"Prozess der Repression"
An diesem Donnerstag kommt der Film "La Vida Loca" in die deutschen Kinos - ein Film, der von mittelamerikanischen Jugendbanden erzählt. Der Filmemacher Christian Poveda hat eine Gang begleitet und musste dies mit seinem Leben bezahlen. Darüber und über den preisgekrönten Film äußerte sich der Journalist Andreas Boueke in unserem Sender.
Frank Meyer: Heute kommt der Film "La Vida Loca" in unsere Kinos, ein Film, der von den Maras erzählt. Maras, das sind Jugendbanden, die Mittelamerika und Latinoviertel in den USA mit brutaler Gewaltkriminalität terrorisieren. Die amerikanische Polizei hat die Maras deshalb als transnationale Supergangs eingestuft. Die Mara sind gleich unser Thema.
Sie führen ein gefährliches, ein brutales, oft sehr kurzes Leben, die Mitglieder der Jugendgang Mara 18 in El Salvador. Der Filmemacher Christian Poveda hat diese Gang anderthalb Jahre lang mit der Kamera begleitet, für seinen Film "La Vida Loca".
Christian Poveda hat die Arbeit an diesem Film mit dem Leben bezahlt, er wurde im vergangenen Jahr in El Salvador, wahrscheinlich von Gangmitgliedern, erschossen. Heute kommt sein preisgekrönter Dokumentarfilm in unsere Kinos.
Für Deutschlandradio Kultur ist jetzt Andreas Boueke am Telefon, er arbeitet als Journalist in Guatemala. Er hat über die Mara-Gangs geschrieben, und er hat auch zwei der Gangmitglieder begleitet, die man in Christian Povedas Film kennenlernt.
Herr Boueke, wir haben ja gerade gehört: Christian Poveda wollte die menschliche Seite der Mara 18 zeigen, er wollte die Jugendlichen als verlorene Generation porträtieren. Was halten Sie von so einem Ansatz bei einem Film über diese mörderischen Jugendgangs?
Andreas Boueke: Also, ich finde den Ansatz von Christian Poveda ausgezeichnet und genau den richtigen. Genau so ähnlich versuche ich es in meiner journalistischen Arbeit hier in Mittelamerika auch zu tun, nämlich diese Mara-Mitglieder eben als Menschen darzustellen, als junge Leute, die versuchen, in ihrer sehr schwierigen Lebenslage eine Perspektive zu finden.
Und die finden sie häufig eben nur in den Maras. Jetzt in dem Beitrag, den fand ich sehr viel mehr auf den Gewaltaspekt des Lebens in den Maras konzentriert, der Film stellt deutlicher so den auch normalen Alltag dieser jungen Leute dar. Und das finde ich wichtig, dass man das mitbekommt, dass diese jungen Leute eben auch Menschen sind, die Träume und Wünsche haben und versuchen, das in ihrem Leben umzusetzen, und dabei in den Maras häufig den einzigen Ort finden, wo sie das machen können.
Meyer: Aber spielt Gewalt nicht auch eine ganz zentrale Rolle, auch innerhalb dieser Gangs? Ich habe gelesen von Prügelorgien, mit denen neue Mitglieder aufgenommen werden. Also, sind die nicht auch zueinander extrem gewalttätig?
Boueke: Das gibt es natürlich, kommt vor, es spielt auch ... von außen betrachtet ist das ein wichtiger Aspekt. In deren Alltagsleben ist das nicht, dass die jeden Tag sich prügeln, auch nicht, dass die jeden Tag schießen, aber sie schießen natürlich auch öfter mal, und es kommt zu Toten.
Und das sind natürlich Dinge, die aus unserer Perspektive in Deutschland ganz furchtbar finden, und es ist auch furchtbar und schwierig, das Leben von diesen jungen Leuten. Aber wie gesagt, die haben häufig auch überhaupt gar keine andere Möglichkeit, als in diesen Maras mitzumachen.
Also, zum Beispiel der Stadtteil, in dem ich wohne, in der Siedlung, in der ich wohne: Es gibt hier nichts, es gibt buchstäblich nichts für junge Leute. Es gibt eine Menge junge Leute, aber gibt keinen Fußballplatz, es gibt keinen Basketballplatz, es gibt keine Arbeit, es gibt keine Ausbildungszentren.
