Qualen des Danach

Rezensiert von Gregor Ziolkowski · 04.09.2006
Die hier versammelten zwölf Erzählungen des polnischen Lyrikers und Dramatikers Tadeusz Rózewicz begründeten seinen Ruf als Erzähler. Wie auch mehrere seiner Dramen kreisen sie zumeist um die existentielle Krise, in die die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs gerissen wurden.
Rózewicz seziert mit großer Meisterschaft die innere Welt seiner Figuren, die beherrscht werden von der tiefen Erschütterung, die das Erleben von massenhaftem Tod, Folter, Zerstörung hinterlassen hat. Der eigentlich glückliche Umstand, dass sie als Partisanen, KZ-Häftlinge, Aufständische oder einfach nur Davongekommene überlebt haben, bleibt eine rein äußerliche Zufälligkeit.

Die Qualen des Danach haben nicht selten mit Schuldgefühlen zu tun: "Mir scheint, die deutschen Faschisten sind Mörder gewesen, aber auch wir, ihre Opfer, verwandelten uns (...) in Mörder", sagt der Ich-Erzähler in einem der Texte. In einer anderen Erzählung treffen sich zwei Bekannte nach langer Zeit wieder, einer der beiden redet unaufhörlich und zusammenhanglos auf den anderen ein. Erst ganz am Ende dieser Begegnung enthüllt sich der wahre Grund für diesen rhetorischen Schwall, der wie eine Schutzschicht das Vordringen zum eigentlichen inneren Konflikt des Mannes verhindern sollte: Es ist das Leiden an jener Episode, in der er auf einem Bahnhof zusah, wie deutsche Soldaten seine Mutter schlugen, ohne etwas zu tun. Der spätere Dank der Mutter für diese Untätigkeit - ein Einschreiten wäre der sichere Tod des Sohnes gewesen - rechtfertigt das Geschehen auf der Ebene der Fakten, die moralische Krise wird dadurch nur tiefer.
Die Titelerzählung zeigt zwei Freunde in Paris. Der Krieg liegt Jahre zurück, beide sind offenbar als Touristen unterwegs, aber in ihr Alltagsgeplauder mischt sich plötzlich und eher zufällig die Erinnerung des einen an seine Zeit im Konzentrationslager. Es passiert äußerlich nichts Dramatisches daraufhin, aber eine Art innerer Distanzierung setzt von diesem Moment an ein: "Sie sind wie Kinder. Sie wissen nichts. Sie malt ihre Bilder, er besichtigt Paris ..." lautet schließlich das Fazit des ehemaligen Lagerinsassen über seinen Freund und dessen Bekannte.

Distanzierung und Isolation sind auch die Themen der Erzählung "Ausflug ins Museum". Beschrieben wird ein Besuch der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz. Es gibt keine handelnde Person oder einen Ich-Erzähler, vielmehr liest man eine Art O-Ton-Collage, die die verschiedensten Stimmen einer Reisegruppe aufzeichnet. Der Schrecken mischt sich mit dem Banalen, Kinderrufe nach Keksen unterbrechen die etwas unbeholfenen Erklärungen des Guides, unwissende Kommentare werden abgelöst von nachdenklichen Stimmen. Die Abwesenheit einer Erzählerfigur ist bei allem der entscheidende Kunstgriff: der Leser versetzt sich automatisch in die Rolle eines Menschen, der das wirkliche Lager erlebt haben könnte und der die enorme Isolation durchlebt, die zwischen Erfahrung und musealer Vermittlung aufragt.
Rózewicz ist ein genauer Chronist und Analytiker der Innenwelten seiner Figuren. Er stiftet dabei keine Hoffnung, es gibt keine Lösungen für das innere Drama seiner Figuren. Ein zugespitzt wahrhaftiger, dabei düsterer Ton liegt über dieser Prosa, die sich die Freiheit nimmt, bis in surreale Unterschichten vorzudringen.


Tadeusz Rózewicz:
In der schönsten Stadt der Welt.

Erzählungen. Herausgegeben und aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2006. 180 Seiten, 17,90 Euro.