Purer Luxus

Rezensiert von Dirk Fuhrig |
Was für England ein Rollys-Royce oder für Deutschland ein Mercedes ist, das sind für Frankreich die Initialen L und V. Das Edel-Label "Louis Vuitton" wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und verkauft seitdem hochwertige Reise-Accessoires. Paul-Gérard Pasols hat nun mit seinem Buch "Louis Vuitton. Die Erfindung des Luxus" nicht nur eine Firmenbiografie, sondern auch eine Kulturgeschichte der schönen Dinge und eine Bestandsaufnahme von 150 Jahren Lust am Kaufen vorgelegt.
Juliette Gréco, die Muse des Existentialismus, kniet vor einem geöffneten Koffer und packt eigenhändig ihre Reiseutensilien ein. Der Filmregisseur Roger Vadim hält eine Aktenmappe im Arm, während er einer Air-France-Maschine entsteigt. Zwei schlichte Koffer, die zu jener Zeit, Anfang der 60er Jahre, wie kaum sonst etwas französische Eleganz und Luxus repräsentierten.

Die dunkelbraunen Gepäckstücke, in regelmäßigem Muster mit den Initialen L und V bedruckt, wurden von den Sängern und Schauspielern der so genannten "Nouvelle Vague" geliebt – und gruben sich der Öffentlichkeit als exklusives Accessoire der Schön-Reich-Berühmten, auch der Exzentrischen, ins Bewusstsein.

Brigitte Bardot, die Ikone jener Tage, trug die Reisetasche Modell "Keepall" durch die Gassen von St. Tropez – und brachte die Marke damit auf die Fotos der Mode- und sonstigen Hochglanz-Magazine.

" Das erste Produkt war eine Tasche, die ich für meine Mutter gekauft habe mit 17 Jahren. Das war überhaupt der Zugang zum Luxus, zu Louis Vuitton überhaupt. Das war 1982, und damals war es wirklich noch ein absolutes Luxusprodukt, weil es noch nicht überall erhältlich war, so wie es heute ist. "

Herbert Gleißberg, ein früher Fan und treuer Kunde, der weite Wege nicht scheute, um an das begehrte Luxusprodukt zu gelangen. Denn bis in die späten 70er Jahre gab es die Taschen aus dem Hause Vuitton nur in Paris, Nizza oder London.

"Das Besondere daran war, dass es teuer war und unerreichbar schien. Das war das ganz Besondere. [...] Übersetzt auf das Produkt war es so teuer, wie ein Porsche. Vor 20 Jahren kostete eine normale Tasche 50 Mark und eine Louis-Vuitton-Tasche 500. Das war immens viel Geld. "

Heute ist Louis Vuitton mit Hunderten von Läden auf der ganzen Welt vertreten. Zwar sind die Koffer, Taschen, Geldbeutel und mittlerweile auch Schuhe und Kleider immer noch höchst kostspielig. Rar und schwierig zu beschaffen sind sie nicht mehr.

Erfolgreiche Globalisierung à la francaise: Die Marke "Louis Vuitton" steht beispielhaft für die Transformierung eines einstigen Nischenprodukts für die gehobenen Stände zu einem Massenartikel. Diese Entwicklung vom 1854 gegründeten Handwerksbetrieb zum Weltkonzern beschreibt das Buch von Paul-Gérard Pasols mit Akribie. Dem Sujet angemessen, ist das Werk keine trockene Firmengeschichte, sondern ein opulent ausgestatteter Bildband, 500 satte Seiten dick, mit Hunderten teils ganzseitiger Fotos und in bester Qualität gedruckt. Selbst ein Luxusprodukt: 130 Euro für ein Buch sind viel. Der Preis relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass man dafür in einem Laden der Kette vielleicht gerade mal ein Schlüsseletui bekommt.