Aber es gibt natürlich die Jugendbanden, und die bieten denen ein attraktives Leben an, jedenfalls kann das für viele Junge Leute attraktiv ausschauen – Geld zu haben, Zugang zu Drogen zu haben. Na ja, und es passiert einfach was, die machen ja auch Spaß miteinander. Die spielen Karten, die hören Musik, das ist viel mehr das Leben von den Maras, dass sie einfach miteinander Zeit sich vertreiben. Und wenn sie kein anderes Angebot bekommen, vom Staat oder von Kirche oder von anderen Organisationen, dann ist natürlich die Mara was, wo sie sich gerne anschließen.
Meyer: Schauen wir uns mal an, Herr Boueke, wo diese Mara eigentlich herkommen. Sie sollen entstanden sein in Los Angeles, dort haben Sie auch recherchiert, also in den USA. Wie kam es dort zur Entstehung dieser Jugendgangs?
Boueke: Ja, das ist so, also, Banden hat es natürlich in den USA und insbesondere auch in Los Angeles schon sehr lange gegeben. Da gibt es eine lange Tradition. Und nachdem dann afroamerikanische Banden und auch asiatische Banden schon ziemlich groß geworden sind, kamen später mexikanische Banden dazu.
Eine dieser großen, mexikanischen Banden war die Mara 18, von der 18. Straße in Los Angeles, in der Nähe von Downtown. Da haben sich dann viele Kinder von Flüchtlingen, die vom Bürgerkrieg in El Salvador und in Guatemala geflohen sind, angeschlossen, und dann aber mit der Zeit haben sich gerade diese Salvadorianer ihre eigene Mara gegründet, nämlich die Mara Salvatrucha.
Das sind heute in Zentralamerika die beiden ganz großen Banden: Mara Salvatrucha und Mara Dieciocho, die sind nämlich aus Los Angeles dann wieder zurückexportiert worden. Sie sind aufgewachsen in den USA, und sie sprachen häufig kein Spanisch, sind als kleine Kinder in die USA gekommen, sind dann in den Straßen von Los Angeles aufgewachsen, sind in die Maras hinein sozialisiert worden, häufig, als sie dann im Gefängnis gesessen haben.
Und dann haben die USA gesagt: Diese jungen Leute, die nicht US-amerikanische Staatsbürger sind, die schieben wir ab, und dann haben sie sie zurückgeschickt in sehr verletzliche Gesellschaften, wie es Guatemala oder El Salvador oder Honduras sind. Und was konnten die hier anderes machen? Die sind natürlich zuerst mal zu den kleinen Bandenstrukturen, die es dann nach und nach hier gab, gegangen, und da sind die Bandenstrukturen immer größer und stärker geworden, vor allem auch gefüttert durch die Deportationen aus den USA. Das wiederum hat dann natürlich dazu geführt, dass hier die Gewaltsituation in Guatemala und in El Salvador sich immer mehr verstärkt hat.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden über die Mara, große Jugendgangs in Mittel- und Nordamerika. Ab heute ist in unseren Kinos der Film "La Vida Loca" zu sehen, der von der Gang Mara 18 in El Salvador erzählt.
Der Journalist Andreas Boueke hat sich mit den Mara-Gangs auseinandergesetzt. Herr Boueke, mit dieser Abschiebungspolitik, mit diesem Export von Kriminalität nach Mittelamerika – tun sich die Vereinigten Staaten damit eigentlich langfristig einen Gefallen oder schlägt das auch wieder zurück, zum Beispiel in Form von Migration in die USA?
Boueke: Genau, das ist ja eigentlich ein sehr kurzfristiger und dummer Ansatz. In den USA ist es aber schwierig, das zu vermitteln, zu sagen: Die jungen straffälligen Mittelamerikaner, die sollen dort bleiben, die sind in den USA sozialisiert worden und die USA sollen sich um das Problem kümmern.
Politisch ist es da viel opportuner, zu sagen: Die sollen weg. Ja, aber wenn sie weg sind, wo sollen sie denn hin? Sie werden halt zurückgebracht in ihre Länder, in denen sie geboren worden sind, aber mit denen sie häufig überhaupt gar nichts mehr verbinden und häufig auch gar keine Verwandten mehr haben, weil die alle schon längst in den USA sind.
