Proteste in Macau

Reichtum allein reicht nicht

Macau: Casino im Galaxy Hotel
Macau: Casino im Galaxy Hotel © picture alliance / dpa / Ym Yik
Von Jochen Faget |
Ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, Besucher aus aller Welt, ein traumhaftes Wirtschaftswachstum. Eigentlich müssten die Bewohner der portugiesischen Ex-Kolonie Macau wunschlos glücklich sein. Aber die Forderungen nach freien Wahlen werden immer lauter.
Hausfrauen schwingen lächelnd und graziös die Arme bei ihren Tai-Chi-Übungen im Camões-Garten. Alte Männer schlurfen in Pantoffeln mit Vogelkäfigen vorbei, damit ihre gefiederten Lieblinge etwas frische Luft und Sonne bekommen.
Die ersten Touristengruppen von Festlandchinesen sind schon mit ihren kleinen Digitalkameras und riesigen Smartphones unterwegs. Sie fotografieren und kommentieren zwar verständnislos, aber umso unternehmungslustiger die Büste des portugiesischen Nationaldichters Camões. An allen vorbei fegt eine städtische Angestellte teilnahmslos den sowieso schon sauberen Weg.
Noch ist es ruhig in Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie an der Mündung des Perlflusses, die vor 15 Jahren - so die offizielle Version - "ins Mutterland heimkehrte" und zu einer winzigen Sonderverwaltungszone in der riesigen Volksrepublik China wurde. Die Sonderverwaltungszone ist so reich, dass sie einmal im Jahr ihren Bürgern Geld schenkt, statt es ihnen durch Steuern abzunehmen - zuletzt immerhin rund 1000 Euro pro Person.
Quelle dieses Reichtums sind die 35 Casinos in der Stadt. Fast 30 Millionen Besucher - vor allem Festland- und Hong-Kong-Chinesen - kommen im Jahr nach Macau, dem einzigen Ort in der Volksrepublik, an dem Glückspiel erlaubt ist. Doch die Einnahmen der Casinos gehen zurück, seit die Regierung in der Hauptstadt Peking einen strikten Antikorruptionskurs fährt, stellt der Soziologe und Fachhochschulprofessor Larry So fest:
"Wegen all der Maßnahmen, die die Zentralregierung ergreift, werden die VIP-Räume in den Casinos immer leerer. Zwei oder drei mussten sogar schon schließen, weil nicht mehr genug Spieler kamen. Die hohen Würdenträger und die Superreichen aus der Volksrepublik haben Angst zu kommen."
Die Einnahmen der Casinos seien bis zu 20 Prozent geschrumpft, weiß Larry So. In den nur Mitgliedern zugänglichen VIP-Sälen, wo oft die Einsätze bei 100.000 Euro beginnen, werden in Minuten Millionenbeträge umgesetzt, Schwarz- und Bestechungsgelder selbstverständlich eingeschlossen.
"Die Leute sind frustriert. Seit Jahren müssen sie sich tagein, tagaus mit den gleichen Problemen herumschlagen: Die Wohnungspreise sind exorbitant hoch, das Gesundheitssystem funktioniert schlecht, der Verkehr ist chaotisch, Busse und Taxis sind überfüllt. Und die Regierung Macaus hat nichts unternommen, um diese Probleme zu lösen."
Immer mehr Luxushotelburgen
Einerseits ist Macau seit der Rückgabe Ende 1999 stark gewachsen. Durch Landgewinnungsmaßnahmen sind die beiden der Altstadt vorgelagerten Inseln Coloane und Taipa längst zu einer zusammengewachsen. Am sogenannten Cotai-Strip schießen immer mehr Luxushotelburgen und Casino-Resorts in die Höhe. Auch die Einkommen in der Region sind wegen des Glückspielbooms beachtlich angestiegen.
Andererseits klagen die Bewohner Macaus über Dauerstress, Verkehrschaos und Immobilienspekulation. Gary Ngai, einst Kulturchef und noch immer einer der Vordenker der Stadt, stellt den Politikern Macaus deshalb ein Armutszeugnis aus:
"Bei all der Korruption, die herrscht, ist es unmöglich diese Stadt vernünftig zu regieren. Das muss sich ändern. Die Gesetze müssen besser werden, die Verwaltung, die Beamten. Fast alles ist schlechter als vor der Rückgabe. Das ist besorgniserregend und nicht normal."
