Psychologie

Wie viel Gier steckt in uns allen?

09:20 Minuten
Illustration: Unterschiedliche Hände greifen nach Geld, das vom Himmel fällt.
Darf es noch ein bisschen mehr sein? Der Psychologe Patrick Mussel erforscht das Persönlichkeitsmerkmal Gier. © imago / fStop Images / Malte Müller
Patrick Mussel im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 11.03.2021
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Immer mehr haben wollen und vor allem viel mehr, als man eigentlich braucht: Was hinter der Gier steckt, wo sie sich im Alltag zeigt - und warum sie trotz allem so schwer zu definieren ist, erklärt der Psychologe Patrick Mussel.
Hand aufs Herz, hätten Sie das schnelle Geld abgelehnt, das den Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und Nikolas Löbel für die Vermittlung von Coronamasken-Deals winkte? Wenn nicht, könnte das auch daran liegen, dass zu Ihren Persönlichkeitsmerkmalen die Gier zählt.
Ein bisschen Gier stecke in uns allen, sagt Patrick Mussel, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Freien Universität Berlin. Der Wunsch danach, mehr als genug zu haben, reiche dabei allerdings nicht aus: Zum einen muss dieser Wunsch exzessiv sein, zum anderen gehört dem Psychologen zufolge auch dazu, diesen Wunsch umzusetzen, koste es, was es wolle.
Und so neigten gierige Menschen dazu, für das, was sie anstreben, bestimmte Grenzen zu überschreiten: "Das können moralische Grenzen sein. Das können aber auch rechtliche Grenzen sein. Das heißt, diesen Punkt zu finden, wo man sagt, nein, das mache ich nicht, obwohl ich es eigentlich will, das charakterisiert nicht-gierige Menschen."

Mogeln bei der Steuererklärung

Ein Alltagsbeispiel, an dem sich Gier manifestiert, ist dem Psychologen zufolge die Steuererklärung. "Nur die gierige Person würde an dieser Stelle so weit gehen, Steuern zu sparen und dabei Regeln zu brechen", betont Mussel. "Eine Person mit einer mittleren oder geringeren Ausprägung von Gier hätte vielleicht auch den Wunsch, weniger Steuern zu bezahlen. Aber sie würde nicht so weit gehen, dabei zum Beispiel Dinge nicht anzugeben, die angegeben werden müssen, sprich: eine Straftat zu begehen."
Der Punkt, ab wann etwas für jemanden genug ist, sei allerdings schwer objektiv zu bestimmen, räumt Mussel ein: "Es gab einmal eine schöne Szene aus einer Befragung einer offensichtlich betuchten Dame aus Charlottenburg. Die wurde mit einem sogenannten Money Cloak konfrontiert. An seinem Mantel klebten ganz viele Geldscheine und er hatte ein Schild um den Hals, auf dem stand: Nehmen Sie sich, so viel Sie brauchen!"
Die Frau habe sich alle Scheine genommen und wurde dann befragt, warum und ob sie denn wirklich alle brauche. "Und da meinte sie: Ja, sie braucht die für eine neue Handtasche. Das heißt, die Frage danach, wie viel man wirklich braucht und wann genug ist, die lässt sich nicht absolut definieren."

Gier als Ersatzhandlung

Was psychologisch hinter der Gier steckt, darüber gebe es bisher nur eine etwas spekulative Hypothese, sagt Mussel. Nämlich, dass Gier eine "Ersatzhandlung" für Dinge sei, die einem an anderer Stelle fehlten.
Das habe er an sogenannten Glaubenssätzen untersucht wie "Ich bin nichts wert", "Ich werde nicht geliebt" oder "Ich muss Leistung bringen, um geliebt zu werden".
"Und was wir zeigen konnten, ist, dass Personen, die diesen Aussagen zustimmen, höhere Werte auf Gier haben und sich auch im Laufe der Zeit stärker in Gier verändern, also die Gier stärker ansteigt."
(uko)
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