Psychotherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn

"Ich habe das Gefühl, ich habe drei Köpfe"

06:04 Minuten
Eine psychotherapeutische Praxis mit einer anonymisierten Gesprächssituation.
In der Praxis der Psychotherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn entstehen viele ihrer Projektideen bei den Gesprächen mit ihren Klientinnen und Klienten. © picture alliance / Zoonar / Oleksandr Latkun
Von Mirjam Steger  · 08.10.2022
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Die Psychotherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn ist mit ihrer Familie als Kind aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Heute hilft sie in Bremen mit großem Engagement anderen Menschen beim Ankommen und sprüht vor Ideen für kreative Projekte.
Es gibt Menschen, die scheinen schier unerschöpfliche Energien zu haben. Saher Khanaqa-Kükelhahn ist definitiv eine von ihnen. Die 54-jährige Psychotherapeutin, die mit ihrer Familie im Alter von 16 Jahren aus dem Irak fliehen musste, behandelt nicht nur Menschen mit belastenden Erfahrungen wie Krieg und Flucht.
Sie stellt mit ihnen zusammen auch jede Menge Projekte auf die Beine. Damit gibt sie den Geflüchteten Halt in der Gemeinschaft fördert deren Deutschkenntnisse. Mitmachen ist ihr Credo - und das sei die beste Voraussetzung für eine lebendige Demokratie, so die irakische Kurdin.

Ständige Ideensuche

"Ich habe das Gefühl, ich habe drei Köpfe", sagt Khanaqa-Kükelhahn. "Und diese drei Köpfe diskutieren ständig miteinander." So entstünden ihre Ideen. Ob nun Theater mit geflüchteten Jugendlichen, eine Upcycling-Werkstatt oder eine Demokratieausstellung, die irakische Kurdin bewegt so einiges in ihrer Wahlheimat Bremen. Als selbstständige Psychotherapeutin sucht sie mit ihren Klientinnen und Klienten nach gangbaren Wegen und Lösungen.
"Da sitze ich in der Praxis mit einem Lehrer aus Syrien, der als Lehrer gearbeitet hat", erzählt sie aus ihren Alltag. Da gehe ihr dann durch den Kopf, wie der Mann mit Mitte 40 noch eine neue Sprache lernen soll, um wieder als Lehrer zu arbeiten. Beim Nachdenken über dessen Kompetenzen entstehe dann eine Projektidee..
Die Psychotherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn
Die Psychotherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn ist in Bremen in zahlreichen Projekten aktiv. © Mirjam Steger
Khanaqa-Kükelhahn hat ein zweites Büro in einem Bürgerzentrum im Bremer Stadtteil Vahr. Dort leben Menschen unterschiedlicher Herkunft. Unten befindet sich eine Nähwerkstatt, wo Migrantinnen aus alten Kleidungsstücken neue herstellen und von einer Designerin unterstützt werden. Die Idee ist in einem Sprachcafe´mit Kinderbetreuung entstanden. Im Projekt "The Next Generation" lernen Jugendliche Deutsch, in dem sie Stücke mit entwickeln und auf die Bühne bringen.

Nur drei Stunden Schlaf

All diese Projekte hat Khanaqa-Kükelhahn mit anderen Mitarbeitern entwickelt und dafür Förderanträge geschrieben. Sie ist ein einziges Energiebündel, vor allem nachts. "Ab elf Uhr bin ich richtig kreativ", sagt sie. "Da fange ich an, meine Ideen aufzuschreiben, welche Projekte noch gemacht werden soll, wer was machen soll."

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Für ihre MItarbeiterinnen sei dann das Problem, dass sie nichts davon vergesse. "Und da frag ich nochmal abends: Und? Habt Ihr das gemacht? Wie ist das gelaufen?" Schlaf sei überbewertet, meint die Psychotherapeutin. "Ich komme, seit ich denken kann, immer mit drei Stunden gut aus."

Fluchterfahrung in der Kindheit

Khanaqa-Kükelhahn lacht viel, spricht schnell und ihre Augen glänzen. Die Mutter von zwei Töchtern besitzt die Fähigkeit, in den kleinsten Dingen Großes und Schönes zu sehen. Dabei hatte sie es selbst nicht immer leicht. "Ich habe den Iran-Irak-Krieg noch miterlebt", erzählt sie.
Beide Eltern waren poltisch aktiv, sodass die Familie nach Deutschland flüchtete. Sie habe schnell Deutsch gelernt und sei in der Schule schnell aufgenommen worden. Nach drei Monaten hatte sie einen deutschen Freund, was beim Deutschlernen sehr geholfen habe.
"Ich war jung, ich war frech, ich war neugierig", beschreibt Khanaqa-Kükelhahn sich. "Ich habe Abi gemacht, ohne sitzenzubleiben." Dann folgte ein medizinisches Praktikum, denn sie wollte Medizin studieren. "Dann hatte ich aber doch keinen Bock mehr auf Medizin." Sie begann in Bremen Psychologie zu studieren.

Früh eine eigene Praxis

Mit 24 Jahren hatte die irakische Kurdin ihr Diplom in der Tasche und eröffnete bald ihre eigene Praxis. Bedarf gab es genug. Khanaqa-Kükelhahn spricht neben Deutsch und Kurdisch auch Arabisch und Türkisch und damit die Sprachen vieler Geflüchteter. Aus eigener Erfahrung weiß sie nur zu gut, wie wichtig es ist, Halt in einer Gemeinschaft zu finden und in einem Projekt. Sie sagt:

Im Stadtteil Vahr sind ganz viele Projekte. Das sind wie ganz viele leuchtende Sterne. Dann müsste man einfach aus diesen Sternen ein Sternbild machen, in dem man von einem Stern zum anderen Stern, also von Projekt zu Projekt Verbindungen findet – auf einmal hat man so etwas wie ein Bild. Dann fühlt man sich in so einem Bild, einer Struktur, einem Netz, auch aufgehoben, weil man nicht verloren geht. Dafür brenne ich.

Saher Khanaqa-Kükelhahn, Psychotherapeutin

Ein solcher Stern ist auch die Demokratieausstellung, die Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte gemeinsam konzipiert haben. Sie tourt als Wanderausstellung durch Schulen in Bremen und andere Städte und ist eine Mitmachausstellung.
Demokratie sei ihr persönlich sehr wichtig, sagt  Khanaqa-Kükelhahn. Nur sie ermögliche erst ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung.
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