Die Regierungschefs der Sonderverwaltungszone hätten versäumt, Macau vom Glückspielgeschäft unabhängiger zu machen, die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern sowie die Einzigartigkeit des Territoriums - seine kulturelles und architektonisches portugiesisches Erbe - zu erhalten und wirtschaftlich zu nutzen, kritisiert Ngai. Jetzt rege sich im einst so beschaulichen, ruhigen Macau der Widerstand:
"Wenn nichts getan wird, um das Erziehungs- und Rechtssystem zu verbessern, wenn die Regierung nicht ihre Politik verbessert, wird es Ärger geben! Das ist leicht vorauszusagen. Die Leute gehen ja schon auf die Straße und protestieren."
Im vergangenen Sommer waren es gleich mehrere Zehntausend. Sie demonstrierten gegen Pläne der Regierung, den sowieso schon steinreichen Regionalsekretären, also den Ministern und Regierungschefs, nach ihrer Amtszeit dicke Rentenzahlungen zuzuschanzen.
Entrüstete Einwohner Macaus belagerten tagelang das Regionalparlament bis der Gesetzesentwurf zurückgenommen wurde. José Maria Pereira Coutinho, ein Abgeordneter, der damals auf Seiten der Belagerer stand:
"Die Verantwortungslosigkeit unserer höchsten Amtsträger führt zu Amtsmissbrauch und Korruption. Darüber hinaus sind sie nicht durch die Stimmen der Bevölkerung legitimiert, ihre Ämter auszuüben."
Handverlesenes Wahlgremium
Der Regierungschef Macaus wird von einem handverlesenen 400-köpfigen Wahlgremium ernannt, das sich vor allem durch vorauseilenden Gehorsam Peking gegenüber auszeichnet. So steht es im Grundgesetz, das Chinesen und Portugiesen vor der Rückgabe ausgehandelt haben. Mit wirklicher Demokratie für Macau hatten weder die alten Kolonialherren, noch die neuen Herrscher etwas im Sinn. Daher ist auch das Parlament alles andere, als eine tatsächliche Volksvertretung.
"Die Gesetzgebende Versammlung hat 33 Mitglieder, von denen nur 14 demokratisch gewählt sind. Der Rest wird von Interessenvertretungen und vom Regierungschef ernannt."
Der 57-jährige Pereira Coutinho ist portugiesischer Abstammung und einer der wenigen gewählten Volksvertreter. Zwar sei die Bevölkerung Macaus in den Jahren seit der Rückgabe selbstbewusster geworden, versichert der Politiker. Doch vor allem den älteren Einwohnern Macaus seien Ruhe und Ordnung wichtiger als Demokratie. Trotzdem wünschten sich immer mehr Bürger Macaus, über die Zukunft der Stadt mitzubestimmen. Demokratie und freie Wahlen eben:
"Unsere Hoffnung ist natürlich, dass eines Tages alle Abgeordneten von den Bürgern gewählt werden. Nur so sind sie legitimiert, die Regierung zu kontrollieren und die Rechte der Bürger zu verteidigen, die sie gewählt haben."
Pereira Coutinho sieht Parallelen zwischen seiner Heimatstadt und Hong Kong am anderen Ufer der Perlflussmündung. Vor allem die hohen Wohnungspreise sorgten für sozialen und damit auch politischen Sprengstoff:
"Dieses Problem vertieft den Graben zwischen reich und arm, hier und in Hong Kong. Dort hat das zur Occupy-Central-Bewegung geführt. Denn die jungen Menschen in Hong Kong und Macau sehen keine Zukunft für sich."
Oder sie wollen eine andere, als reiche paternalistische und von Peking abgesegnete Regierungschefs für sie planen.
Aum 20. Dezember 2014 - Protest in Macau
Protest in Macau© picture alliance / dpa / Stringer
Auf der 'Estrada do Campo', einer der Hauptstraßen, verteilen Jason Chao und ein Freund Flugblätter gegen Macaus Regierungschef Fernando Chui Sai-on, dessen zweite fünfjährige Amtszeit gerade begonnen hat. Der 28-jährige Chao ist Vorsitzender des Vereins "Neues Macau", einer Art Partei, die sich für Demokratie einsetzt. Chao hat es nicht leicht, seine Flugblätter los zu werden. Die Passanten hetzen vorbei, schenken dem jungen Mann kaum Beachtung. Die Behörden dafür umso mehr:
"Ich wurde schon vier mal verhaftet. Die Anklagen liegen bei der Staatsanwaltschaft. Wir werden sehen, ob Macau rechtsstaatlich damit umgeht."
