Protestkultur

"Diese Klobürste steht erst mal für gar nichts"

Der Teilnehmer eines Rundgangs durch das Hamburger Gefahrengebiet hält am 11.01.2014 in Hamburg eine Klobürste und eine Saugglocke in den Händen.
In Hamburg ist die Klobürste zum Protestsymbol erklärt worden - gegen die Einrichtung des polizeilichen Gefahrengebiets. © picture-alliance / dpa / Axel Heimken
André Leipold im Gespräch mit Katrin Heise · 13.01.2014
In Hamburg wird in diesen Tagen mit Klobürsten protestiert - gegen die Einrichtung eines polizeilichen Gefahrengebiets. Der Künstler André Leipold hält das für eine Aktion von gelangweilten Wohlstandskindern.
Katrin Heise: "Klo! Klo! Klobürsteneinsatz!" – so schallt es in den letzten Tagen immer wieder durch Hamburg. Die Klobürste ist auf Umwegen zum ironischen Symbol des Protests gegen die Polizei und das sogenannte Gefahrengebiet, was jetzt Gefahreninseln geworden sind, geworden. Das ging ziemlich schnell, das mit diesem Symbol. Was muss ein Symbol eigentlich leisten, um den Protest um sich zu scharen?
Ich begrüße jetzt André Leipold vom Zentrum für Politische Schönheit. Das ist ein Zusammenschluss von Aktionskünstlern und Menschenrechtsaktivisten, die auch immer schon auf sehr erfinderische Art und Weise protestieren. Schön, dass Sie ins Studio gekommen sind. Schönen guten Morgen.
André Leipold: Einen schönen guten Morgen.
Heise: "Hamburg bleibt widerborstig", haben wir eben gehört. Wie finden Sie diesen Klobürsten-Einsatz in Hamburg?
Leipold: Traurig, würde ich sagen. Mich macht es sogar, ehrlich gesagt, leicht depressiv, weil das zeigt diese Inhaltsleere. Diese Klobürste steht erst mal für gar nichts. Für mich steht sie für Inhaltsleere, dafür, dass man in einer Woche das ganze wieder vergessen kann und dass es wieder runtergespült wird in das übliche Grundrauschen.
Heise: Die Klobürste hat sich aber, wenn Sie auch sagen "inhaltsleer", zum Protestsymbol in Hamburg ja doch ein bisschen gemausert. Sie wurde von vielen mitgebracht. Vor allem hat sie Bilder produziert und in den Medien für Sympathie für die Protestler gesorgt. Ist das da nicht schon sehr viel, was diese Klobürste geleistet hat?
Leipold: Das ist sicherlich gelungen. Wir sitzen ja jetzt auch hier und reden darüber.
Heise: Wir unterhalten uns darüber!
Leipold: Das ist überhaupt gar keine Frage. Nur trotzdem: Was ist das Ziel dahinter, oder wo soll es hinführen? Trotzdem hat es keinen Inhalt. Ich sehe den Inhalt nicht dahinter. Im Endeffekt beschleicht mich das Gefühl, das ist so eine Art Aktion von gelangweilten Wohlstandskindern, die mal auch das Gefühl haben wollen, in was kribbelnd Politischem dabei sein zu können, und das sagt mir auch, wenn man sich so ein paar Twitter anguckt. Ein Twitter sagt da ja, meine Tasche ist nun gefüllt mit MacBook, Weltliteratur, Klobürste, Calvin-Klein-Parfüm, "Business Punk" Band eins und 500 Gramm Mate Tee. Dann sagt mir das oder das sagt einem schon, aus welchem Dunstkreis das Ganze kommt, und mir fehlen die tieferen Beweggründe dahinter.
Heise: Gleichzeitig haben wir ja eben Leute gehört, die gesagt haben, wir finden das sympathisch, wir schließen uns an, wir wollen aber nicht zu sehr anecken, aber protestieren wollen wir doch und da können wir uns drunter wiederfinden.
Leipold: Genau. Es ist sehr angenehm, es ist gemütlich. Ironie ist ja auch immer eine schöne Möglichkeit, um zu verdecken, dass keine tieferen politischen Beweggründe dahinter stecken.
Heise: Na ja. Man ist gegen die Gefahrenzone, man ist gegen das Vorgehen der Polizei.
