Psychologe: Ein Reiz, dem man sich kaum entziehen kann

Moderation: Marie Sagenschneider · 05.12.2007
Zurzeit befinden sich 43 Millionen Euro im Jackpot. Es sei sehr stimulierend, sich auszumalen, was man mit einem solchen Gewinn anfangen könne, meint der Berliner Psychologe Peter Walschburger. Dabei machten sich die meisten keine Vorstellung von dem Aufwand, eine solche Summe zu verwalten.
Marie Sagenschneider: Das Lotto-Fieber hat nicht nur Deutschland erfasst, sondern auch unsere Nachbarstaaten. Aus Polen, Österreich, Dänemark oder Frankreich wird reger Zulauf zu den grenznahen Lotto-Annahmestellen gemeldet. Teilweise hat sich der Umsatz glatt verdoppelt. 43 Millionen Euro liegen im Topf, was allemal reicht, um, sollte man sie gewinnen, sich wie Dagobert Duck zu fühlen und im Geld schwimmen zu können. Denn 43 Millionen Euro, fein säuberlich aufgestapelt in Ein-Euro-Münzen, würden immerhin einen Pool füllen, der fünf Meter lang, fünf Meter breit und zwei Meter tief ist. Und wenn der Jackpot nicht geknackt wird, wenn auch heute niemand die sechs Richtigen plus Superzahl trifft, dann wird sich der Pool noch vergrößern. Die Gewinnsumme noch absurder werden, bis zu 100 Millionen Euro sind drin. Wer braucht so viel Geld? Darauf dürften die wenigsten eine Antwort haben, aber solche Summen locken selbst die größten Lotto-Muffel. Warum? Darüber wollen wir nun mit Prof. Peter Walschburger sprechen, er ist Biopsychologe an der Freien Universität Berlin und befasst sich mit Spieltrieb und Spielsucht. Guten Morgen, Herr Walschburger!

Peter Walschburger: Guten Morgen, Frau Sagenschneider!

Sagenschneider: Jetzt müssen Sie uns vielleicht erst mal in zwei Sätzen erklären, was ein Biopsychologe eigentlich ist.

Walschburger: Ein Biopsychologe befasst sich sozusagen mit Leib und Seele zugleich, also den Menschen betrachten von der biologischen Seite her und eben von der typisch psychologischen, von der menschlichen Seite her.

Sagenschneider: Na gut, dann kommen wir zum Lotto-Spiel. Wie steht es mit Ihnen, sind Sie auch dem Lotto-Wahn verfallen?

Walschburger: Nein, ich bin ihm nicht verfallen. Wahrscheinlich muss ich zu viel rational über solche Dinge nachdenken.

Sagenschneider: Na ja, schade eigentlich. Und Sie geraten jetzt auch gar nicht in Versuchung?

Walschburger: Doch, das muss ich gestehen. Und das ist auch für mich so ein interner Test, dass das, was ich da Ihnen sagen möchte, auch doch wohl stimmt. Nämlich die Menschen sind auch dann, wenn sie eigentlich wissen müssten, dass dieses Ereignis praktisch für sie nicht zutreffen wird, lebenspraktisch gesehen, doch diesem Sog, der durch den starken Anreiz dieses hohen Geldes ausgelöst wird, absolut verfallen. Und dem kann ich mich auch nicht ganz entziehen.

Sagenschneider: Wie erklärt sich das denn? Wir erleben ja dieses Phänomen, je höher die Summe, desto größer der Sog.

Walschburger: Also die Summe wird immer höher und immer höher, aber man muss sehen, dass die Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass wenn man auf die andere Seite mal denkt und überlegt sich eine ähnliche Wahrscheinlichkeit, ums Leben zu kommen bei der nächsten Autofahrt oder so ähnlich, dass wir da überhaupt nicht daran denken.

Sagenschneider: Da will man ja auch nicht unbedingt dran denken.

Walschburger: Eben.

Sagenschneider: Es ist ja auch viel schöner, sich auszumalen, man würde was gewinnen.

