Psychologe: Das Vertrauen ist zerstört

Florian Becker im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Florian Becker, Markt- und Werbepsychologe an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, sieht durch die Finanzkrise das Vertrauen der Bürger in die Industrie zerstört. Dieses zerstörte Vertrauen werde langfristig auch die Werbebranche treffen, sagte der Wissenschaftler.
Liane von Billerbeck: Weniger als drei Millionen Arbeitslose in Deutschland, das war gestern die gute Nachricht. Wie lange noch, mit dieser Frage wird aus der guten Nachricht fix eine schlechte. Wer Angst hat, handelt nicht mutig und gibt auch sein Geld nicht so locker aus. Noch ist dieser Punkt nicht erreicht, doch er wird kommen, wird befürchtet. Und so denkt auch eine Branche über Strategien nach, deren Wohl an den guten Nachrichten hängt, die Werbung.

Mit welchen Strategien sie der Krise begegnen will, das wollen wir von Dr. Florian Becker erfahren. Er ist Markt- und Werbepsychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hat als Berater zahlreiche Industrieprojekte begleitet, darunter mit dem ADAC, der Deutschen Bank, mit Disney, UNICEF und Sony. Herr Becker, ich grüße Sie.

Florian Becker: Ja, ich grüße Sie auch.

von Billerbeck: Die Finanzkrise ist in Deutschland angekommen, merkt das die Werbebranche auch schon?

Becker: Die Werbebranche wird es merken und es merkt auf jeden Fall jeder, der mit Konsumenten zu tun hat, weil diese Finanzkrise Vertrauen zerstört. Und dieses Vertrauen ist relativ breit gefächert, das zerstört wird. Das trifft nicht nur unsere Politiker, es trifft eben auch die Eliten, die Institutionen, die Manager, die Banken und letztendlich die Unternehmen. Und dieses Misstrauen führt dazu, dass der Werbung an sich auch nicht mehr so viel geglaubt wird. Das heißt, Vertrauen ist was Emotionales, das geht auf breiterer Ebene verloren.

Das Zweite, wie es die Werbeindustrie trifft oder die Industrie insgesamt, die mit den Konsumenten zu tun hat, ist, diese Krise führt natürlich zu einer weniger guten Laune. Das sieht man am Konsumklima und anderen Indikatoren. Und schlechte Laune ist immer schlecht für den Konsum. Das heißt, Menschen, die in negativer, emotionaler Stimmung sind, die nehmen weniger wahr, da fokussiert sich die Aufmerksamkeit, die sprechen gar nicht mehr an auf Werbung, auf Informationen, auf Angebote. Und das ist insgesamt natürlich sehr schlecht und wird dann langfristig auch die Werbeindustrie treffen.

von Billerbeck: Aber man kann davon ausgehen, dass die Werbung sich darauf einstellt. Sie haben das Schlüsselwort schon genannt, Vertrauen. Da gibt es ja einen berühmten Slogan von der Deutschen Bank, "Vertrauen ist der Anfang von allem", Vertrauen ist aber auch das Ende, wenn es denn fehlt. Wie wirbt man denn nun für etwas, das Vertrauen verloren hat?

Becker: Das ist allgemein relativ schwierig. Um Vertrauen aufzubauen, ist Werbung alleine der falsche Weg. Es gibt sehr viele Untersuchungen und Forschungen, wie Vertrauen aufgebaut wird. Eine wichtige Sache dabei ist, überhaupt Zuverlässigkeit. Das heißt, man muss das, was man versprochen hat, auch halten. Und das ist natürlich schon ein Problem unter dem vor allem die Politik leidet, aber zunehmend auch gewisse Unternehmen. Das heißt, bisher war es eben undenkbar, dass eine Deutsche Bank Probleme kriegen kann oder dass ein Staat pleitegeht. Und jetzt haben wir genau in Island so was gesehen.

