Provokateur mit politischem Sendungsbewusstsein

Von Mirko Heinemann · 26.04.2012
In einem seiner Videos sind nackte Menschen zu sehen, wie sie in der Gaskammer eines ehemaligen Vernichtungslagers ausgelassen spielen. Und auch als Kurator der siebten Berlin Biennale eckt er durch provokante Aktionen an. Ihm gehe es aber nicht um Provokation, sondern um politische Fragestellungen, betont Artur Zmijewski.
Im Hinterhof der Galerie "Kunstwerke Berlin" bietet sich bereits ein Vorgeschmack auf die Biennale. Aus dem Haus tönt laute Musik, im Café herrscht Hochbetrieb. Vor drei Tagen ist ein neun Meter langer Schlüssel aus Stahl angekommen; der "Key of Return", zu deutsch "Schlüssel zur Wiederkehr". Er stammt aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Aida bei Betlehem, wo er die Vertriebenen an die verlorene Heimat erinnert.

"The Key is nine meters long and over thousand kilos of weight."

Der Schlüssel ist ein Ausstellungsobjekt, auf das Artur Żmijewski sichtlich stolz ist. Żmijewski lebt eigentlich in Warschau, seit einigen Monaten ist er die meiste Zeit in Berlin. Als Kurator der Berlin Biennale hat er eine Menge Kritik einstecken müssen.

Es begann Anfang des Jahres, als er den tschechischen Künstler Martin Zet einlud. Der rief die Berliner dazu auf, Exemplare des Sarrazin-Buchs "Deutschland schafft sich ab" zu sammeln, damit der Künstler sie auf der Biennale "recyceln" könne.Künstler wie Kurator schlug die geballte Entrüstung entgegen. Die Aktion erinnere an die Bücherverbrennungen im Dritten Reich, hieß es.

"Solche Reaktionen hatte ich nicht erwartet. Ich glaube, da gibt es kulturelle Differenzen. Die Deutschen haben uns zu Opfern ihrer Assoziationen gemacht."

Von einer Zerstörung oder gar Verbrennung der Bücher sei nie die Rede gewesen, sagt Zmijewski. Vielmehr sollten die Bücher Teil eines Kunstwerks werden.

"Das ist nicht mein kultureller Background, sondern der der Deutschen. Wir sind auch nicht naiv, wie manche sagen. Für mich klingt es grauenhaft, wenn ich höre: Wenn man Bücher sammelt, muss man irgendwie im Kopf haben, dass es um Bücherverbrennung gehen könnte. Es tut mir leid, ich habe solche Assoziationen nicht."

Hektisch greift Artur Żmijewski nach den rosafarbenen Bonbons, die auf dem Tisch liegen. Er trägt Vollbart, kurzgeschorene Haare und ist lässig gekleidet mit Jeansjacke und ausgetragenen Schuhen. Seine graublauen Augen wandern unablässig durch den Raum. Fixiert er aber sein Gegenüber, dann scheint sich sein Blick festzusaugen. Will er eine Frage nicht beantworten, dreht er seinen Kopf zur Seite und schweigt.

Seine Kunstvideos irritieren, oftmals schockieren sie auch. In einem Video werden Gehörlose gezeigt, wie sie Kantaten von Bach singen. Manche hielten das dissonante Konzert für eine Verhöhnung von Behinderten. Zur Dokumenta 12 in Kassel brachte er ein Video mit, in dem nackte Menschen zu sehen sind, wie sie in der Gaskammer eines ehemaligen Vernichtungslagers ausgelassen spielen.

"Ich provoziere nicht, und es geht mir nicht um Provokation. Das ist nicht meine Sprache, sondern die Sprache der Medien. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Meine Arbeiten handeln von den sozialen und politischen Themen und Problemen unserer Zeit."

Seine künstlerische Karriere startete in den Jahren nach 1989, als Polen kapitalistisch wurde. Artur Żmijewski war damals Anfang 20, der Sohn eines Ingenieurs entschied sich zunächst für die Bildhauerei.

"Ich weiß nicht, es ist schwierig für mich darüber zu sprechen. Ich weiß auch nicht wirklich, warum. Es ist schwer zu erklären."

Artur Zmijewski ist ein sperriger, manchmal fast bockiger Gesprächspartner. Oft muss man lange auf eine Antwort warten.

"Ich habe in dieser Zeit studiert und war jung. Es war mir nicht wirklich bewusst, was passierte. Aber ich beobachtete natürlich die Aktionen anderer Künstler. Sehr oft wurden sie beschuldigt, sie würden nur Skandale provozieren. Ich bemerkte, wie sie ins Abseits gedrängt und von der Gesellschaft zu Außenseitern gemacht wurden. Sie gehörten nicht dazu. Später habe ich erkannt, dass sie trotzdem für die Gesellschaft wichtig gewesen sind.

Die Medien und die neuen Politiker propagierten die Idee des freien Marktes, all das, was wir heute neoliberal nennen. In dieser Zeit haben Künstler in Polen für eine alternative Gesellschaft geworben, eine freiere, offenere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ihre eigenen politischen Institutionen zu kritisieren."

Żmijewski wurde nicht nur Künstler, sondern politisch aktiv. Er konfrontiert das Publikum mit Klischees, Vorurteilen und Ideologien. Als Redakteur bei einer linken Zeitung ruft er seine Künstler-Kollegen auf, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren und sich nicht vom Markt korrumpieren zu lassen. Der 45-Jährige lebt für seine Arbeit, Familie hat er nicht.

Die Sache mit den Sarrazin-Büchern wird nicht die letzte Aktion der Biennale gewesen sein, auf der die Deutschen mit ihrer Geschichte konfrontiert werden. Auf dem Hinterhof leuchten junge Bäume in frischem Grün. Ein Künstler hat sie zur Biennale gepflanzt, es sind insgesamt tausend Birken, sie stehen überall in Berlin. Sie stammen aus einem polnischen Dorf, in dem einst ein deutsches Konzentrationslager stand: Auschwitz-Birkenau.

Service:
Die 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst präsentiert vom 27.4. bis zum 1. Juli 2012 Kunstausstellungen und Aktionen im gesamten Stadtraum. Zentraler Veranstaltungsort ist die KW Institute for Contemporary Art, Kunstwerke Berlin e.V..
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