Publizistin Roedig über die LGBTQI-Community

"Einfach nur schwul oder lesbisch ist ein bisschen out"

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Das Foto zeigt eine Gay Pride-Parade in Frankreich. Eine Person tanzt vor einer Regenbogenfahne - dem Merkmal der LGBTQI-Community.
Die LGBTQI-Community definiert sich weniger über "männlich/weiblich", sondern eher als "fließend". © picture alliance/dpa/MAXPPP/Florian Salesse
Andrea Roedig im Gespräch mit Gesa Ufer · 19.08.2019
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Derzeit gerät der "alte weiße schwule Mann" in Misskredit. Die junge Generation spricht von "LGBTQI", die alte fühlt sich in ihrem jahrelangen Kampf nicht genug gewürdigt. Publizistin Andrea Roedig sagt, auf beiden Seiten brauche es mehr Offenheit.
Es scheint ein handfester Generationenkonflikt zu sein, der sich derzeit in der lesbisch-schwulen Community abspielt, deren jüngere Vertreter eigentlich nur noch von LGBTQI sprechen (Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer Intersexual). Sie werfen den "alten weißen schwulen Männern" vor, antifeministisch und rassistisch zu sein und so dem breiten Spektrum der Community nicht gerecht zu werden.
Wer sich heute zu dieser zähle, spreche von sich weniger als schwul oder lesbisch, sondern betrachte sich selbst als "non-binary und viel queerer – das heißt: viel flüssiger – aber dafür auch in einer gewissen Weise politischer auf anderen Ebenen", sagt die Publizistin Andrea Roedig. Das wiederum bedeute: "Es sollen immer migrantische Aspekte mitbenannt werden, es sollen antikapitalistische Aspekte mitbenannt werden, antipatriarchale Aspekte. So gehen die Linien gegeneinander."

Alte Aktivisten fühlen sich nicht gewürdigt

Die "Alten" dagegen fürchteten, von den jüngeren Aktivisten und Aktivistinnen unterwandert zu werden und bald kein Mitspracherecht mehr zu haben – das zeigt etwa ein Konflikt im Schwulen Museum in Berlin, wo es um die Hoheit über das Ausstellungsprogramm geht.
Alte Aktivisten wie etwa Elmar Kraushaar oder Jan Feddersen werfen den Jungen vor, sie wüssten die Kämpfe der alten Generation unter anderem um die gleichgeschlechtliche Ehe und das Adoptionsrecht für schwule oder lesbische Paare nicht zu würdigen, sagt Roedig.
Die Publizistin kann das nachvollziehen, sagt jedoch: Auf beiden Seiten müsse es mehr Offenheit und Verständnis für die Sichtweise der jeweils anderen Generation geben. Es gebe "ähnliche Ziele, die sich einfach jeweils anders äußern".

"Jemanden auszuschließen ist das Schlimmste"

Ein deutlicher Unterschied zu den frühen Jahren der schwul-lesbischen Bewegung sei der Inklusionsgedanke, sagt Roedig: "Heute sollen alle eingeschlossen sein und auch benannt werden. Jemanden auszuschließen oder zu diskriminieren ist sozusagen das Schlimmste, was passieren kann." Für die ältere Generation dagegen sei es teilweise normal und sogar "comme il faut" gewesen, das jeweils andere Geschlecht auszuschließen.
Ein weiterer großer Unterschied: Früher sei die Selbstbeschreibung "schwul oder lesbisch", im Sinne von "wen begehre ich: Frauen oder Männer" wichtig gewesen und habe die Identität bestimmt . "Heute geht es um eine Selbstbeschreibung, die das Geschlecht in den Vordergrund rückt." Einfach nur "schwul oder lesbisch ist heute ein bisschen out".
(mkn)
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