Puccini-Schmachtfetzen mit China-Schnickschnack

Von Jörn Florian Fuchs · 03.12.2011
Halbnackte Animateusen, banale 3D-Effekte und chinesische Schriftzeichen: Die neue "Turandot"-Inszenierung in München setzt auf technikverliebte Trash-Ästhetik - und bildet einen absoluten Tiefpunkt nicht nur der laufenden Opernsaison.
Draußen, in der Münchner Kälte, werden noch verzweifelt Karten gesucht, drinnen unterhält sich Peter Sloterdijk angeregt mit Uschi Glas. Advent an der Bayerischen Staatsoper. Der erste Auftritt des lang ersehnten Maestros bei einem noch länger ersehnten Stück führt zu Jubelstürmen, bevor Zubin Mehta noch eine einzige Note zum Erklingen gebracht hat. Von Erklingen kann im Folgenden freilich kaum die Rede sein, es wirkt, als habe da jemand sein Hörgerät verloren. So laut, so wuchtig, so krachend dirigiert Mehta diesen Puccini-Schmachtfetzen, wobei sich in die aufgeheizten Passagen allmählich durchaus sanfte, die Sänger regelrecht umschmeichelnde Töne einfügen. Ein zwiespältiges, aber letztlich doch akzeptables Ergebnis. Eindrucksvoll ebenso die von Sören Eckhoff präparierten Chöre, fast geschlossen die Ensembleleistung: Jennifer Wilson gibt eine prägnante, aber nicht überragende Turandot, Marco Bertis Calaf glänzt nicht nur in den Spitzentönen, brillant der Timur des Alexander Tsymbalyuk, die wirklich überragende Leistung des Abends liefert allerdings Ekaterina Scherbachenko als Liù.

Liù wird zu Tode gefoltert, weil sie der eiskalten Prinzessin den Namen des Rätselkönigs nicht übermitteln will. Calaf war es, der die drei Aufgaben löste und so eigentlich zum Gatten Turandots werden sollte. In München endet das Ganze tatsächlich mit Liùs Tod, auf die Ergänzungen von Alfano oder Berio, auf eine glückliche Vermählung, wird verzichtet. Das ist auch gut so, weil es ja - leider - auch noch eine Regie gibt und von der hat man rasch die Nase bzw. die Augen voll. Carlus Padrissa von der vor längerer Zeit mal innovativen Theatertruppe La Fura dels baus wollte die Geschichte in eine rund 30 Jahre entfernte, europäische Zukunft verlegen. China hat den alten Kontinent mittlerweile quasi aufgekauft, es herrscht emotionale und spirituelle Eiszeit.

Was ist auf der Bühne zu sehen? Die Hauptfiguren singen fast unbeweglich an der Rampe, der Chor kommt in absurden Overalls, grellem Chinoiserie-Schnickschnack oder futuristischen Lichtanzügen daher. Schwarz lackierte Athleten turnen durch die Luft, Henker mit Hackebeilchen laufen Schlittschuh, halbnackte Animateusen wirbeln herum, rote Wolken und Feuerzeichen ziehen vorbei - es ist wirklich unfassbar, wie Padrissa und seine Schergen die Bühne des Nationaltheaters zurümpeln.

Im zweiten Akt agieren die glatzköpfigen Minister vor zahllosen Plastikschädeln, im dritten Akt flimmern Kanjis, bevor Liù in einem Bambuswald gepfählt wird. Turandots Thron wirkt wie ein Weihnachtsbaum aus schmutzigem Eis, Calafs Vater Timur sitzt in einem grotesk orangefarbigen Rollstuhl, man könnte das minutenlang weiter aufzählen. Wo spielt die Sache nun? Das bleibt völlig rätselhaft, chinesische Schriftzeichen gibt es schließlich heute überall, in China, in New Yorks Chinatown oder hinter dem Münchner Hauptbahnhof. Und schlecht gekleidete Leute in Future Couture bevölkern in rauen Massen die globale Clubszene und das Internet.

So weit, so schlecht. Am dümmsten, am dreistesten jedoch ist der im Vorfeld viel beworbene Einsatz von 3D-Technik. Mittlerweile weiß jeder, dass man mit entsprechenden Brillen im Kino schöne Raumwirkungen erleben kann, was bietet München? Uralt-Brillen mit rotem und grünem Plastikauge, die banale abstrakte Formen und einmal auch eine Vergewaltigungsszene ein wenig "erweitern". Das Auf- und Absetzen der Brillen sorgte im Saal dabei jeweils für minutenlanges Rascheln und Knistern.

Die Münchner-Turandot Inszenierung stellt mit ihrer rein oberflächlichen, technikverliebten Trash-Ästhetik einen absoluten Tiefpunkt nicht nur der laufenden Opernsaison dar. Sie ist reif für die Wertstofftonne.