"Fragil, schön und glibberig"
Quallen sind Lebensspezialisten - und sie in Aquarium zu halten, ist arbeitsintensiv, wenig erforscht und sehr teuer. Im Stralsunder Ozeaneum gibt es trotzdem eine florierende Ohrenquallenzucht.
Bedächtig schraubt Quallenexperte Alexander Dressel den Deckel von der Futterbüchse und streut ein wenig weißliches Mehl in das Becken mit den Ohrenquallen.
Dessel: "Die Ohrenquallenzucht funktioniert jetzt mittlerweile so gut, dass wir alle sechs bis acht Wochen Jungtiere haben. Und können unsere Feuer- oder unsere Kompassquallen, die jetzt auch in der Schau sind, ständig mit jungen Ohrenquallen füttern."
Eine Quallenzucht wie die, die es seit einem Jahr im Stralsunder "Ozeaneum" gibt, ist teuer, aufwändig, kompliziert und vielfach "Learning by Doing". Denn es gibt zur Quallenzucht keine Literatur, wie etwa für Makrelen oder Barsche. Doch Quallen in einem Aquarium auszustellen, sagt Alexander Dressel, ist ein Highlight, das die Besucher gerne annehmen:
"Jeder geht an die Becken und sagt, ja, hier sind die Quallen, die Ohrenquallen, aber dann hört es schon auf, so richtig wissen tut keiner was."
Ältesten und giftigsten Meereslebewesen
Die Tiere sind die ältesten und giftigsten Meereslebewesen. Wegen des tödlichen Giftes der australischen Seewespe etwa gehen die Menschen an pazifischen Badestränden mit einem Quallenschutzanzug ins Wasser.
Quallen bestehen zu 99 Prozent aus Wasser, sind mal kugelig, mal würfelförmig, mal schirmartig und verschieden gefärbt. Ihr Körper ist ein Gebilde aus zwei hauchdünnen Zellschichten, dazwischen liegt eine mit Sauerstoff angefüllte Gallertmasse als Stützschicht, die die Qualle versorgt.
Diese filigrane Beschaffenheit der Quallen ist die Messlatte für die Aufzucht. Denn ein winziger Fehler bedeutet den Tod der Qualle. Deshalb wurden vor einem Jahr im "Ozeaneum" als erstes kreisrunde Becken angeschafft. Doch damit nicht genug. Dessel:
"Diese Spezialbecken sind so aufgebaut, dass die Qualle immer mit einer Strömung von Boden weggehalten wird, aber trotzdem nicht irgendwo aneckt. Das heißt, eine Qualle darf nirgendwo an die Wand oder an das Glas vom Becken kommen oder irgendwo hängen bleiben. Es ist auch ganz wichtig, dass der Einlauf oder der Auslauf ganz minimal sind, dass sie nirgendwo angesaugt wird. Das ist eben das Schwierige in der Quallenhaltung oder der Quallenzucht, dass die Tiere immer in der freien Wassersäule schweben müssen."
Aufwändig und kompliziert
Auch im Berliner Aquarium hat man Erfahrung mit der Aufzucht Haltung der glibberigen Wesen. Quallenpfleger Daniel Strutzinsky:
"Manchmal steht man hier den ganzen Tag, und stellt nur von Millimeter zu Millimeter die Strömung ein, dass es dann funktioniert bei den Tieren. Das gehört dazu."
Die dürfen nicht auf den Boden sinken, da würden sie nämlich kaputtgehen nach ein paar Stunden sogar schon. Die müssen also durch Strömungspumpen unten, die das Wasser rausblasen aus dem Boden, ständig in der Schwebe gehalten werden, dass die auch ihre Nahrung aufnehmen können.
Doch Strömung in die Aquarien zu bringen, reicht allein noch nicht aus. Die Aufzucht der Quallen ist aufwändig und kompliziert.
Strutzinsky: "Man züchtet die von wenigen Millimeter großen Polypen, die wir unten im Keller haben, und diese Polypen müssen erst mal einen Schlüsselreiz kriegen, durch Wasserwechsel, durch Licht, durch eine spezielle Mondphase bei einer Art, bei anderen ist es wieder durch Futter, man muss einen Frühling nachempfinden. Es ist von Art zu Art unterschiedlich."
"Und daraus kommen dann die Jungquallen, die sind ein bis zwei Zentimeter groß, die sind also winzig. Und diese winzigen Quallen, die muss man dann mit speziellem Futter, was auch gezüchtet werden muss im Aquarium, da werden die dann großgezogen mit. Und man muss so eine Qualle in ihrem Leben bestimmt so 100, 200 Mal umsetzen, weil die nicht mit Algen etc. in Kontakt kommen, wo sie sich verfangen können. Die Becken müssen ständig sauber gemacht werden, und da sind viele Becken, wir haben 25 bis 30 Arten, und das ist ein Haufen Arbeit."
Anmutig und graziös
Später sehen die Besucher den Quallen beim Schweben fasziniert zu. Wie sie mit den durchsichtigen Schirmchen à la Mary Poppins durch das Wasser schweben, anmutig und graziös. Oder anderen Quallen fressen. So frisst die atlantische Kompassqualle, die seit kurzem im Stralsunder "Ozeaneum" gezüchtet wird, gern Ohrenquallen. Der Fressvorgang allein ist schon faszinierend, meint Alexander Dressel:
"Im Prinzip haben die Kompassquallen Tentakeln, die bis zu 3,4 Meter lang sind, die ziehen sie wie einen Schweif hinter sich her. Und wenn eine Ohrenqualle den Weg kreuzt, dann bleibt sie an den Nesselkapseln einfach hängen. Und diese Quallen werden dann von den Tentakeln zu den Mundapparaten gebracht. Das sind dann fünf, sechs dickere Arme, und mit denen wird die Ohrenqualle zur Mitte, also zum Magen eigentlich transportiert. Und dort langsam verdaut. Also bei kleinem Futter dauert es ungefähr so eine Stunde. Wenn die Futterqualle jetzt halb so groß ist wie der eigentliche Räuber, dann kann man schon so 2 Stunden rechnen."
Meist kennen die Besucher der Aquarien nur die Ohrenqualle vom Ost- oder Nordseeurlaub. Die anderen Quallen sind vielfach unbekannt. So ist der Blick in die Aquarien zugleich auch ein Blick in eine geheimnisvolle Welt, die vielen sonst verschlossen bleiben wird.
Dressel: "Man kann sie auch schlecht beobachten im Meer, wenn man nicht gerade Taucher ist. Deswegen, so wie wir sie gerade darstellen, mit völlig ausgefahrenen Fangarmen und wie sie auch die Ohrenquallen zum Beispiel fressen, das ist für den Besucher komplett neu und faszinierend."