Psychotherapeutinnen in Ausbildung

Schuften für einen Hungerlohn

Protestieren gegen die Ausbeutung während der Ausbildung: Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung vor dem Charité Campus in Berlin.
Protestieren gegen die Ausbeutung während der Ausbildung: Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung vor dem Charité Campus in Berlin. © Christoph Schäfer
Von Christoph Schäfer · 17.12.2018
Psychotherapeutinnen in Ausbildung arbeiten als vollwertige Arbeitskräfte für etwa 1,40 Euro pro Stunde. Dagegen haben sie nun in Berlin protestiert. Sie fordern ein Ausbildung ohne Ausbeutung und Existenzängste.
"Warum sind wir angepisst? Weil der Lohn Verarsche ist! Wo ist unser Lohn? Wo ist unser Lohn?"
PiA protestiert - die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung oder ihnen zufolge "in Ausbeutung"- heute vor der Charité. Die Forderung der PiA: Mehr Lohn im Rahmen ihrer praktischen Tätigkeit an Praxen oder Kliniken. Sie haben alle ein Masterstudium absolviert, seien vollwertige Arbeitskräfte, bekämen aber nur 1,40 Euro pro Stunde - als Praktikanten.

"Es wird niemand kommen, der uns rettet"

"Und warum das Ganze: Ich glaube, es ist unheimlich wichtig, sich aus dieser Situation der Abhängigkeit und Ohnmacht zu befreien, auch für die eigene Selbstwirksamkeit," erklärt Olga, 28 Jahre alt und ebenfalls angehende Psychotherapeutin im dritten Ausbildungsjahr. Sie hat die Demonstration mitorganisiert.
"Es wird niemand kommen, der uns rettet. Das müssen wir schon selbst aufstehen."
Olga arbeitet circa 50 Stunden in der Woche: an der Klinik, im Ausbildungsseminar an einem privaten Institut und im Nebenjob.
Reporter: "Wie viel bekommst du im Rahmen deiner Tätigkeit, wie viel musst du zahlen für deine Ausbildung, wie viel musst du eigentlich noch dazuverdienen, damit du überleben kannst?"
"Ich bekomme in der praktischen Tätigkeit in der Psychiatrie 350 Euro im Monat, meine Ausbildung kostet 700 im Monat und dann habe ich natürlich noch nicht gegessen und noch keine Miete gezahlt. Das heißt, ich brauche noch einen Job, der mich trägt. Und letztlich, alles zusammen gezählt, brauche ich so 1400 Euro, um irgendwie überleben zu können. Dann komme ich halt so auf Null raus, sage ich mal."

Kredit aufnehmen oder auf Erspartes zurückgreifen

Olga hat Erspartes, einen Kredit hat sie nicht aufgenommen für ihre Ausbildung an einem privaten Institut, die circa 70.000 Euro kostet.
Vielen PiA ginge es ähnlich. Der Verdienst für die praktische Tätigkeit an Kliniken: zwischen 150 Euro und 850 Euro brutto im Monat. Ein Kredit sei üblich, zwei Nebenjobs nicht ungewöhnlich. Dadurch ziehe sich die Ausbildung auch um mehrere Jahre in die Länge.
"Die Klagen sind ja nicht neu," betont Professor Thomas Fydrich. Er leitet das Zentrum für Psychotherapie an der Berliner Humboldt Universität: "Sie sind seit 15 Jahren, würde ich sagen, absolut berechtigt. Weil: Das jetzige Psychotherapeutengesetz, nach dem die Ausbildung durchgeführt wird, hat bestimmte Strick- oder Webfehler."
Das Psychotherapeutengesetz trat 1999 in Kraft und regelt seitdem das Curriculum der PiA. Für die praktische Tätigkeit an Kliniken seien für PiA aber keine Stellen vorgesehen gewesen. Deshalb werden sie heute offiziell nur als Praktikanten geführt. Mit dieser Prämisse begründet laut Fydrich die prekären Arbeitsbedingungen für die PiA heute.
Ein solches Praktikum können PiA über ihre Ausbildungsinstitute finden, die mit Praxen und Kliniken kooperieren. Im Zuge ihrer praktischen Tätigkeit trauen sich manche PiA aber nicht, für bessere Arbeitsbedingungen einzustehen – aus Abhängigkeitsverhältnissen und Ängsten gegenüber den Kliniken. Olga will nicht, dass die Klinik, an der sie in der Psychotherapie arbeitet, namentlich genannt wird.
"Es macht mir aber mehr Angst, nichts zu tun – offen gestanden. Weil das heißen würde, dass diese Situation sich sozusagen nicht ändern wird und damit viele Generationen von PiA immer und immer wieder diese gleiche Angstschleife durchlaufen."