Dann kommen die also hier an, in diese Länder, und verstärken die Situation der Gewalt, vor allem in den Armenvierteln. Und immer mehr Leute sagen aufgrund der Kriminalität in den Armenvierteln: Wir gehen hier weg. Wo gehen sie hin? Ein Land, wo viele Leute sagen, da wollen wir hin, sind die USA. Das verstärkt sehr stark die Migrationsbewegung in Richtung USA und verstärkt letztlich dann auch das Problem in den USA.
Meyer: Und wie gehen die Gesellschaften in Mittelamerika, in El Salvador, in Guatemala, wie gehen die mit diesen Gangs um, mit diesem Problem von Jugendkriminalität?
Boueke: Insbesondere in El Salvador ist seit 10, 15 Jahren so ein Prozess der Repression, der immer stärker werdenden Repression. Also, anfangs sprachen sie von "Mano Dura", harter Hand, und dann später von "Mano Super Dura", superharter Hand.
In El Salvador war es jahrelang wirklich üblich: Nur, weil jemand Tattoos auf einer Hand trägt, wurde der ins Gefängnis gebracht und blieb tagelang im Gefängnis, ohne dass der irgendwas angeklagt worden ist.
Meyer: Weil die Tattoos als Zeichen von Gangmitgliedschaft angesehen wurde?
Boueke: ... genau, ging man davon aus, das ist jemand, der gehört einer Gang an und deshalb wird er dann erst mal in Verwahrung genommen. Und Gefängnis in El Salvador bedeutet natürlich nicht einfach nur Verwahrung, das ist wirklich eine harte Lebensprobe, wo die jungen Leute dann auch noch weiter reingeführt werden in die Kriminalität.
Und das hat in El Salvador nicht funktioniert, das ist heute das Land mit der höchsten Mordrate in der Region, knapp gefolgt von Guatemala. Hier in Guatemala ist es nicht so stark repressiv wie es in El Salvador gewesen ist in den letzten Jahren, aber eigentlich hat keins von diesen Ländern wirklich einen sozialpolitischen Ansatz, der versucht, den jungen Leuten andere Optionen im Leben zu geben, und das ist notwendig. Das hat auch Christian Poveda sehr deutlich gesagt immer wieder: Eigentlich müsste man sehen, dass diese jungen Leute dann eine Alternative bekommen zum Leben in der Mara.
Meyer: Gibt es nicht auch Versuche, Gangmitglieder zum Aussteigen zu bewegen? Gibt es dafür nicht auch Programme?
Boueke: Gibt es auch. Die reichen längst nicht – das Phänomen ist schon sehr groß, man spricht von mehreren zehntausend Mara-Mitgliedern nur in Guatemala zum Beispiel – und das sind dann eher nur so punktuelle Projekte. Aber die sind auch sehr sinnvoll.
Der Christian Poveda hat sich besonders im Umfeld von (…) bewegt, das ist eine Organisation, die gegründet worden ist ursprünglich von Mara-Mitgliedern selbst, die irgendwann gesagt haben: Was soll das, dass wir uns gegenseitig umbringen? Gerade die Mara Salvatrucha kämpft gegen die Mara Dieciocho, und eigentlich sind das alles junge Leute, die dieselben Probleme haben. Die machen zum Beispiel so Projekte wie eine Bäckerei, in der sie Arbeitsplätze finden für die jungen Leute.
Oder dann gibt es auch so Programme, wo sie psychologische Unterstützung bekommen, oder ein Programm, wo sie ihre Tattoos wegmachen können, weil es das für sie sehr schwierig macht, überhaupt irgendwie in der Gesellschaft noch mal Fuß zu fassen, wenn einige von den jungen Leuten ihren ganzen Körper von oben bis unten tätowiert haben. Also, da gibt es eine ganze Reihe Ansätze, die halt zum Teil auch von den Mara-Mitgliedern selber organisiert sind.
Da kann man dann aber nicht sagen, diese jungen Leute sagen: Wir wollen jetzt nicht mehr zu der Mara gehören. Ein Ausstieg, das passiert gar nicht. Wer erst mal Mitglied einer Mara ist, der ist es dann auch sein Leben lang. Das bedeutet aber nicht, dass er sein Leben lang kriminell und gewalttätig ist.
