Prüderie und Triebe
Der Roman des amerikanischen Autors Charles Simmons, der bei seinem Erscheinen 1964 heftige Polemiken in den USA auslöste, wirkt trotz der Last der Jahrzehnte ungemein frisch. Der C.H.Beck-Verlag hat das Werk, das von den Abenteuern und Phantasien eines Studenten erzählt, wieder aufgelegt.
Einen Roman gut 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen neu herauszugeben, das ist allemal eine Prüfung auf seine literarische Haltbarkeit. Gewiss reduziert sich das Risiko, wenn man ein Debüt neu auflegt, das seinerzeit – 1964 – in den USA den Faulkner Award gewinnen konnte. Dennoch: Wie mag heute ein Text wirken, der damals heftige Polemiken wegen seiner "sündigen" Stellen verursachte, zumal er dem etwas abgestandenen Genre des Briefromans zuzurechnen ist?
Charles Simmons' (Jahrgang 1924) "Geständnisse eines ungeübten Sünders" wirken trotz der Last der Jahrzehnte ungemein frisch. Das liegt vor allem an der Übersetzung von Klaus Modick, der umstandslos ein sehr direktes, oft vulgäres und heutiges Deutsch einsetzt, um den "Sünden" des Ich-Erzählers bzw. Briefeschreibers, aber auch denen der Personen seiner Umgebung eine aktuelle Schärfe einzuhauchen.
Jene "Sünden" ergeben sich aus den Orientierungsversuchen eines 21-jährigen College-Absolventen aus der Mittelschicht, der in ausführlichen Briefen an einen Freund so etwas wie Klartext zu reden versucht, der sich anvertraut. Der seine Triebe hinnimmt als das, was sie sind – die natürlichste Sache der Welt –, die freilich immer wieder kollidieren mit einer verklemmten öffentlichen Moral, in der die Prüderie dominiert. Die stellt sich indes oft als Fassade heraus, und wenn die Beschreibungen der sexuellen Abenteuer oder Phantasien des Ich-Erzählers heute auch ihr skandalöses Potenzial eingebüßt haben, lesen sie sich doch als intelligente Erkundungen einer Gesellschaft und ihrer selbst erzeugten Trugbilder.
Zu diesen Trugbildern gehört auch die öffentlich zelebrierte Religiosität. Der katholisch erzogene junge Mann bricht mit seinem Glauben und reflektiert über die Fragwürdigkeit einer Instanz, die lebens- und sinnenfremde Gebote im Arsenal ihrer Dogmen verficht. Auch hier ist es nicht der oft schnoddrig formulierte Angriff auf ein Tabu, der heute beeindruckt, sondern die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema. In einer der skizzierten Geschichten des jungen Mannes, der Schriftsteller werden will, wird das katholische Prinzip auf eine surreale Spitze getrieben: Ein Priester, besessen vom Gedanken der göttlichen Erlösung für diejenigen, denen die Absolution für ihre Sünden erteilt wurde, tötet seine "Schäfchen", kaum dass sie den Beichtstuhl verlassen haben.
Weniger radikal als etwa Jack Kerouac oder Charles Bukowski erweist sich Charles Simmons in seinem Erstlingsroman als ein weitsichtiger, fast visionärer Autor: Elemente des Exzessiven, die sich bei ihm finden, wird später Bret Easton Ellis zuspitzen. Und der klar formulierte Gedanke, dass das Sexual- und Liebesleben in der modernen westlichen Welt nach den Gesetzen des Marktes funktioniert, der vor einigen Jahren Michel Houellebecq zu einem spektakulären Debüt verhalf, ist bei Charles Simmons schon nachzulesen.
Charles Simmons: Geständnisse eines ungeübten Sünders. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Modick. C. H. Beck Verlag, München 2005. 255 Seiten, 17,90 Euro
Charles Simmons' (Jahrgang 1924) "Geständnisse eines ungeübten Sünders" wirken trotz der Last der Jahrzehnte ungemein frisch. Das liegt vor allem an der Übersetzung von Klaus Modick, der umstandslos ein sehr direktes, oft vulgäres und heutiges Deutsch einsetzt, um den "Sünden" des Ich-Erzählers bzw. Briefeschreibers, aber auch denen der Personen seiner Umgebung eine aktuelle Schärfe einzuhauchen.
Jene "Sünden" ergeben sich aus den Orientierungsversuchen eines 21-jährigen College-Absolventen aus der Mittelschicht, der in ausführlichen Briefen an einen Freund so etwas wie Klartext zu reden versucht, der sich anvertraut. Der seine Triebe hinnimmt als das, was sie sind – die natürlichste Sache der Welt –, die freilich immer wieder kollidieren mit einer verklemmten öffentlichen Moral, in der die Prüderie dominiert. Die stellt sich indes oft als Fassade heraus, und wenn die Beschreibungen der sexuellen Abenteuer oder Phantasien des Ich-Erzählers heute auch ihr skandalöses Potenzial eingebüßt haben, lesen sie sich doch als intelligente Erkundungen einer Gesellschaft und ihrer selbst erzeugten Trugbilder.
Zu diesen Trugbildern gehört auch die öffentlich zelebrierte Religiosität. Der katholisch erzogene junge Mann bricht mit seinem Glauben und reflektiert über die Fragwürdigkeit einer Instanz, die lebens- und sinnenfremde Gebote im Arsenal ihrer Dogmen verficht. Auch hier ist es nicht der oft schnoddrig formulierte Angriff auf ein Tabu, der heute beeindruckt, sondern die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema. In einer der skizzierten Geschichten des jungen Mannes, der Schriftsteller werden will, wird das katholische Prinzip auf eine surreale Spitze getrieben: Ein Priester, besessen vom Gedanken der göttlichen Erlösung für diejenigen, denen die Absolution für ihre Sünden erteilt wurde, tötet seine "Schäfchen", kaum dass sie den Beichtstuhl verlassen haben.
Weniger radikal als etwa Jack Kerouac oder Charles Bukowski erweist sich Charles Simmons in seinem Erstlingsroman als ein weitsichtiger, fast visionärer Autor: Elemente des Exzessiven, die sich bei ihm finden, wird später Bret Easton Ellis zuspitzen. Und der klar formulierte Gedanke, dass das Sexual- und Liebesleben in der modernen westlichen Welt nach den Gesetzen des Marktes funktioniert, der vor einigen Jahren Michel Houellebecq zu einem spektakulären Debüt verhalf, ist bei Charles Simmons schon nachzulesen.
Charles Simmons: Geständnisse eines ungeübten Sünders. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Modick. C. H. Beck Verlag, München 2005. 255 Seiten, 17,90 Euro