Die Ausbildung soll verändert werden - bloß wann?

Prekäre Arbeitsverhältnisse und emotionale Belastung: Warum ändert sich nichts an der Ausbildung der PiA?
2009 erschien ein Forschungsgutachten zum Psychotherapeutengesetz, das das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben hatte.
Ein Referentenentwurf zur Novellierung des Psychotherapeutengesetzes liegt jedoch noch nicht vor. Der Plan des Ministeriums: ein Direktstudium "Psychotherapie" – inklusive erster praktischer Kenntnisse und einer Approbation bei erfolgreichem Abschluss, ähnlich wie in einem Medizinstudium. Damit fielen einige Ausbildungskosten für die Studierenden weg. Auf Nachfrage zum Referentenentwurf schreibt das Bundesgesundheitsministerium in einer E-Mail:
"Bitte haben Sie Verständnis, dass wir derzeit noch nicht auf Zeitpläne und die konkreten Inhalte eingehen können. Dazu bleibt der Referentenentwurf abzuwarten. Die Etablierung einer Direktausbildung ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD vorgesehen."
Ob dieser Entwurf noch diesen Dezember oder Anfang Januar 2019 vorgelegt wird? "Ja, das wird angestrebt."

Mehr Lehrpersonal wird benötigt

Ein Streitpunkt dürften die Kosten einer solchen reformierten Ausbildung sein, sagt Professor Fydrich voraus. Denn ein Direktstudium Psychotherapie dürfte teurer werden als ein Masterstudium in Psychologie: Es würde mehr Lehrpersonal benötigt werden, um die Studierenden besser auf die Praxis vorbereiten zu können. Seminare müssten kleiner sein und Kontakt zu Patienten ermöglicht werden. Für Fydrich ist klar, die steigenden Kosten einer solchen Ausbildung dürften nicht die Teilnehmenden zahlen:
"Künftig wird es so sein, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ganze an den Universitäten läuft. Das Studium wird aber nicht mehr zu dem Preis zu machen sein, wie es heute ist. Dann müssen die Länder wiederum zusagen, so ein Deal zwischen Bund und Land geht auch nicht so einfach. Die müssen sich einigen."
Das Psychotherapeutengesetz fällt zwar in den Bereich des Bundesgesundheitsministeriums, in Studienfragen entscheiden aber die Länder.
Und dann ginge es noch um eine mehrjährige klinische Weiterbildung nach dem Studium. Mit der soll die Kassenzulassung erlangt werden. Der Plan laut Fydrich: PiA arbeiten zukünftig als Assistenzpsychotherapeuten an Kliniken – zu adäquater Bezahlung, finanziert durch Krankenkassen oder Steuergelder.
Aktuelle PiA müssen laut Fydrich bei einer solchen Umstellung berücksichtig werden.
"Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut!"
Es gibt Ideen, wie die Situation der PiA verbessert werden könnte. Solange aber keine von ihnen umgesetzt ist, bleiben PiA laut. Olga wünscht sich für die Zukunft:
"Dass sich es nicht Standard ist, dass jeder Psychotherapeut, jede Psychotherapeutin in Ausbildung mit existenziellen Ängsten zu kämpfen hat."
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