Meyer: Die Mara-Jugendgangs und Ersatzfamilien in mehreren Ländern Mittelamerikas und in den USA – der Film "La Vida Loca" von Christian Poveda kommt heute in unsere Kinos und erzählt von den Mara. Und wir haben darüber mit dem Journalisten in Guatemala Andreas Boueke gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Boueke: Gern geschehen!
Sie führen ein gefährliches, ein brutales, oft sehr kurzes Leben, die Mitglieder der Jugendgang Mara 18 in El Salvador. Der Filmemacher Christian Poveda hat diese Gang anderthalb Jahre lang mit der Kamera begleitet, für seinen Film "La Vida Loca".
Christian Poveda hat die Arbeit an diesem Film mit dem Leben bezahlt, er wurde im vergangenen Jahr in El Salvador, wahrscheinlich von Gangmitgliedern, erschossen. Heute kommt sein preisgekrönter Dokumentarfilm in unsere Kinos.
Für Deutschlandradio Kultur ist jetzt Andreas Boueke am Telefon, er arbeitet als Journalist in Guatemala. Er hat über die Mara-Gangs geschrieben, und er hat auch zwei der Gangmitglieder begleitet, die man in Christian Povedas Film kennenlernt.
Herr Boueke, wir haben ja gerade gehört: Christian Poveda wollte die menschliche Seite der Mara 18 zeigen, er wollte die Jugendlichen als verlorene Generation porträtieren. Was halten Sie von so einem Ansatz bei einem Film über diese mörderischen Jugendgangs?
Andreas Boueke: Also, ich finde den Ansatz von Christian Poveda ausgezeichnet und genau den richtigen. Genau so ähnlich versuche ich es in meiner journalistischen Arbeit hier in Mittelamerika auch zu tun, nämlich diese Mara-Mitglieder eben als Menschen darzustellen, als junge Leute, die versuchen, in ihrer sehr schwierigen Lebenslage eine Perspektive zu finden.
Und die finden sie häufig eben nur in den Maras. Jetzt in dem Beitrag, den fand ich sehr viel mehr auf den Gewaltaspekt des Lebens in den Maras konzentriert, der Film stellt deutlicher so den auch normalen Alltag dieser jungen Leute dar. Und das finde ich wichtig, dass man das mitbekommt, dass diese jungen Leute eben auch Menschen sind, die Träume und Wünsche haben und versuchen, das in ihrem Leben umzusetzen, und dabei in den Maras häufig den einzigen Ort finden, wo sie das machen können.
Meyer: Aber spielt Gewalt nicht auch eine ganz zentrale Rolle, auch innerhalb dieser Gangs? Ich habe gelesen von Prügelorgien, mit denen neue Mitglieder aufgenommen werden. Also, sind die nicht auch zueinander extrem gewalttätig?
Boueke: Das gibt es natürlich, kommt vor, es spielt auch ... von außen betrachtet ist das ein wichtiger Aspekt. In deren Alltagsleben ist das nicht, dass die jeden Tag sich prügeln, auch nicht, dass die jeden Tag schießen, aber sie schießen natürlich auch öfter mal, und es kommt zu Toten.
Und das sind natürlich Dinge, die aus unserer Perspektive in Deutschland ganz furchtbar finden, und es ist auch furchtbar und schwierig, das Leben von diesen jungen Leuten. Aber wie gesagt, die haben häufig auch überhaupt gar keine andere Möglichkeit, als in diesen Maras mitzumachen.
Also, zum Beispiel der Stadtteil, in dem ich wohne, in der Siedlung, in der ich wohne: Es gibt hier nichts, es gibt buchstäblich nichts für junge Leute. Es gibt eine Menge junge Leute, aber gibt keinen Fußballplatz, es gibt keinen Basketballplatz, es gibt keine Arbeit, es gibt keine Ausbildungszentren.
Aber es gibt natürlich die Jugendbanden, und die bieten denen ein attraktives Leben an, jedenfalls kann das für viele Junge Leute attraktiv ausschauen – Geld zu haben, Zugang zu Drogen zu haben. Na ja, und es passiert einfach was, die machen ja auch Spaß miteinander. Die spielen Karten, die hören Musik, das ist viel mehr das Leben von den Maras, dass sie einfach miteinander Zeit sich vertreiben. Und wenn sie kein anderes Angebot bekommen, vom Staat oder von Kirche oder von anderen Organisationen, dann ist natürlich die Mara was, wo sie sich gerne anschließen.
