"Putin ist kein Demokrat"

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Gabi Wuttke · 03.12.2011
Der stellvertretende CDU-Fraktionschef Andreas Schockenhoff hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin einen Tag vor den russischen Parlamentswahlen einen "Rückfall in sowjetische Muster" vorgeworfen. Putin habe Wahlbeobachter als "Judas" bezeichnet und massiv unter Druck gesetzt, so Schockenhoff.
Gabi Wuttke: 100 Prozent für Wladimir Putin. Mit einem Votum, das an Ostblockzeiten erinnert, wurde er von den 11.000 Delegierten seiner Partei Geeintes Russland zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im März gekürt. Morgen sind über 100 Millionen Russen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Doch siehe, in aktuellen Umfragen hat die Regierungspartei keine klare Mehrheit mehr. Um 7:51 Uhr begrüße ich im Deutschlandradio Kultur Andreas Schockenhoff, Vize der Unionsbundestagsfraktion und Koordinator der deutsch-russischen Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Guten Morgen!

Andreas Schockenhoff: Guten Morgen!

Wuttke: Worauf führen Sie die gesunkenen Werte zurück?

Schockenhoff: Die gesunkenen Werte, Umfragen, sind nicht das Entscheidende. 100 Prozent war auf dem Parteitag, aber intern ist ausgegeben worden, dass Putin und Einheitliches Russland mindestens 60 Prozent erreichen muss. Das hat jeder Gouverneur, das hat jeder Amtsvorsteher, das hat jeder Schulleiter als Vorgabe bekommen, und wir haben wirklich zahlreiche Berichte im Vorfeld der russischen Parlamentswahlen über Verstöße, Druck, die uns wirklich Sorgen machen, dass es keine freien und fairen Wahlen gibt.

Wuttke: Was sagen denn Ihre Gesprächspartner in Russland?

Schockenhoff: Es gibt Golos, eine unabhängige, relativ unabhängige Nichtregierungsorganisation, die seit Jahren Wahlbeobachtung macht, die jetzt selber unter Druck geraten sind, die Besuch gehabt haben von der Polizei, wo Wahlhelfer, Wahlbeobachter verhaftet wurden. Putin hat diejenigen, die in Russland beobachten, ob die Wahlen frei und fair sind, am letzten Wochenende als Judas bezeichnet. Das sind nicht nur von der Wortwahl her, sondern auch von dem Druck her, dem die ausgesetzt sind, stalinistische Methoden.

Wuttke: Es ist ja immer so gewesen, dass die internationale Gemeinschaft, wenn wir mal an die vergangenen Monate in der arabischen Welt denken, gesagt haben, wir brauchen politisch stabile Verhältnisse und außerdem wirtschaftliche Kraft. Sie klingen so besorgt, Herr Schockenhoff, dass sich mir die Frage stellt, wie die internationale Gemeinschaft auf dieses Geeinte Russland/Wladimir Putin reagieren sollte.

Schockenhoff: Dieser Vergleich verbietet sich. Wir hatten in der arabischen Welt Diktaturen, wir hatten autoritäre Regime und wir hatten ein Russland, das von sich behauptet hat, es sei eine Demokratie, es sei nach 1990, nach 20 Jahren auf dem Weg zur Demokratie ein gutes Stück vorangekommen. Und wir haben jetzt einen Rückfall in sowjetische Muster, während wir in der arabischen Welt zum ersten Mal so etwas wie freie Wahlen haben. Also der Vergleich ist überhaupt nicht angebracht.

Natürlich ist es eine Sache jedes Landes, sich seine Regierung zu wählen, und natürlich sind wir nicht die Oberlehrer, die nach unseren Verhältnissen begutachten, wie die Wahlen sind und wie wir sie hinterher zu akzeptieren haben, aber Russland muss sich an den eigenen Werten, an den eigenen Aussagen messen lassen. Russland ist Mitglied des Europarates und hat sich damit verpflichtet zu bestimmten auch demokratischen Prinzipien. Und Medwedew hat Reden gehalten, in denen er zum ersten Mal eine Modernisierung unter demokratischen Vorzeichen versprochen hat. All das klingt zurzeit wie Hohn.

Wuttke: Aber was sind denn Wahlergebnisse wert, wenn Sie auch sagen, es gibt massive Einschränkungen und Sie befürchten, dass das eben nicht fair abgehen wird?

Schockenhoff: Es gibt in Russland 70 Prozent nach Umfragen der Bevölkerung, die nicht daran glauben, dass diese Wahlen wirklich fair sind, und deswegen ist die große Gefahr, dass die Wahlen nicht ernst genommen werden, dass die Bevölkerung auch nicht glaubt, dass durch Wahlen wirklich die Politik bestimmt wird, sondern dass es eine Resignation gibt, eine Passivität.

Leider ist es so, dass heute unter der Bevölkerung in Russland es sogar ankommt zu sagen, wir sorgen für Stabilität, die Demokratie in den 90er-Jahren unter Jelzin hat uns Chaos, hat uns Unruhe gebracht, wir sorgen dafür, dass es Ruhe gibt. Also ist die Angst vor Veränderung und die Angst vor Neuem beinahe größer als die Angst vor Stagnation, die Angst vor einer bleiernen Zeit, wie wir zuletzt unter Breschnew kannten.

Wuttke: Diese Parlamentswahl läutet ja ein, dass Wladimir Putin sich möglicherweise lebenslang als Präsident Russlands installiert. Wie beschreiben Sie als Russland-Kenner dieses Phänomen Putin?

Schockenhoff: Putin ist ein Mann der Geheimdienste, ein Mann der alten Ordnung. Putin sagt heute, die Sowjetunion war ein Glücksfall für Russland, in der Sowjetunion gab es Stabilität, in der Sowjetunion wusste jeder, wo es langgeht. Putin ist kein Demokrat, und für Putin ist Wettbewerb, ist Erneuerung nicht der Weg zu Russlands Wettbewerbsfähigkeit, zu Russlands internationaler Größe, sondern Putin will – das sieht man auch außenpolitisch – mit Vorschlägen wie eurasische Union, Putin will zurück, Putin will eine Größe Russlands wiederherstellen, die in altem Denken behaftet ist, und das ist für Russland, das eine sehr rückläufige Demokratie hat – Demografie hat, Entschuldigung – Russland, das sich einseitig auf Energie und Bodenschätze stützt, kein Zukunftsprogramm.

Wuttke: Russland vor der Parlamentswahl am Sonntag und der Präsidentenwahl im März. Dazu im Interview von Deutschlandradio Kultur der Christdemokrat Andreas Schockenhoff, Koordinator der deutsch-russischen Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Schockenhoff: Danke schön!


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