Psychoanalytisches Kammerspiel

Von Natascha Pflaumbaum |
Richard Strauss' Operneinakter "Daphne" hat es nie ins Repertoire der Opernhäuser geschafft. Dabei ist die Geschichte ausgesprochen populär und ein gern verwandter Opernstoff. Schon Heinrich Schütz war fasziniert von dem Mythos der Nymphe Daphne, die vor der Liebe und der Bedrängnis Apollons flieht, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandeln lässt.
Es ist diese eine Schlüsselszene, die alles erklärt: Da macht sich eine Horde Männer bei einem Saufgelage über Daphne her. Alle weiß maskiert. Der Vater Peneios führt seinen "Göttern" die Tochter regelrecht zu. Sie liegt auf den Gelagetischen, wird mit Wein besudelt, man begrapscht und betatscht sie am ganzen Körper. Alles Weitere ist klar. Das also ist es, was Daphne so fern von Liebe und Männern hält, überhaupt von allem Leben, das ihre Flucht vor allem Lebendigen zum einzigen Lebensinhalt macht: ein frühkindlicher Missbrauch. So sieht es Regisseur Claus Guth in seiner Frankfurter Inszenierung.

Von Anfang an ist diese Daphne, die hier als unsicher Pubertierende in blauem Kleid, mit offenem, blondem langem Haar auf der Bühne steht, immer gespiegelt in Vergangenheit und Zukunft: Sie selbst hätschelt eine Puppe, die ihr bis aufs Haar gleicht, zwei Doppelgängerinnen - eine greise Alte und eine mädchenhaft Junge – sind ihre ständigen Begleiter. Das Spiel auf der Bühne wird aus der Warte der Erinnerung erzählt: Die alte Daphne kehrt an den Ort ihrer Jugend zurück. Nun verquicken sich die Zeiten.

Auch die Männer pflegen Doppelgängerschaft: Irgendwann zieht sich der Daphne liebende Apoll denselben langen schwarzen Mantel über, den Daphnes Vater trägt. Leukippos verkleidet sich als Daphne. Familiengeschichten tragen sich immer weiter, wiederholen sich immer wieder in Dubletten, Reinszenierungen, allein das Personal variiert, nicht aber die Projektionen, und so wird das einmal begangene und ertragene Elend Generation für Generation fortgeführt.

Claus Guth ist Spezialist für Operninszenierungen aus dem Blickwinkel der Psychoanalyse. Für ihn ist die Psychoanalyse auf dem Feld der Oper ein Instrument, ein hermeneutisches, kein therapeutisches Verfahren, mit dessen Hilfe uns die Oper viel über das Menschsein zeigt. Bühne, Raum und Requisite dieser Daphne-Geschichte bergen die klassischen psychoanalytischen Zeichen der Guth'schen Regiesprache: die Spiegelung der Personen in jungen und alten Ichs, heruntergekommene, riesige Räume, die zwischen privaten und öffentlichen Räumen changieren, Vestibüls, Vorräume, Durchgangsräume, die wie griechische Paläste erscheinen, deren Wände - schimmelig, von vergilbter, blätternder Farbe gezeichnet - ihre prunkvollen Zeiten längst hinter sich haben, und immer wieder diese Schränke, in denen man uterusgleich zurückkehrt, als einzig schützender Ort auf dieser Welt. Wand, Schrank, Doppelgänger: dazu findet sich einiges in der Freud'schen Traumdeutung.

Wie in den Bauch der Mutter kehrt Daphne also immer wieder in ihren mit Blättern gefüllten Schrank zurück. Wenn in dieser Daphne überhaupt einmal ein Funke von Liebe oder Sexualität aufkeimt, schmiegt sie sich an die glatte Wand. Einmal masturbiert sie: mit und an der Wand.

Maria Bengtsson, die in Frankfurt mit der Daphne debütiert, ist eine außergewöhnliche Schauspielerin. Sie hat die Möglichkeiten, ihre Stimme in den Dienst ihres Spiels zu stellen. Jede gespielte Gefühlsregung dieses verstörten, pubertierenden Mädchens spiegelt sich in einer Farbe ihrer Stimme. Als sie den sterbenden Leukippos sadistisch dahinvegetieren lässt und schließlich als Toten liebkost, singt sie das nicht als Verrückte, sondern mit großer Zärtlichkeit.

Zu dem Zeitpunkt ist man schon ganz auf ihrer Seite, man sieht, dass es für sie keine andere Möglichkeit gibt als die Zärtlichkeit im Tod. Daniel Behle, Leukippos, der an Daphnes Seite verblutet, während die wie die Dame des Hauses an einer langen Tafel, einen Rotwein genießt, hat zuvor alles versucht, um dieser Daphne näherzukommen. Erst durch den Trick einer narzisstischen Spiegelung, Leukippos verkleidet sich als Daphne, kann er ihr einen echten, leidenschaftlichen Kuss abringen.

Damit macht Claus Guth deutlich, dass Leukippos alles andere ist als eindimensional unterleibgesteuert. Anders als Apoll, der in dieses Geschehen immer wieder interveniert mit einer geradezu schrillen Heldentenorstimme. Lance Ryan, der bei der Premiere mit den Beschwerden einer Lebensmittelvergiftung zu kämpfen hatte, ist ein brachialer Apoll. Mit seiner hellen, kräftigen, knatternden Stimme singt er vergeblich dagegen an, das Liebste zu verlieren.

Nach Dirigaten von "Arabella", "Frau ohne Schatten" und "Meistersinger" profiliert sich Sebastian Weigle, der am Pult des Frankfurter Museumsorchesters stand, immer stärker als Strauss/Wagner-Spezialist. Weigle geht musikalisch immer von der Stimme aus und lässt ihr am meisten Raum, was zu ausgesprochen guter Textverständlichkeit führt. Die Musik gerät in diesem psychoanalytischen Kammerspiel nie pathetisch oder aufgesetzt.

"Daphne" von Richard Strauss an der Oper Frankfurt