Psychogramm einer verzagten Seele

30.10.2007
Mauricio, der Held im neuen Roman des katalanischen Autors Eduardo Mendoza, ist Zahnarzt. Er lebt als ein unauffälliger Mensch in Barcelona. Die Begegnung mit einem ehemaligen Mitschüler bringt etwas Farbe in sein Leben. Er trifft zwei spannende Frauen und steigt in die Politik ein. Die katalanische Hauptstadt ist hier nicht so cool, wie die Reiseführer behaupten.
Mauricio Greis ist Zahnarzt im Barcelona der Achtziger, ein unauffälliger Mann, allein lebend, kultiviert und doch kein ganz angenehmer Typ: vom Wesen her "eher lustlos und schwermütig" (meint die Mutter), ein Gewohnheitstier, "versöhnlich und ziemlich weich" (das sagt der Autor). Ein Bürgersöhnchen, einst mit "Linksdrall" Richtung Mao, heute (so sieht er sich selbst) ein konventioneller, gar mittelmäßiger Mensch. "Und du – worin steckst du?", fragt einmal Mauricios Schwester. Und er erwidert: "In nichts. Kleine Geschichten."

Eines Tages – so beginnt der Roman – trifft Mauricio in der Zahnklinik einen früheren Mitschüler. Die Begegnung bringt Unruhe. Denn plötzlich sieht sich der Brave, der Spießer zu Entscheidungen gedrängt. Auf einer Party des Ex-Kameraden trifft Mauricio eine attraktive Frau, Clotilde, eine angehende Anwältin. Und ein paar Herren, Funktionäre der Sozialistischen Partei, beschwatzen Mauricio, er möge – "eine gewisse Verfügbarkeit" vorausgesetzt – das Volk erziehen helfen und im Wahlkampf als Kandidat der Sozialisten vor die Massen treten. Mauricio hat "nichts mit Politik zu schaffen". Aber biegsam, formbar, verfügbar, wie er ist, willigt er ein.

Eine Zeitlang tingelt der Zahnarzt nun durch Vereinsheime und agitiert tumbe Vorstädter für eine Sache, die ihm nicht nahegeht. Einmal erlebt er eine Folk-Sängerin, "Porritos", die Kifferin, im engen Pullover. Die Frau aus der Gosse fasziniert den Langweiler, so kommen sie sich näher.

Die Sozialisten verlieren die Wahl; der Zahnarzt kehrt der Politik ohne Blessur und Bedauern den Rücken, er vergisst den Ausflug einfach. Die Damen jedoch – Aufsteigerin Clotilde und Porritos, eine Klassenkämpferin im Abstieg – beschäftigen den Unentschlossenen, tagsüber und des Nachts, er fürchtet ein zufälliges Aufeinandertreffen. Mauricio müsste wählen, aber wieder kommt er drum herum: Am Ende stirbt die Porritos an Aids, Mauricio und Clotilde werden ein Paar.

Mehr passiert nicht auf knapp 400 Seiten. Drei Dinge sind eindrucksvoller als die Story. EINS: Das Psychogramm einer verzagten Seele, dieser Zahnarzt, hilflos in einer verworrenen Welt. Clotilde: "Du bist wie ein künstliches Gebiss – du kannst nur lächeln und weiche Dinge kauen." Mauricio: "Er dachte, wenn er in Kürze sterben müsste, hätte er ein recht langweiliges Leben aus nicht verwirklichten Projekten, frustrierten Hoffnungen und unerfüllten Träumen gelebt." ZWEI: Das wenig schmeichelhafte Porträt einer Region am Mittelmeer. Die Aufbruchstimmung nach Francos Tod 1975? Blasse Erinnerung, abgelöst durch Ermüdung, Ernüchterung, Egoismus. "Katalonien ist unregierbar", sagt Clotilde. "Wir sind es gewohnt, an der Peripherie eines inkompetenten Staates zu leben und auf Grund von heimlichen Kungeleien zu überleben, unter dem Schleier eines sentimentalen, selbstmitleidigen, selbstgefälligen Nationalismus." DREI: Das Bild einer ramponierten Stadt – Barcelona, nicht so hipp, so cool, wie die Reiseführer behaupten. Eher miefig, trist, recht provinziell.

Eduardo Mendoza (*1943) ist einer der Großen unter Spaniens Autoren. "Die Wahrheit über den Fall Savolta" machte ihn 1975 bekannt, zum größten Erfolg wurde 1986 "Die Stadt der Wunder" (über Barcelonas wilde Zeit ab 1888). Kenner rühmen Mendozas Kunst – seine Neigung zu Parodie und schrägem Humor; die Ironie, mit der er seine Figuren zeichnet und die Fallen, in die sie tappen; die oft beschauliche Inszenierung der possenspielartigen Handlung; Kaskaden lakonischer Sätze, wechselnd mit barocker Pracht. Der Autor sorgt für Kurzweil.

Nur mit Mühe entdeckt man die rühmenswerten Eigenheiten auch im jüngsten Roman. Bei kritischer Lesart wirkt das in Spanien hoch gelobte Buch (es erhielt im Vorjahr einen mit 150.000 Euro dotierten Verlegerpreis) so unentschlossen wie sein Protagonist, etwas fade in Erscheinung und Charakter. Es gibt Abhandlungen zur Innenpolitik, so trocken, als stammten sie aus einem Parteiprogramm. Es gibt einen konventionell-allwissenden Erzähler, einen von der Sorte, die ihre Figuren wie Marionetten sichtbar an Fäden führen. ("Inzwischen zerbrach sich Clotilde den Kopf...") Es gibt hölzerne Passagen, lieblos heruntergeschrieben. (Der Erzähler als Erklärer: "Der Strukturwandel in der Industrie brachte die Arbeiterklasse auf, und die Steuerbelastung machte sich auf allen Ebenen bemerkbar.") Und dann gibt es – zumindest in der Übersetzung – grammatikalische Schnitzer. ("Clotilde machte ihre Mutter wahnsinnig." Wer wen, bitte?)

Was zu rühmen bleibt: der für Mendoza typisch schonungslose Blick auf die Zustände in seiner Stadt, auf eine recht unvollkommene Gesellschaft, in der er mit uns gemeinsam lebt.

Rezenseniert von Uwe Stolzmann

Eduardo Mendoza: Mauricios Wahl. Roman.
Aus dem Spanischen von Peter Schwaar.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2007.
383 Seiten, 19,80 Euro.