Louis Vuitton ist keine beliebige Edel-Marke, sondern ein Phänomen. In der Geschichte des lange Zeit als Familienunternehmen geführten Hauses spiegelt sich die Entwicklung von der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zur modernen Konsumkultur. Im Frankreich des Zweiten Kaiserreichs belieferte Louis Vuitton den Hof und die Großbürger mit den damals revolutionären Holzkoffern mit Metall-Beschlägen, mit denen sich auch in den neuen, hochmodernen Verkehrsmitteln, den Zügen nämlich, standesgemäß reisen ließ. Auch für Atlantiküberquerungen per Schiff und viel später für die ersten Flug-Reisenden waren die Überseekoffer aus der Pariser Taschen-Manufaktur die edle Wahl.

"Die Erfindung des Luxus", wie das Buch heißt, ist daher schon etwas mehr als eine autorisierte Firmenbiografie und schmeichelnde Hommage an den großen Gründer Louis – die es natürlich auch ist. Es ist eine Kulturgeschichte der schönen Dinge, eine Bestandsaufnahme von 150 Jahren Lust am Kaufen.

Beim Blättern in den alten Aufnahmen kann man versinken in der Welt der ersten Fernreisenden, in einer Zeit, als das Wort "Urlaub" noch nicht erfunden war und Ausflüge in ferne Länder zu den exotischen Beschäftigungen gehörten. Die Firmenchefs, die Fotos aus der Belle-Epoque, von der Pariser Weltausstellung, dem Bau des Eiffelturms. Die alten Werbplakate und Zeitungsannocen, die ersten Verkaufsläden – Dokumente der Wirtschaftgeschichte.

Fürsten und Staatsmänner reisten mit dem braun-goldenen Gepäck, dessen Design bis heute kaum verändert wurde, zumindest bei den klassischen Produkten, den Koffern. – Die im Übrigen heute, im Zeitalter der handlichen Rollen-Trolleys, wie liebenswerte Dinosaurier wirken.

" Der eigentliche Reiz an der Marke liegt eher - wenn man mal betrachtet, was es mal war, ist es das teure Reisegepäck, die Holzkoffer, die großen Koffer, die wirklichen Luxusteile. Weniger die Handtaschen und Geldbeutel, die man überall sieht mittlerweile. Die Marke wird verkörpert durch das, was es früher einmal war."

Die Erben des Louis Vuitton haben es über anderthalb Jahrhunderte hinweg verstanden, sich den Veränderungen der Gesellschaft anzupassen und immer wieder neue Märkte zu erschließen. Vor allem in Japan und anderen Ländern Asiens werden heute die großen Umsätze gemacht und die auch architektonisch spektakulärsten Läden eröffnet. In China wird die Marke hemmungslos imitiert – Taschen und Etuis mit dem LV-Zeichen zählen zu den am häufigsten illegal kopierten Produkten überhaupt. Über dieses Phänomen schweigt sich das Buch verschämt aus. Und widmet sich lieber den Verbindungen der Marke zur Kunst: Der Maler Salvador Dali hat sich mit dem legendären Monogramm beschäftigt, der Regisseur Robert Wilson hat schon einmal Schaufenster mit den Produkten gestaltet. Und der Schweizer Reise-Schriftsteller Blaise Cendrars soll sogar den Werbespruch-kompatiblen Satz gesagt haben: "Aufbrechen heißt zu Vuitton gehen".

Die Pariser Zentrale der Firma auf den Champs-Elysées wurde vor wenigen Wochen zu einer Art Galerie umgestaltet, in der das Kunsthandwerk des Louis Vuitton gleichberechtigt neben "echter" Kunst präsentiert wird. Auch dafür ist die legendäre Marke ein Prototyp: für die immer komplizierter werdende Verquickung zwischen Kunst und Kommerz.

Paul-Gérard Pasols: "Louis Vuitton. Die Erfindung des Luxus"
Ins Dt. übertr. von Claudia Caesar
Collection Rolf Heyne, München 2005
130 Euro