Und neben dieser Ehrenhaftigkeit, dass man zu seinem Wort steht, ist ein zweiter wichtiger Punkt für Vertrauen Kompetenz. Und der dritte Punkt, der der allerwichtigste ist für Vertrauen, das nennt man in der Wissenschaft Benevolenz, Wohlwollen gegenüber den Kunden. Der Kunde und der Konsument muss spüren, ein Unternehmen meint es gut mit ihm. Und diese Punkte sind eben einzuhalten, wenn man Vertrauen aufbauen will. Und Werbung alleine reicht da bei Weitem natürlich nicht.

von Billerbeck: Aber wie lange könnte es dauern und mit welchen Mitteln könnte Werbung dazu beitragen, Vertrauen, Kompetenz und den Eindruck, das Unternehmen würde mir wohlwollend gegenüberstehen, wieder herzustellen?

Becker: Die Werbung ist ja nur ein kleiner Teil im Marketinginstrumentarium letztendlich, das ein Unternehmen einsetzt. Die Werbung selber hat natürlich auch eine Krise zurzeit, was aber auch an anderen Dingen liegt.

von Billerbeck: An welchen?

Becker: Das liegt vor allem an der Globalisierung, die dazu geführt hat, dass deutsche Unternehmen im Ausland aktiv sind und ausländische hier. Das heißt, es gibt viel mehr Wettbewerb. Und jeder versucht, seine Produkte anzupreisen und zu verkaufen. Der zweite Punkt ist, die Produkte selber, die haben immer kürzere Lebenszyklen, das heißt, das neue Handy kommt immer schneller auf den Markt, das neue Auto auch.

Und wir müssen immer schneller Gründe finden, warum es jemand kaufen soll. Und es gibt immer weniger, wirklich technische Unterschiede. Das heißt, deswegen wird umso mehr kommuniziert. Deswegen hat die Industrie den Druck, Werbung zu machen, und das führt letztendlich dazu, dass wir über 3000 Werbeinformationen täglich im Durchschnitt auf einen erwachsenen Menschen haben. Eine Zahl, die man sich kaum vorstellen kann.

von Billerbeck: Ist der normale Mensch eigentlich überhaupt in der Lage, so viele Informationen werbender Art aufzunehmen und was ja für die Werbeindustrie und auch für die Firmen noch viel wichtiger ist, dann in Aktivität umzusetzen, das Handy eben zu kaufen?

Becker: Letztendlich ist der Mensch natürlich nicht dazu in der Lage, die 3000 Informationen aufzunehmen. Man spricht eben von Information Overload. Der zweite Punkt ist, die Werbung fängt dadurch an zu nerven. Sie belästigt uns überall. Sie tritt ein in unser Leben, ungefragt. Und das Problem ist, wenn Menschen Werbung generell ablehnen, dann wirkt die Werbung auch nicht mehr besonders gut. Das heißt, das ist einer der Haupteinflüsse auf Werbewirksamkeit.

Die Industrie an sich ist dabei, sich ein bisschen ihr eigenes Grab zu schaufeln durch diese massierte Werbung, durch diese vielfältigen Expositionen und der Trend geht natürlich dahin, neue Wege zu suchen. Das heißt, man versucht eben über PR, über Sponsoring, über Direktmailing innovativ auf Kunden zuzugehen und versucht eben aus diesem klassischen Bereich rauszugehen, der so umkämpft ist, indem man kaum mehr über eine Botschaft übermitteln kann.

von Billerbeck: Es ist jetzt nicht so, dass wir künftig zu erwarten haben, dass es wieder ja so etwas altbacken traditionelle Werbung gibt. Ich erinnere an die berühmte T-Shirt-Werbung von Trigema, die seit Jahren unverändert im Fernsehen lief und wo ich immer gedacht habe: Wen erreicht das eigentlich noch? Ist der deutsche Kunde so traditionell, dass solche Werbung tatsächlich zielgerichtet bei ihm ankommt und den entsprechenden Effekt zeigt?