"Das kommt mir dann doch etwas lächerlich vor"
Leipold: Ja das ist vielleicht auch das, was mich noch trauriger stimmt an der ganzen Angelegenheit. Dass es so eine kleinkarierte Angelegenheit ist und dass es einfach nur ein Kratzen an der Oberfläche ist. Insofern passt natürlich auch schon wieder das Symbol Klobürste ganz gut. Aber gegen was wird denn eigentlich protestiert? Gegen Willkürherrschaft? Das kommt mir dann doch etwas lächerlich vor, wenn man das mit den Zuständen zum Beispiel in Russland oder so was vergleicht, und macht mich traurig, weil es so dünn ist. Ich habe einfach das Gefühl, dass hier auch wieder eine der kleinen vielen medialen Blasen aufgeblasen werden und im Endeffekt niemand mehr weiß, um was es eigentlich am Ende ging.Und das verstopft eigentlich den Markt der Ideen und der Visionen, der Vorstellungen.
Heise: Weil zu viel ihn überschwemmt und man nicht mehr durchblickt, was ist tatsächlich wichtig?
Leipold: Es reiht sich ein in so ein übliches Grundrauschen.
Heise: Was ist denn Ihrer Meinung nach ein gutes Symbol? Was muss ein Symbol leisten, um tatsächlich Inhalt zu transportieren, gleichzeitig aber den Protest auch, um sich scharen zu können?
Leipold: Das ist ziemlich schwierig zu erklären, weil es gibt natürlich symbolische Handlungen. Es gibt Bilder von Aktionen, die zum Symbol werden, und es gibt dann auch Logos, die ein Symbol werden. Das muss man natürlich erst mal unterscheiden. Aber ich denke, es sollte in dem Fall jetzt auch für diejenigen, die nicht jeden Tag auf Facebook oder Twitter unterwegs sind, irgendwas aussagen oder irgendeine Emotion ansprechen oder ein tieferes Grundgefühl.
Heise: "Hamburg ist widerborstig!" – widerborstig war ja wohl irgendwie so dieses, worauf man sich da beruft.
Leipold: Ich konnte jetzt mit der Klobürste erst mal gar nichts anfangen. Aber gut: widerborstig finde ich ein bisschen neckig.
Heise: Der Kern des Symbols muss Ihrer Meinung nach also den Inhalt, den er aussagen will, transportieren?
Leipold: Ein gutes Beispiel wäre jetzt zum Beispiel die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung. Da ist ja visuell in dem Bild selbst die Vielfalt über die verschiedenen Farben schon drin. Ich muss dann nicht irgendwie in dieser Internet-Comunity gewesen sein, mich nicht informiert haben, sondern ich weiß dann schon gefühlsmäßig in etwa, um was es geht. Ein ähnliches Beispiel wären die Baggy Pants, die Anfang der 90er von der Hiphop-Bewegung angezogen wurden, um sich zu solidarisieren mit den Gefängnisinsassen, mit den afroamerikanischen Brüdern in den Gefängnissen, die ja die Gürtel ausziehen mussten im Gefängnis. Diese Baggy Pants ist auch ein gutes Symbol, weil es dadurch, dass es alle machen, Solidarität ausstrahlt.
Heise: Wir haben relativ neu in der westlichen Welt vor zirka zehn Jahren den hochgehaltenen Schuh kennengelernt als ein Symbol des Protests, aus arabischen Ländern bekannt. Die Abscheu wird der Person gegenüber, der man den Schuh hochhält oder entgegenwirft, demonstriert. Das kannten wir hier gar nicht. Jetzt ist der auch überall bekannt, überall werden Schuhe hochgehalten. Können Sie damit was anfangen? Ich meine, da ist ein Gehalt drin, da können sich viele Menschen mit identifizieren, und jetzt wird es hier übernommen. Oder ist das dann auch so ein Grundrauschen?
Leipold: Nein, ich kann schon was damit anfangen. Das ist zumindest mal auch füllbar mit individuellen Beweggründen und Wünschen, Visionen. Es ist jedenfalls ein poetischeres Bild als die Klobürste.
Heise: Es geht hier im "Radiofeuilleton" um Protestsymbole. André Leipold vom Zentrum für politische Schönheit ist hier. – Sie haben gesagt, Herr Leipold, man muss ihn auch verstehen können, auch wenn man nicht ständig auf Twitter unterwegs ist beispielsweise. Mir fällt der schweigende, der Standing Man am Taksim-Platz in Istanbul ein. Da hat man sich ja auch erst mal gefragt: Was ist denn das? Überall auf der Welt quasi ist er dann zitiert worden, nachgeahmt worden, hat ja auch eingeschlagen. Der Inhalt war aber auch nicht sofort transportabel. Ich meine, das macht ja auch so ein Symbol aus, dass man sich erst mal fragt, was soll denn das. Was soll denn die Klobürste, Herrgott noch mal?
