Psychologin und Autorin Julia Onken

So wie du bist, bist du wunderbar

35:05 Minuten
Die Psychologin und Buchautorin Julia Onken sitzt an einem Schreibtisch und blickt in die Kamera.
"Meine Flügel waren immer da, aber sie waren zusammengefaltet": Julia Onken. © Monika Schwarz
Moderation: Ulrike Timm · 08.09.2021
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Mit 42 Jahren entdeckte Julia Onken die Wechseljahre als Kraftquelle für Frauen und Zeichen des Aufbruchs. Seitdem schreibt die Psychologin Bücher über Liebe und Beziehungen und verhilft Frauen zu neuem Selbstbewusstsein.
Die Einladung zu einem Klassentreffen schenkte der Psychologin und Buchautorin Julia Onken eine so schlichte wie zutreffende Einsicht: "Ich bin jetzt auch in diesem Alter." Denn statt der Jungen und Mädchen, an die sie sich erinnerte, stolperten ihr alte Menschen mit Gehhilfen entgegen.
Diese Erfahrung und das Annehmen der eigenen Verletzlichkeit und Vergänglichkeit inspirierten sie zu ihrem Buch "Klassentreffen".
"Es ist ja altbekannt, dass uns die ersten Eindrücke im Leben prägen", sagt sie. "Mit dem Eintritt ins Schulleben lernen wir andere Familien, andere Leben kennen. Wir schauen durch ein neues Fenster in die Welt."

Vom eigenen Erleben zu allgemeinen Mustern

Vom eigenen Erleben auf allgemeingültige psychologische Muster zu schließen, ist ein Prinzip in Julia Onkens Schreiben. Dabei sind Humor und ein gerütteltes Maß Distanz zum Selbst wichtige Zutaten.
"Mir geht’s immer sehr gut, wenn ich nicht in den Spiegel schaue", sagt sie. "Das Älterwerden befreit uns von dem Bemühen, der Männerwelt gefallen zu wollen. Wenn ich älter werde, kann ich machen, was ich will."
Man müsse nicht wie sie Feministin sein, um zu erkennen, dass das Älterwerden für Frauen auch ein Akt der Befreiung und Selbstermächtigung sein könne.
Julia Onkens Weg zur erfolgreichen Paartherapeutin, Dozentin und Buchautorin war nicht unbedingt vorgezeichnet. Sie wuchs am Schweizer Ufer des Bodensees auf, ihr Vater, ein Fischer, fuhr regelmäßig über den See zu seinen Verwandten nach Deutschland und nahm sie mit. Der Bodensee ist für sie bis heute Heimat und Tor zur Welt zugleich.
Als Schweizerin das Kind eines Deutschen zu sein, verschaffte ihr früh die Erfahrung, anders zu sein. Dies auch im positiven Sinne, denn sie verstand, dass sie ihren Schweizer Schulkameraden in ihrer Fremdheit auch etwas voraushatte: einen weiten Horizont.
"Ich hatte eine Mutter, die mir das Gefühl gegeben hat, so wie du bist, bist du wunderbar," sagt die fast 80-jährige Julia Onken. Ein Aufenthalt in Lausanne und kulturbeflissene Freunde verhelfen ihr zudem zu einem tiefen Einblick in die Kultur – so wird ihr akademischer Weg geebnet.
Doch zunächst einmal erlernt sie den Beruf der Schreibwarenhändlerin und stolpert in eine Ehe mit Kindern. Hier fühlt sie sich sehr bald eingeengt: "Plötzlich konnte ich nicht mehr lesen, mein Lebensprogramm nicht mehr leben. Irgendwann war die Falle zu, ich war rund um die Uhr als Mutter eingespannt."

Die Scheidung als Befreiung

Sie erkämpft sich das Recht, neben der Kinderbetreuung zu studieren – nicht gegen den Willen ihres damaligen Mannes, aber gegen die Zug- und Fliehkräfte einer Gesellschaft, die Anfang der Siebzigerjahre in der Schweiz noch sehr konservativ ist.
Onken wird Paartherapeutin und arbeitet gleichzeitig im Strafvollzug – bis ihre Ehe scheitert. Ein Umstand, den sie heute als großes Glück bezeichnet. Denn nach der Scheidung beginnt sie zu schreiben.
"Meine Flügel waren immer da, aber sie waren zusammengefaltet. Mit dem Schreiben konnte ich fliegen", sagt sie. Dass sie aus ihrer Ehe herauskatapultiert wurde, sei das Beste, was ihr geschehen sei: "Meiner Freundin, die mir den Mann ausgespannt hat, bin ich bis heute dankbar."
Ihre Bücher über die Liebe zwischen Mann und Frau, das Alter und den Weg zu sich selbst, anfangs hektografiert und selbst verlegt, sind später Bestseller geworden. Heute gehört sie zu den erfolgreichsten Sachbuchautorinnen der Schweiz.
(AB)
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