Becker: Ich denke, der Markt für solche Hemden ist letztendlich sehr klein, der anvisiert wird. Was jetzt der Trend ist, ist individualisierte Werbung. Das heißt, man versucht, jedem Menschen idealerweise nur noch das zu zeigen, was ihn wirklich interessiert. Im Internet ist man da schon ziemlich weit, eben auch, weil man dort viel mehr Daten hat und Möglichkeiten, aber auch sonst im Direktmarketing und auch bei Außenwerbung, bei Plakaten, da wissen wir schon ziemlich genau, wer geht da an der Straße lang, was sind das für Menschen.

von Billerbeck: Wie bekommen Sie denn diese Informationen heraus, dass beispielsweise an dem Ort, an dem ich wohne, genau diese Information landet, die mich interessiert. Woher erfahren Sie das?

Becker: Das wissen die Marktforscher. Die sammeln Daten und es gibt eine sogenannte Nachbarschaftsaffinität. Das heißt, Menschen in einer Umgebung sind ähnlich. Sie haben da ein Arbeiterviertel und andere Viertel, Immigrantenviertel in einer Stadt. Das heißt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit weiß man, aha, hier sind Menschen, die können sich beispielsweise eine S-Klasse leisten oder nicht. Aber es geht noch viel weiter. Wir wissen dann auch, was haben die für Hobbys, was haben die für Interessen, was machen sie in der Freizeit, wie viel Geld verdienen sie, wie groß sind die Haushalte im Durchschnitt usw. Und das hilft uns.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur. Wie reagiert die Werbebranche auf die Krise. Das erläutert uns der Markt- und Werbepsychologe Florian Becker von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Eine Frage, die man sich ja immer stellt, ist die nach der Wirksamkeit von Werbung oder nach der Manipulierbarkeit des Kunden umgekehrt. Wie stark ist denn ein Kunde manipulierbar? Hat sich da was geändert?

Becker: Es hat sich nichts geändert, aber man weiß immer mehr, wie stark manipulierbar Menschen doch sind. Letztendlich ist es so, es gibt sehr viele Untersuchungen mittlerweile, die zeigen auch, dass vor allem Dinge, die wir gar nicht bewusst wahrnehmen, uns sehr stark beeinflussen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Je öfter wir ein Markenlogo sehen, desto sympathischer wird uns die Marke. Und je öfter wir es sehen, desto schneller erkennen wir es auch wieder.

Das führt dann dazu, dass Werbung wie Coca Cola oder Langnese, die überall präsent sind, dazu führen, dass diese Marke im Supermarkt schneller ins Auge fällt. Und wir wissen auch Dinge, die uns bekannt sind, werden eher ausgewählt, gerade in Bereichen, wo wir uns nicht so viele Gedanken machen. Das ist nur ein Feld. Aber auch gerade emotionale Werbung, da wissen wir mittlerweile, egal, ob wir merken, dass wir manipuliert werden, egal, ob wir das durchschauen, sie wirkt einfach.

von Billerbeck: Sie haben schon sehr viel erzählt, dass die Werbung ja nicht bloß durch die Finanzkrise getroffen werden wird, muss man ja noch sagen, weil noch ist sie in der Werbeindustrie ja offenbar nicht angekommen, sondern auch durch die Globalisierung. Schließen wir daraus, dass es so etwas wie Werbung für deutsche Kunden oder für englische Kunden gar nicht mehr gibt, sondern dass sie eben viel kleinteiliger werben, nach Geschlecht, nach Alter, nach regionaler Zugehörigkeit?

Becker: Ja, genau.

von Billerbeck: Und brauchen sie dafür, ob das noch einzufügen, weil Sie vorhin das Beispiel mit den Straßen brachten, nicht quasi Viertel, die sehr ähnlich sind, sehr gleich in ihrem Publikum und solche bunten multikulturellen, sehr unterschiedlich zusammengesetzten Wohngegenden sind eigentlich ein ganz schweres Feld für Werbekunden?