Meyer: Schauen wir uns mal an, Herr Boueke, wo diese Mara eigentlich herkommen. Sie sollen entstanden sein in Los Angeles, dort haben Sie auch recherchiert, also in den USA. Wie kam es dort zur Entstehung dieser Jugendgangs?
Boueke: Ja, das ist so, also, Banden hat es natürlich in den USA und insbesondere auch in Los Angeles schon sehr lange gegeben. Da gibt es eine lange Tradition. Und nachdem dann afroamerikanische Banden und auch asiatische Banden schon ziemlich groß geworden sind, kamen später mexikanische Banden dazu.
Eine dieser großen, mexikanischen Banden war die Mara 18, von der 18. Straße in Los Angeles, in der Nähe von Downtown. Da haben sich dann viele Kinder von Flüchtlingen, die vom Bürgerkrieg in El Salvador und in Guatemala geflohen sind, angeschlossen, und dann aber mit der Zeit haben sich gerade diese Salvadorianer ihre eigene Mara gegründet, nämlich die Mara Salvatrucha.
Das sind heute in Zentralamerika die beiden ganz großen Banden: Mara Salvatrucha und Mara Dieciocho, die sind nämlich aus Los Angeles dann wieder zurückexportiert worden. Sie sind aufgewachsen in den USA, und sie sprachen häufig kein Spanisch, sind als kleine Kinder in die USA gekommen, sind dann in den Straßen von Los Angeles aufgewachsen, sind in die Maras hinein sozialisiert worden, häufig, als sie dann im Gefängnis gesessen haben.
Und dann haben die USA gesagt: Diese jungen Leute, die nicht US-amerikanische Staatsbürger sind, die schieben wir ab, und dann haben sie sie zurückgeschickt in sehr verletzliche Gesellschaften, wie es Guatemala oder El Salvador oder Honduras sind. Und was konnten die hier anderes machen? Die sind natürlich zuerst mal zu den kleinen Bandenstrukturen, die es dann nach und nach hier gab, gegangen, und da sind die Bandenstrukturen immer größer und stärker geworden, vor allem auch gefüttert durch die Deportationen aus den USA. Das wiederum hat dann natürlich dazu geführt, dass hier die Gewaltsituation in Guatemala und in El Salvador sich immer mehr verstärkt hat.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden über die Mara, große Jugendgangs in Mittel- und Nordamerika. Ab heute ist in unseren Kinos der Film "La Vida Loca" zu sehen, der von der Gang Mara 18 in El Salvador erzählt.
Der Journalist Andreas Boueke hat sich mit den Mara-Gangs auseinandergesetzt. Herr Boueke, mit dieser Abschiebungspolitik, mit diesem Export von Kriminalität nach Mittelamerika – tun sich die Vereinigten Staaten damit eigentlich langfristig einen Gefallen oder schlägt das auch wieder zurück, zum Beispiel in Form von Migration in die USA?
Boueke: Genau, das ist ja eigentlich ein sehr kurzfristiger und dummer Ansatz. In den USA ist es aber schwierig, das zu vermitteln, zu sagen: Die jungen straffälligen Mittelamerikaner, die sollen dort bleiben, die sind in den USA sozialisiert worden und die USA sollen sich um das Problem kümmern.
Politisch ist es da viel opportuner, zu sagen: Die sollen weg. Ja, aber wenn sie weg sind, wo sollen sie denn hin? Sie werden halt zurückgebracht in ihre Länder, in denen sie geboren worden sind, aber mit denen sie häufig überhaupt gar nichts mehr verbinden und häufig auch gar keine Verwandten mehr haben, weil die alle schon längst in den USA sind.
Dann kommen die also hier an, in diese Länder, und verstärken die Situation der Gewalt, vor allem in den Armenvierteln. Und immer mehr Leute sagen aufgrund der Kriminalität in den Armenvierteln: Wir gehen hier weg. Wo gehen sie hin? Ein Land, wo viele Leute sagen, da wollen wir hin, sind die USA. Das verstärkt sehr stark die Migrationsbewegung in Richtung USA und verstärkt letztlich dann auch das Problem in den USA.