Zu Chaos erster Verhaftung kam es, als der Informatikfachmann mit Gleichgesinnten nach Hongkonger Beispiel eine Art Internetreferendum organisierte, als vergangenen Herbst der Regierungschef zur Wiederwahl stand.
"Wir haben die Bürger ganz informell gefragt, ob sie den Regierungschef frei und direkt wählen wollen und ob sie dem einzigen Kandidaten vertrauten."
Freie Wahlen und Misstrauen gegenüber dem Regierungschef
Fast alle der knapp 10.000 Umfrageteilnehmer wollten freie Wahlen und misstrauten dem Regierungschef. Jason Chao kam in U-Haft, das Referendum wurde verboten - unter dem Vorwand des Datenschutzes, weil die Initiatoren nach den persönlichen Daten der Teilnehmer gefragt hatten. Aber trotzdem: Ein neuer Wind wehe durch Macau, freut sich Jason Chao:
"Die meisten Bewohner der Stadt waren traditionell apolitisch und pekingfreundlich. In der jungen Generation hat sich das geändert. Immer mehr Jugendliche interessieren sich für Politik."
Und die wollen über Angelegenheiten, die sie betreffen, mitentscheiden. Die Strategie 'lasst sie reich werden, dann bleiben sie schon ruhig' scheint in Macau fehlgeschlagen. , Die aufstrebende Mittelschicht fordert ihren Platz in der Gesellschaft. Jason Chao und seine Mitstreiter setzen bei ihren Aktivitäten vor allem auf das Internet:
"Social Media wie zum Beispiel Facebook sind für unsere Arbeit ganz besonders wichtig. Sie sprechen junge Menschen besser an, als traditionelle Zeitungen und Fernsehnachrichten."
Für eine wirkliche Veränderung fehle jedoch noch der theoretische Unterbau, meint Chao. Die Menschen in Macau wüssten noch zu wenig über Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das wollen Chao und der Neues-Macau-Verein durch ihre Aktionen und Aufklärungsveranstaltungen ändern:
"Es ist wichtig für mich, weiter für Demokratie zu kämpfen. Das ist auch eine Frage der Einstellung. Wenn wir unsere Hoffnung aufgeben, werden wir auch keine Zukunft haben."
Der Soziologe Larry So, der die Entwicklung in Hong Kong, wie auch in Macau genau beobachtet, weist auf die Unterschiede zwischen den beiden Sonderverwaltungszonen hin:
"Macau hat traditionell starke Verbindungen zu China. In Hong Kong ist das nicht der Fall, da sind die Menschen eher antikommunistisch. Macau dagegen war schon immer sehr prokommunistisch."
Dass es jetzt immer öfter zu Protesten komme, sei darum eigentlich umso erstaunlicher. Selbst wenn es noch in erster Linie um Probleme des täglichen Lebens, wie eben zu hohe Wohnungspreise und nicht funktionierende öffentliche Verkehrsmittel gehe, sagt Larry So.
"Kurzfristig kann ich trotzdem keine politische Massenprotestbewegung junger Menschen in Macau sehen. Noch nicht. Da müssen wir wohl noch zehn Jahre warten."
Der Parlamentsabgeordnete José Maria Pereira Coutinho lässt sich dadurch nicht entmutigen. Bei seinen Auftritten fordert er immer wieder freie, allgemeine Wahlen:
"Um mehr soziale Gerechtigkeit und eine bessere Lebensqualität zu erreichen, müssen wir unsere Wahlgesetzgebung ändern. Der Regierungschef und das Parlament müssen vom Volk gewählt werden."
Solange das Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' für Macau gilt, will der Politiker nicht aufgeben. Noch 35 Jahre, bis 2049, kann das kleine Territorium an der Mündung des Perlflusses weitgehend selbstständig über seine Zukunft entscheiden. Ob das auch die Option Demokratie einschließt, wird sich zeigen.
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