiter." Nicht mehr er habe seine Tagesordnung bestimmt, sondern sie sei ihm "aufgedrängt" worden.
Jetzt, so rät er, sei der beste Zeitpunkt, dieses Chaos zu beseitigen. „Konzentrieren Sie sich auf eine einfache Frage: 'Wer bin ich, und was ist für mich das Wichtigste im Leben?' Und schreiben Sie das auf."
Serebrennikow rät, auch ein Tagebuch zu führen. "Was habe ich gegessen, was habe ich gemacht, woran habe ich gedacht. Fixieren Sie die Zeit. Ein Tagebuch der Selbstisolation. Das hilft, sich selbst zu analysieren."

Der nächste Punkt: Lesen

Und zwar die Wälzer, zu denen man nie gekommen ist. "Sie kommen aus dieser Selbstisolation als völlig neuer Mensch heraus", prophezeit Serebrennikow. "Wer Cervantes liest, ‚Krieg und Frieden‘, 'Ulysses', wird nicht mehr der Alte sein."
Täglicher Sport zuhause, zum Beispiel Yoga, möglicherweise mit Hilfe von Apps, und geregelte Mahlzeiten – das sind für Serebrennikow weitere Vorteile, die er sich unter normalen Umständen nicht leistet.
Der Regisseur selbst hat im anderthalbjährigen Hausarrest weiter kreativ gearbeitet. "Das sollte jeder tun", meint er, "auch Amateure". "Jeder von uns wollte doch schon immer mal irgendetwas ganz anderes machen: Malen, Gedichte schreiben, Makramee-Arbeiten – es ist eine tolle Zeit, um kreativ zu werden. Nutzen Sie alles, was Sie zur Hand haben. Und haben Sie keine Angst, zum Glück sieht Sie ja niemand. Machen Sie sich selbst diese Freude."

Jeden Tag Hausaufgaben

Weitere Tipps des russischen Regisseurs: Die eigenen Memoiren schreiben –Erinnerungen einfacher Leute würden gern gelesen – und eine Fremdsprache lernen, per Skype, mit Online-Lehrbüchern, mit fremdsprachigen Büchern. In Russland sind Fremdsprachenkenntnisse nicht sehr verbreitet.
"Machen Sie jeden Tag eine Hausaufgabe: ein Stück lesen, noch eine Vokabel lernen oder zehn oder zwanzig Verben mehr – dann schaffen Sie irgendwann einen richtigen Sprung hin zum Verständnis der anderen Kultur oder anderen Welt."
Am Ende wird Serebrennikow wieder grundsätzlich: "Es ist wichtig: Streichen Sie aus Ihrem Wortschatz die Begriffe ‚Quarantäne‘, ‚Isolation‘, ‚Selbstisolation‘. Es ist ein ‚Neustart‘. Es ist ‚Erholung‘."

Bei guten Menschen bedanken

Man könne die Zeit auch nutzen, um alte Bekanntschaften wiederzubeleben, alte Freunde, die Eltern, die erste Liebe, die Lehrer anzurufen; sich bei denen bedanken, die irgendwann mal etwas Gutes für einen getan haben. Dann habe man am Ende mehr Freunde als vorher.
Der letzte Punkt ist das große Wort ‚Lust‘. "Tun Sie, wozu Sie Lust haben. Gucken Sie jeden Tag einen neuen Film. Hören Sie neue Musik. Haben Sie jeden Tag Sex. Säen Sie Blumen auf der Fensterbank aus. Nähen Sie sich ein neues Kleid." Hauptsache, es bereitet Vergnügen. "Sie sollten sich jeden Tag über irgendetwas unglaublich freuen."
Im Abspann folgt, was gar nicht oft genug wiederholt werden kann: "Waschen Sie sich die Hände, verzagen Sie nicht, werden Sie nicht krank."
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