Meyer: Und wie gehen die Gesellschaften in Mittelamerika, in El Salvador, in Guatemala, wie gehen die mit diesen Gangs um, mit diesem Problem von Jugendkriminalität?
Boueke: Insbesondere in El Salvador ist seit 10, 15 Jahren so ein Prozess der Repression, der immer stärker werdenden Repression. Also, anfangs sprachen sie von "Mano Dura", harter Hand, und dann später von "Mano Super Dura", superharter Hand.
In El Salvador war es jahrelang wirklich üblich: Nur, weil jemand Tattoos auf einer Hand trägt, wurde der ins Gefängnis gebracht und blieb tagelang im Gefängnis, ohne dass der irgendwas angeklagt worden ist.
Meyer: Weil die Tattoos als Zeichen von Gangmitgliedschaft angesehen wurde?
Boueke: ... genau, ging man davon aus, das ist jemand, der gehört einer Gang an und deshalb wird er dann erst mal in Verwahrung genommen. Und Gefängnis in El Salvador bedeutet natürlich nicht einfach nur Verwahrung, das ist wirklich eine harte Lebensprobe, wo die jungen Leute dann auch noch weiter reingeführt werden in die Kriminalität.
Und das hat in El Salvador nicht funktioniert, das ist heute das Land mit der höchsten Mordrate in der Region, knapp gefolgt von Guatemala. Hier in Guatemala ist es nicht so stark repressiv wie es in El Salvador gewesen ist in den letzten Jahren, aber eigentlich hat keins von diesen Ländern wirklich einen sozialpolitischen Ansatz, der versucht, den jungen Leuten andere Optionen im Leben zu geben, und das ist notwendig. Das hat auch Christian Poveda sehr deutlich gesagt immer wieder: Eigentlich müsste man sehen, dass diese jungen Leute dann eine Alternative bekommen zum Leben in der Mara.
Meyer: Gibt es nicht auch Versuche, Gangmitglieder zum Aussteigen zu bewegen? Gibt es dafür nicht auch Programme?
Boueke: Gibt es auch. Die reichen längst nicht – das Phänomen ist schon sehr groß, man spricht von mehreren zehntausend Mara-Mitgliedern nur in Guatemala zum Beispiel – und das sind dann eher nur so punktuelle Projekte. Aber die sind auch sehr sinnvoll.
Der Christian Poveda hat sich besonders im Umfeld von (…) bewegt, das ist eine Organisation, die gegründet worden ist ursprünglich von Mara-Mitgliedern selbst, die irgendwann gesagt haben: Was soll das, dass wir uns gegenseitig umbringen? Gerade die Mara Salvatrucha kämpft gegen die Mara Dieciocho, und eigentlich sind das alles junge Leute, die dieselben Probleme haben. Die machen zum Beispiel so Projekte wie eine Bäckerei, in der sie Arbeitsplätze finden für die jungen Leute.
Oder dann gibt es auch so Programme, wo sie psychologische Unterstützung bekommen, oder ein Programm, wo sie ihre Tattoos wegmachen können, weil es das für sie sehr schwierig macht, überhaupt irgendwie in der Gesellschaft noch mal Fuß zu fassen, wenn einige von den jungen Leuten ihren ganzen Körper von oben bis unten tätowiert haben. Also, da gibt es eine ganze Reihe Ansätze, die halt zum Teil auch von den Mara-Mitgliedern selber organisiert sind.
Da kann man dann aber nicht sagen, diese jungen Leute sagen: Wir wollen jetzt nicht mehr zu der Mara gehören. Ein Ausstieg, das passiert gar nicht. Wer erst mal Mitglied einer Mara ist, der ist es dann auch sein Leben lang. Das bedeutet aber nicht, dass er sein Leben lang kriminell und gewalttätig ist.
Meyer: Die Mara-Jugendgangs und Ersatzfamilien in mehreren Ländern Mittelamerikas und in den USA – der Film "La Vida Loca" von Christian Poveda kommt heute in unsere Kinos und erzählt von den Mara. Und wir haben darüber mit dem Journalisten in Guatemala Andreas Boueke gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Boueke: Gern geschehen!

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