Walschburger: Ganz recht. Das ist der zentrale Mechanismus meines Erachtens, dass unsere rationale Geistestätigkeit ganz stark moduliert wird durch positive oder negative Stimmungen, Gefühle oder Anreize in der Umgebung, durch gigantische, positive Möglichkeiten oder eben auch durch fürchterliche Risiken. Normalerweise blendet man die negativen Seiten aus bei gleicher geringer Wahrscheinlichkeit und die positiven Dinge, denen kann man sich nicht entziehen, obwohl die Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass sie wie gesagt eigentlich ausscheiden. Die Mathematiker, die ja auch immer wieder dazu befragt werden, zum Beispiel ein Kollege von mir aus der FU hat da immer wieder Stellung nehmen müssen, die versuchen dann, den Leuten es so klar zu machen, dass sie diese fürchterlich geringe Wahrscheinlichkeit von etwa 1 : 140 Millionen umsetzen in bildhafte, lebenspraktische Vollzüge. Und da kommen dann so aberwitzige Dinge heraus, dass man genau merkt, das wird für mich wohl ausscheiden. Aber so ist der Mensch nicht gebaut. Er starrt, er muss starren auf diesen starken Anreiz, es zieht ihn etwas an, was eine sehr positive Stimmung macht. Man kann ja gleich seine Fantasien entfalten, was man mit dem Geld täte. Der Mensch kann eben aus seinem aktuellen Lebenszusammenhang leicht ausbrechen mit seiner Gedankenwelt und Träumen.

Sagenschneider: Gut, aber er könnte ja rein theoretisch, wenn wir jetzt beim Lotto-Spiel bleiben, jede Woche träumen. Es gibt jede Woche etwas zu gewinnen, das sind auch nicht wirklich kleine Summen, die man gewinnen kann. Jetzt ist es gigantisch, fast schon unvorstellbar. Und man denkt ja instinktiv, den meisten Leuten würde es reichen, wenn sie vielleicht ein paar Tausend Euro, vielleicht 100.000 Euro, vielleicht auch sagen wir eine Million gewinnen würden. Das würde ihr Leben doch schon schöner und etwas bequemer machen. Und trotzdem entsteht dieser Sog aber erst, wenn es um 30 Millionen, 43 Millionen geht, also um Summen, die eigentlich jenseits der Vorstellungskraft doch vieler sind.

Walschburger: Aber da kommen ja mehrere Effekte zusammen. Zum einen durchbricht ein solches Einzelereignis wegen seiner Einzigartigkeit die Gewöhnung an die mittleren erwarteten Gewinne, die Sie eben so ganz rational erläutert haben. Das ist so der Normal-Lottospieler, der denkt, ich kann was nebenbei verdienen. Aber dieses Einzelereignis, das hebt sich heraus. Dann muss man aber auch daran denken, dass die Medien ja unglaublich daran tätig sind, daran wirken, dass dieses Herausheben eigentlich allumfassend wird. Wir können ja dem gar nicht mehr entgehen. Welchen Radiosender wir einschalten, welche Tageszeitung wir lesen, überall wird man konfrontiert mit dem Jackpot mit momentan 43 Millionen. Das heißt, die Fantasie wird permanent bombardiert. Das lässt einem eigentlich dann keine Ruhe mehr.

Sagenschneider: Glauben Sie, dass die meisten Leute eine Vorstellung davon haben, was sie tatsächlich mit so viel Geld anfangen würden?

Walschburger: Also im gewissen Sinne ja, im anderen Sinne nein. Das heißt, sie haben natürlich ihre Träume, die verbunden sind mit sehr viel Geldaufwand, also die Luxusyacht, die Weltreise und alles andere mehr. Aber worüber sie sich meistens keine Vorstellungen machen, das ist der Aufwand, der damit verbunden ist, eine solche Geldsumme zu verwalten. Denn das ist ja die Kehrseite der Medaille. Normalsterbliche sind ja nicht gewohnt, mit vielen Millionen Euro punktuellem Einkommen so umzugehen, dass sich ihre Lebenswirklichkeit auch glücklich gestaltet.

Sagenschneider: Gibt es eine Walschburger Forschung darüber, was ein hoher Lotto-Gewinn mit dem Gewinner anstellt? Denn so viel Geld, das ist klar, das verändert das Leben schon grundlegend, und das muss ja nicht immer glimpflich abgehen. Die Geschichten über gescheiterte Existenzen sind schon legendär.