Becker: Na ja, auch diese bunten sind ja ein gewisses Feld. Das sind dann meistens Studentenviertel und man kann anhand der Postleitzahlen schon ganz gut Dinge festnageln. Nur im Internet geht es natürlich dann individuell und am Briefkasten auch. Und letztendlich gibt es auch viele neue Möglichkeiten der Werbung. Es gibt zum Beispiel jetzt eine Firma, da können Sie sich umsonst Fotos entwickeln und kriegen dann diese Fotos auch zugeschickt und das Einzige, was die Fotos von normalen unterscheidet, da ist rechts am Rand ein kleiner Werbestreifen.

Man versucht eben auch verschiedene Wege zu erreichen, dass die Werbung dann tatsächlich das ist, was den Kunden interessiert. Es wird natürlich nie so weit sein, dass wir nicht mehr belästigt werden von Werbung. Aber dieses Problem der wachsenden Akzeptanz von Werbung ist auch in der Industrie angekommen und man sucht Wege und die Wege werden auch immer besser, das zu umgehen.

von Billerbeck: Nun ist es aber in der Krise ja nicht nur so, dass Konsumenten Angst haben, Geld auszugeben, sondern auch die Firmen, die halten ihre Werbetats zusammen. Wie kann man denn als Werber mit solchen Angstkunden auf beiden Seiten Geld verdienen?

Becker: Die Werber haben es zunehmend schwer. Es ist eher so, dass, sage ich mal, in den klassischen Werbebereichen sehr viel wegfällt. Auch die Fernsehwerbung ist natürlich etwas, wo Kunden immer weniger bereit sind zu zahlen. Die haben alle große Probleme, die Vermarkter in dem Fernseh-, im Medienbereich, weil einfach zunehmend Filme im Internet angesehen werden und Menschen dann nicht mehr bereit sind, durch Werbung im Film gestört zu werden. Und der Trend wird da natürlich ganz massiv in Zukunft sich weiterentwickeln. Und da müssen die sich natürlich, die sich auf alleine dieses Geschäft fokussiert haben, neue Gedanken machen.

von Billerbeck: Welche Ideen hatten sie denn da schon?

Becker: Ja, zum Beispiel, es gibt viele Firmen, die in dem Bereich jetzt stärker PR gehen, dass sie eher auf Pressearbeit setzen oder Sponsoring oder Events oder auch Promotionaktivitäten, wie wir das kennen, dass jemand in der Fußgängerzone rumrennt und Proben verteilt oder eben auch so neue Sachen, dass die neue Werbung auf Fotos zugeschickt wird.

Das sind Dinge, da akzeptieren Menschen auch eher die Werbung, weil sie sehen, ich kriege auch eine Leistung, wo sich die Unternehmen natürlich dann auch Daten erheben von denen, die diese Werbung sehen und damit auch eher eine Werbung schalten, die wirklich das Interesse findet. Dieser klassische störende Bereich im Briefkasten, werden wir damit leben müssen.

von Billerbeck: Es sei denn, wir haben so einen Aufkleber dran "Keine Werbung erwünscht"?

Becker: Ja, dieser Keine-Werbung-Aufkleber, der hat, zumindest aus meiner Erfahrung noch selten jemanden abgehalten. Die einzige Methode, was man machen kann, das habe ich gehört von einer Dame, Sie können einfach durchstreichen und draufschreiben "Annahme verweigert" und wieder in den Briefkasten reinschmeißen, dann bekommt das der Absender zurück und das kostet ihn auch was. Und somit kann man erreichen, dass man aus den Listen ausgetragen wird, die solche Unternehmen verwenden. Das ist auch halt wieder eine aufwendige Strategie.

von Billerbeck: Ich weiß nicht, ob Sie sich jetzt bei der Werbeindustrie beliebt gemacht haben, Herr Becker. Aber ich danke Ihnen schön. Der Markt- und Werbepsychologe Florian Becker war das von der Ludwig-Maximilians-Universität München über die Strategien der Werbebranche in der Krise und überhaupt. Ich danke.