Putin erkennt Separatistengebiete an

Geschichtsstunde eines "Kriegsbrandstifters"

07:03 Minuten
Der russische Präsident Wladimir Putin
In einer einstündigen Rede hat der russische Präsident Wladimir Putin der Ukraine abgesprochen, eine eigenständige, souveräne Nation zu sein © picture alliance / AP
Karl Schlögel im Gespräch mit Eckhard Roelcke  · 21.02.2022
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Als "Kriegserklärung" hat der Historiker Karl Schlögel die Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin verurteilt. Er hatte die Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängig anerkannt. Putin wisse, dass der Westen nicht adäquat reagieren könne.
Nach der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin, in der er die beiden Separatistengebiete Donezk und Luhansk für unabhängig erklärte, spricht der Osteuropa-Historiker und Osteuropa-Experte Karl Schlögel von einer "Kriegserklärung". Putin habe es in seiner einstündigen Rede am Montagabend so geschildert, als greife die Ukraine Russland an. "Das ist eine Darstellung, die die Wirklichkeit vollständig auf den Kopf stellt." Man wisse nun nicht, wie es weitergehen werde.

Hilflosigkeit des Westens

"Es geht um die Infragestellung einer unabhängigen Ukraine, einer selbstständigen Nation", macht Schögel deutlich. Putins Schritt sei "ungeheuerlich", so der Osteuropa-Historiker. "Er hat eine Grenze überschritten und zwar in einem sehr scharfen Kalkül. Er weiß im Grunde, dass der Westen keine adäquate Antwort geben kann."
Die einstündige Rede diene nur als Dekoration, um eine Kriegserklärung zu verschleiern. "Es ist ein Meisterwerk der Demagogie", so Schlögel. Ihm fehlten die Worte, sagt der Historiker mehrfach. "Ich empfinde eine tiefe Ohnmacht gegenüber dem, was dort abläuft." Die Diskussion der Europäer zeige die ganze Hilflosigkeit.
"Eigentlich müsste man nach Kiew fahren. Die europäisch denkenden Leute sollten sich dort versammeln und sollten den Ukrainern beistehen gegenüber einem skrupellosen, unglaublich rücksichtslosen und riskanten Staatsmann, der in der Lage ist, einen Kontinent in Brand zu stecken."

Die aktuellen Entwicklungen im Russland-Ukraine-Konflikt können Sie im Newsblog des Deutschlandfunk nachlesen und nachhören.

Schlögel nannte Putin einen "Kriegsbrandstifter". Seine Rede sollte man sich anhören: "Aber nicht so sehr das, was er sagt, sondern wie er das sagt." Putin habe wie ein "Oberlehrer" gesprochen und mit einer Leidenschaft und Intensität, die einen glauben lasse, dass der Präsident selbst von seiner Geschichtserzählung überzeugt sei.

Fragwürdiges Geschichtsbild

Putin habe in seiner Rede gesagt, dass die Ukraine keine eigene Geschichte habe, keine eigene Nation sei und kein eigener souveräner Staat, gab Schlögel die Kernsätze der Putin-Rede wieder, die im russischen Staatsfernsehen live übertragen wurde. Russlands Staatschef habe damit die eigenständige ukrainische Geschichte als "Nationalismus" abqualifiziert. Seine Argumentation behaupte, dass die Ukrainer auf einen russophoben Kurs gebracht würden und ausländische Mächte das steuerten.

Diese Äußerungen über die Ukraine seinen keineswegs neu, so Schlögel. Russlands Präsident habe das bereits im Sommer 2021 dargelegt. Aber es bringe nichts, sich mit Putin über seine historischen Darlegungen auszutauschen.

Was Putin weglässt

"Die Frage ist, was hat das eigentlich mit der Wirklichkeit zu tun?", sagt Schlögel. Die Ukrainer wollten schließlich nichts anderes, als von Russland in Ruhe gelassen zu werden. Schlögel zählte historische Fakten auf, die in Putins Rede unerwähnt blieben: "Es kommt natürlich nicht vor, dass die Ukraine eine Unabhängigkeitsbewegung seit dem 19. Jahrhundert hat, dass die Ukraine im Russischen Reich unterdrückt wurde."
Ausgelassen werde auch die kurze Zeit der ukrainischen Unabhängigkeit in den 1920er-Jahren, die sowjetische Repression gegen das ukrainische Volk im Stalinismus, vor allem in der Hungerkatastrophe Anfang der 1930er-Jahre oder die gezielte stalinistische Säuberung der ukrainischen Eliten. "Und es wird wieder das Märchen aufgetischt, dass die Krim geschenkt worden ist." Putin zeichne auf diese Weise ein einseitiges Geschichtsbild.
(gem)

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