Walschburger: Eben. Also ich kenne auch hauptsächlich Geschichten. Man kennt das ja von den professionellen Überbringern der Lotto-Nachricht, die da speziell geschult werden, um die Leute vorzubereiten und ihnen deutlich zu machen, dass sie aufpassen müssen, dass sie anonym bleiben und so weiter, denn die leben ja meistens in einem völlig anderen, viel ärmeren Umfeld. Ich kenne eigentlich auch nur Geschichten. Ich bin sicher, es gibt da eine Forschung, aber mir ist sie nicht im Gesamten vor Augen. Nur klar ist eines, es ist eine relativ große Schwierigkeit, damit umzugehen. Man darf auch nicht vergessen, dass eines immer wieder bestätigt wurde: Menschen adaptieren sehr schnell an ihr jeweiliges Niveau. Das kann man überall beobachten, und das ist auch gut beforscht. Das heißt, auch jemand, für den ein Lotto-Gewinn ein paar Tage lang das absolute Riesenglück bedeutet, der wird schnell nach einigen Tagen auf dieses Niveau kommen, sich adaptieren, sich mit den Leuten vergleichen, die ähnlich viel Geld haben. Und dann kommt leicht der Alltag wieder auf. Auch die Glücksforschung zeigt – die ist eigentlich auch da einschlägig, die über viele Nationen hinweg vergleicht, ob die reicheren Menschen, also die reicheren Völker, glücklicher sind als die ärmeren – die zeigt auch, dass das, was man auch aus dem Sprichwort kennt, Geld macht nicht glücklich, es beruhigt allenfalls.

Sagenschneider: Wenn man, Herr Walschburger, so viel Geld gewinnt, wie man es mit seinem Job im ganzen Leben nicht verdienen könnte, entwertet das eigentlich die bisherige Arbeit, mit der man seinen Lebensunterhalt bestritten hat?

Walschburger: Ja, also da sehe ich auch einen gewissen kulturkritischen Ansatz. Ob das jetzt die Medien hauptsächlich sind oder auch im Zusammenhang mit unseren Wertevorstellungen, aber medial ziemlich vermittelt entstehen doch immer mehr Möglichkeiten zu träumen vom großen Spielgewinn. Es gibt ja auch Millionenspiele im Fernsehen und anderes mehr. Immer mehr Menschen, glaube ich, versuchen da, den schnellen Weg zu gehen. Das ist auch eine große Herausforderung für die Jugend, sich nicht zu bescheiden in einem Arbeitsleben, was offenkundig nicht zu diesen Mengen an Vermögen führt.

Sagenschneider: Würden Sie soweit gehen zu sagen, dass in unserer Gesellschaft tatsächlich längst nicht mehr derjenige, der fleißig und bescheiden arbeitet, das Vorbild oder Rollenmodell ist, sondern eher der Spieler, derjenige, der unverhofft und ohne große Anstrengungen absahnt?

Walschburger: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber dass diese Tendenz anwächst – also aus meiner Sicht hauptsächlich durch die medialen Vermittlungen eigentlich immer nur, auch beim Leistungsethos, immer nur der einzig Allerbeste, also der einzige Herausragende, herauskommt, und schon der Zweite eigentlich der Verlierer ist und nicht mehr interessant ist. Das ist sicherlich ein ganz bedenklicher Punkt. Denn jeder hat ja auf seinem Niveau auch eine Optimalleistung, die er bringen kann, und die muss nicht dann weltweit die beste sein, dann ist sie trotzdem sehr gut für seine Verhältnisse. Also dieser Bezug, der mehr auf die engere Lebensumwelt bezogen war früher, der geht ein bisschen verloren durch diese Globalisierung der Information.

Sagenschneider: Was würden Sie denn einem möglichen Gewinner raten? Das, was man in diesen Tagen immer hört? Behalten Sie Ihre Lebensgewohnheiten bei, auch Ihren Job und sagen Sie Ihrem Chef nicht gleich, was Sie wirklich von ihm halten?

Walschburger: Absolut! Das wäre zunächst mal ein ganz guter Anfangstipp. Und dann vorsichtig sein, nicht zu viele Versprechungen machen und langsam sich daran gewöhnen.

Sagenschneider: Ein Rekord-Jackpot und der Lotto-Wahn – Prof. Peter Walschburger war das, er ist Biopsychologe an der Freien Universität Berlin. Herzlichen Dank!

Walschburger: Bitte sehr!