Proustsche Bilderschau

15.04.2010
Wenige Werke der Weltliteratur sind so durchleuchtet und erforscht worden wie Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Fast hat man das Gefühl, es sei eigentlich schon alles gesagt. Doch der amerikanische Maler Eric Karpeles hat einen neuen Aspekt ausfindig gemacht: Er bahnt sich einen Weg in die "Suche nach der verlorenen Zeit" mithilfe der Kunst.
Karpeles hat sämtliche im Roman beschriebenen Bilder und Gemälde akribisch recherchiert und nun in einem üppigen, 352 Seiten dicken Bildband versammelt. Das ist eine ebenso irrwitzige wie grandiose Idee, an der nicht zuletzt verwundert, dass sie noch niemand vor ihm hatte, spielt doch die Kunst und insbesondere die Malerei eine der Hauptrollen in Prousts Werk.

Aber vielleicht braucht es eben einen Künstler, der gerne über kunsthistorische Themen schreibt und obendrein seit Jugendzeiten Proustfan ist, um so ein Werk anzugehen, wie es der in Deutschland wenig bekannte Karpeles mit "Marcel Proust und die Gemälde aus der Verlorenen Zeit" nun vorlegt.

Über 200 Kunstwerke hat Proust in seinem Roman erwähnt. Von Giottos "Fresken in der Arena-Kapelle in Padua" über Vermeers "Delfter Ansicht" und Manets "Spargelstillleben" bis hin zu den Werken heute kaum noch bekannter Salonmaler wie Eugène Fromentin. Letzterer gab gemeinsam mit anderen den Anstoß zu Karpeles Werk, denn es war vor allem Neugier auf die ihm unbekannten Bilder, die diesem Buch zugrunde liegt.

Karpeles Vorgehensweise ist dabei so einfach wie logisch, sein Buch besteht aus Paarungen von Wort und Bild. Der Romanstruktur folgend führt er in die relevanten Textstellen ein und lässt dann Originalzitat und Abbildung des erwähnten Werkes folgen. Wie selten zuvor wird dabei deutlich, wie vollendet Proust den Einsatz von Bildbeschreibungen als Stilmittel beherrschte. Sie dienen ihm wahlweise als Ausschmückung oder Verzierung, als Analogie, Metapher oder Symbol.

Immer weist die Kunst bei Proust darauf hin, dass sie über die Wirklichkeit hinausreicht und größer ist als das Leben. Berühmtestes Beispiel dafür ist vielleicht die Figur des Charles Swann, der in seiner Geliebten Odette mehr eine Figur aus einem Fresko Botticellis liebt, der sie ähnlich sieht, als die wirkliche Person.

Karpeles Methode, Text und Bild zu paaren, ist bestechend, und der Leser folgt ihm gerne, immer wieder hin und her blätternd, sich mal fest lesend, mal fest guckend.

Wer gezielt nach einzelnen Werken sucht, profitiert vom umfangreichen Register, wer den Kunstliebhaber Proust kennen lernen möchte, wird Freude haben an Karpeles kenntnisreichem, einleitenden Essay. Dem Kalifornier ist ein außergewöhnliches Katalogbuch gelungen – und ein rechtes Kunststück: Erfahrene Proustianer dürften ebenso begeistern sein wie solche Leser, denen dieser Kosmos bisher verschlossen war.

Zum Autor:
Eric Karpeles lebt in Kalifornien. Er ist Maler und schreibt über Malerei und benachbarte Themen. Karpeles wuchs in New York auf. In den 1970er-Jahren lebte er in Frankreich als Stipendiat an der Cité Internationale des Arts in Paris und bei der Camargo Foundation in Cassis. In Deutschland ist er wenig bekannt.

Besprochen von Eva Hepper


Eric Karpeles: Marcel Proust und die Gemälde aus der Verlorenen Zeit
Übersetzt von Volker Ellerbeck
Dumont Buchverlag, Köln 2010
352 Seiten, 196 Farbabbildungen, 34,95 Euro