Leipold: Vielleicht ist in der heutigen Zeit, oder bleiben wir vielleicht mal in Deutschland, in der Gegenwart, wäre ein Symbol gut, das erst mal vielleicht einen Bewusstseinszustand beschreibt. Beziehungsweise vielleicht auch erschafft. Der es möglich macht, von diesem Grundrauschen, von dem wir eben geredet haben, von diesen Datenströmen, von diesen irrelevanten Posts, Tweets, von unerbetenen Anrufen jeden Tag, die Erreichbarkeit, davon einem erst mal eine kurze Pause gibt, dass man sich ausklinken kann von dieser Vernetzung. Ich glaube wirklich sehr daran, dass das bewusste partielle richtig allein Sein mit sich selbst, das Schweigen und das sich aus diesem Netz hinausbewegen, einen Bewusstseinszustand überhaupt erst herstellt, in dem man tiefere politische Beweggründe, Visionen, Ideen überhaupt erst erkennt, sie erst mal finden kann, um dann zu wissen, gegen was denn eigentlich protestiert werden könnte, sollte in diesem Land hier.
Da fallen mir zum Beispiel eher in dem Fall natürlich auch die Medien ein. Vielleicht haben die die Talare an. Und in der Alt-68er-Bewegung, oder in dieser Zeit waren es dann die Professoren und die Politiker. Ich glaube, wir haben es hier in Deutschland nicht mit holzköpfigen Politbüros zu tun, sondern eher vielleicht mit Medien, die sehr selten Rechenschaft ablegen müssen über das, was sie tun. Wenn sie mal gefragt werden – wenn ich mir, keine Ahnung, Maybrit Illner oder Anne Will angucke und die werden mal in ihrer Sendung kritisiert als Medienvertreter, dann kommen immer sehr bräsige Antworten nach dem Motto, das macht man sich jetzt aber auch sehr einfach.
Heise: Jetzt sind wir sehr weit weg von diesem Protestsymbol gekommen. Dieses Protestsymbol – Sie haben jetzt gerade, das fand ich sehr interessant, eigentlich ja das Gegenteil von einer Protestsituation beschrieben, das in sich Gekehrte, das Ruhige, das Überlegte. Das findet man sicherlich in einem Protestzug auf einer Demo nun ganz und gar nicht. Ein Symbol muss doch was ganz anderes transportieren, muss doch quasi transportabel sein?
"Wer zur Quelle kommen will, muss gegen den Strom schwimmen"
Leipold: Worauf ich hinaus will, ist: Was alle machen, ist diese lustigen Gimmicks zu nehmen und die mit aufzunehmen und mitzumachen bei dieser Event-Politik. Aber es gibt ja einen schönen Satz: Wer zur Quelle kommen will, muss gegen den Strom schwimmen. Und was heißt das heute bei uns in der Gegenwart? Gegen den Strom zu schwimmen heißt für mich, aus dieser Vernetzung herauszutreten. Ins Alleinsein zu gehen, mental – das klingt ein bisschen buddhistisch – tatsächlich die Vernetzung mal rauszuhalten und zu sich zu finden, zu sich zu kommen, unter diesen Datenstrom zu tauchen. Und da ist dann vielleicht auch wieder echte Gemeinschaft zu finden, auf die man sich dann verständigen könnte.
Heise: Besteht die Möglichkeit, jetzt gerade in Zeiten der Neuen Medien, sich da tatsächlich auszuklinken, wenn man was sagen will?
Leipold: Die Möglichkeit besteht, aber es kommt vielleicht auch niemand darauf. Vielleicht ist Protestkultur in Deutschland besser über Kunst zu erreichen, auch Musik. Beispielsweise ich mit meiner Band "Kreismal", wir arbeiten gerade an einem Album und einer Live-Präsentation. Das ganze nennt sich dann "Völker stört die Signale" und darauf wollen wir auch hinaus, auf Bewusstseinsveränderung und Wahrnehmungsveränderung.
Heise: Also mal zu sich kommen und eben nicht in der Masse immer das Gleiche rufen – André Leipold vom Zentrum für politische Schönheit, einem Zusammenschluss von Menschenrechtsaktivisten und Aktionskünstlern, zu dem Symbol, was im Moment in Hamburg grassiert, nämlich der Klobürste, mit der das widerborstige Hamburg repräsentiert werden soll. Ich danke Ihnen, Herr Leipold, für den Besuch.
Leipold: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema