Psychogramm einer Wartenden

Von Rainer Zerbst |
Aus ihren „Heften aus Kriegszeiten“ schuf die französische Schrifstellerin Marguerite Duras 1985 das Buch „Der Schmerz“. Erzählt wird in Tagebuch-Form von der Rückkehr des totgeglaubten Mannes, der unerwartet das KZ in Deutschland überlebte. Corinna Harfouch hat für diesen Stoff am Staatstheater Stuttgart nicht nur die Regie übernommen, sondern steht auch auf der Bühne.
Zu Beginn erklingt das Chanson „J'attendrai“, in einer alten Aufnahme nebst alten Radionachrichten – J'attendrai – ich werde warten – Besser hätte der Einstieg nicht mehr ausfallen können, schließlich spielt der Text von Marguerite Duras in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, die Erzählerin, identifizieren wir sie ruhig mit Marguerite Duras, wartet verzweifelt auf ein Lebenszeichen von ihrem Mann aus einem Konzentrationslager.

Corinna Harfouch spricht Teile dieses Textes, den Marguerite Duras als Tagebuch bezeichnet – es sind Gedanken, die um die Frage kreisen – lebt er noch, werde ich ihn wiedersehen, mit allem was dazugehört, auch der Vision, dass er längst tot sein könnte.

Corinna Harfouch, die ja auch Regie führt, hat erfreulicherweise darauf verzichtet, den Prosatext szenisch auf die Bühne zu bringen, mit verteilten Rollen, schließlich erzählt sie, wie sie von Auffanglager zu Auffanglager irrt, um ihren Mann zu finden, das aber wäre platt gewesen. Sie zitiert stattdessen allein neutral in schwarz gekleidet den Text – und überlässt den Part von Mann und Frau zwei Tänzern: Anna-Luise Recke und Hermann Heisig, wobei die Tänzerin verzerrt sehnende Bewegungen macht, Heisig einen Mann mimt, der dem Tode nahe ist – und das entspricht ja auch der Realität. Wenn er am Ende doch in Paris auftaucht, ist er mehr tot als lebendig.

Als Bühnenbild dienen zahlreiche schwarze Quader, die mal wirr durcheinanderliegen, mal zu einer Art Mauer aufgebaut werden – Symbol einer Behausung, die jederzeit eingerissen werden kann. Freilich: Einmal dauert ein solcher Aufbau minutenlang – damit wollte die Regisseurin vielleicht das verzweifelte nicht enden wollende Warten deutlich machen, doch das erreicht sie nicht.

Faszinierend dafür die Musik von Johannes Gwisdek. Mal zitiert er verzerrt aus Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, mal macht er die Zerrissenheit der wartenden Person plastisch spürbar.

Am Ende freilich verliert die Regisseurin Harfouch jedes Zeitgefühl, lässt die Tänzerin einen langen Text über einen Denunzianten zitieren. Das macht Anna-Luise Recke zwar nicht schlecht, aber eine Harfouch ist sie nicht, und so zerfasert, was über Strecken hinweg ein spannendes Psychogramm war.