Pünktlicher Hang zum Schlamassel

Dies ist bereits der zwölfte Romanauftritt der inzwischen 25-jährigen Privatdetektivin Vic. Beide – die Autorin Sara Paretsky und ihre Figur - genießen Kultstatus. Die Detektivin ermittelt in Chicago mit Vorliebe in Gegenden, die man sozialer Brennpunkt nennt. Illusionslos und dickköpfig hält sie dennoch an ihren Idealen fest.
Fünfundzwanzig Jahre wird Victoria Iphigenia Warshawski in diesem Februar, Privatdetektivin in Chicago und das Geschöpf der Krimiautorin Sara Paretsky. 1982 erblickte sie das Licht der Bücherwelt, indem sie sich ohne Wimpernzucken sämtliche Blessuren zuzog, mit denen Hardboiled-Krimifans rechnen dürfen - bis dato allerdings kaum je an einer Frau.

"Feuereifer" ist der zwölfte Romanauftritt von Ms. Warshawski, genannt V.I. oder Vic. Tori dagegen hat lange niemand mehr zu ihr gesagt, und dass es jetzt und hier passiert, verstärkt nur ihr unbehagliches Gefühl: Bron Czernin grölt ihr diesen Kosenamen entgegen, den eigentlich nur Vics Cousin benutzen durfte, und der ist tot. Prompt fällt ihr als Konter gegen den Übergriff erstmal nur sein - bezeichnender - Spitzname ein: Romeo. Es sind solche scheinbar nebensächlichen mikrokosmischen Szenen, mit denen Sara Paretsky Vics ganzen Kosmos aufreißt, seine Atmosphäre, seine Spannung, seine Komplexität - kurz seine Emotionalität.

Vic Warshawski hat sich wieder mal breitschlagen lassen, aus Solidarität. Sie übernimmt das Basketball-Training eines wilden Haufens von Schülerinnen in dem Teil von Chicago, aus dem sie stammt und den sie hinter sich gelassen glaubte: der South Side. Sozialer Brennpunkt heißen solche ausgekernten ehemaligen Arbeiterviertel. Industrie- und Häuserruinen, die aussehen wie "Der Schrei" von Munch mit ihren Fensterlöchern ins unbehauste Dunkel.

Kaum ein Erwachsener hat Arbeit, kaum ein Jugendlicher Aussicht darauf. Die Basketball-Mädchen orientieren sich an Streetgang-Chic, christlich-fundamentalistischem Irrsinn oder beidem. Und wieder mal tun sich hinter persönlichen Konflikten Abgründe auf, werden große - politisch gewollte, mit Geld und Gewalt durchgesetzte - Schweinereien aufgedeckt.

Diesmal geht eine kleine Flaggenfabrik in Flammen auf, die ein paar South-Sidern einen dürren Lohn geboten hatte, und mit ihr der Besitzer. Und es gibt eine Billigheimer-Kette namens By-Smart mit einem skrupellosen Patriarchen, Diadochenkämpfen in der nächsten Generation und einem Enkel, der die Mörderinstinkte seiner Sippe nicht mehr aushält und ausgerechnet mit einem der Basketball-Mädchen abhaut. Und schon ist Vic wieder da, wo sie hingehört - in der scheußlichen Wirklichkeit der Dreckecken der Moderne, so illusionslos wie dickköpfig an ihren Idealen festhaltend. Und wir mit ihr, dank Sara Paretskys Sprache, die ihrerseits so lakonisch-unpathetisch wie herzenswarm ist, was sich endlich auch auf Deutsch genießen lässt, seit Sibylle Schmidt sie übersetzt.

Paretsky/Warshawski sind das paradigmatische Gespann einer der großen Erfolgsgeschichten des Buchmarkts am Ende des letzten Jahrhunderts. Denn eine solche war die von ein paar Autorinnen mit feministischem Kopf betriebene Einführung der Figur der Privatdetektivin. Beide – die Autorin und ihr "Private Eye" - genießen Kultstatus. Und zu Recht - wenn man sich dafür interessiert, dass das Drama des Alltäglichen heutzutage vor allem in der Kriminalliteratur verhandelt wird. "Ich nehme mal an, dass ich vor allem aus Interesse am Leben anderer Leute Detektivin geworden bin", erklärt Vic einmal ihren pünktlichen Hang zum Schlamassel. Sara Paretsky ist aus demselben Grund Schriftstellerin.

Rezensiert von Pieke Biermann

Sara Paretsky, Feuereifer, Roman,
Deutsch von Sibylle Schmidt,
Goldmann Verlag, München 2007,
HC, 440 Seiten, 19,95€