Aus den Feuilletons

Ein Sparkassenschloss mit Potenzial

06:17 Minuten
Der Schriftzug des Humboldt Forums auf der Hausfassade.
Das Humboldt Forum soll nach acht Jahren Bauzeit und mehrfach verschobenem Termin am Dienstag seine Pforten öffnen - coronabedingt zunächst digital. © picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Von Arno Orzessek · 12.12.2020
Audio herunterladen
Die Eröffnung des Berliner Humboldt Forums teilt die Feuilletons. Für die einen hat es den Charme einer Sparkasse und für die anderen birgt es das Potenzial eines zukünftigen Labors, „in dem noch die unbequemste Frage gestellt werden darf“.
Umfragen belegen: In puncto Corona-Auflagen möchten die meisten Menschen hierzulande härter angefasst werden, und die Exekutive wird ihren Wunsch vermutlich noch an diesem Sonntag erfüllen. Indessen bekundete der Verfassungstheoretiker Oliver Lepsius bereits Anfang der Woche in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG sein Unbehagen:
"Auf einmal gilt die Inanspruchnahme von Freiheitsrechten als ein unsolidarischer, illegitimer Akt. So wird der Kulturszene eine peinliche pathetische Rhetorik und Bedeutungsüberschätzung vorgeworfen, wenn sie auf die Unentbehrlichkeit der Kultur hinweist, ohne zugleich Worte des Mitgefühls mit den Leidenden und Toten zu finden. Hier wird verfassungsrechtlich legitimer Grundrechtsgebrauch moralisiert. Maskenlosen Demonstranten wird vorgehalten, sie spielten mit dem Leben anderer. Muss, wer die Versammlungsfreiheit betätigt, immer auch zugleich eine staatliche Schutzpflicht erfüllen? Verfassungsrechtlich eindeutig nein."
Erkennbar gereizt: Oliver Lepsius in der FAZ.

Die BRD ist keine Diktatur

Ebenfalls nicht die Ruhe selbst: Der Historiker Heinrich August Winkler – der im Berliner TAGESSPIEGEL allerdings über etwas ganz anderes schimpfte:
"Die Vergleiche, die Gegner der Corona-Politik zwischen der Gegenwart und dem 'Dritten Reich' oder der DDR ziehen, sind hanebüchen und geradezu pervers. Sie zeigen einen Mangel an jeglicher historischer Urteilskraft. Wir leben in einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie. Der Bundestag muss natürlich darauf achten, dass es keine ungerechtfertigte Verselbstständigung der Exekutivgewalt gibt. Bisher kommt er dieser Kontrollfunktion nach."
Einen Doppelschlag gegen die Corona-Politik führte die Tageszeitung DIE WELT:
"Sie glaube an die Fakten – so Angela Merkel, als sie im Bundestag den harten Lockdown forderte. Doch die Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina, auf die sich die Kanzlerin berief, genügt selbst einfachsten Standards nicht. Der Schaden, den die Funktionäre der Wissenschaft damit anrichten, ist immens", echauffierte sich Jörg Phil Friedrich.
Und ebenfalls in der WELT erklärte Magnus Klaue unter dem Titel "Man wird doch mal seine Corona-Sau rauslassen dürfen":
"Die Corona-Politik setzt verschärft und mit größerem moralischen Erpressungspotenzial den von der Klimapolitik betriebenen Kampf gegen alle, Alte wie Junge, fort, die ihr Leben statt an einer hypothetischen Zukunft an der jeweiligen Gegenwart messen und sich weigern, im Namen späterer Generationen ihren individuellen Anspruch auf Glück und sinnliche Erfüllung preiszugeben. Erst wenn beide Gruppen, Junge wie Alte, erkennen, dass diese Politik, statt ihr individuelles Leben zu schützen, aus ihnen hypochondrische Frühvergreiste macht, könnte sich an der deprimierenden Lage etwas ändern."

Pandemiepoesie von Stefanie Sargnagel

Wie deprimierend der Frühjahrslockdown in Österreich war, daran erinnerte sich die Wiener Schriftstellerin Stefanie Sargnagel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter dem Titel "Gammeln, Snacken, Masturbation".
Nicht zuletzt hatte Sargnagel damals das Gedicht "Homeoffice" geschrieben hat. Es geht so:
Nickerchen
Wichsen
Nickerchen
Wichsen
Nickerchen
Wickerchen
Nixen

Geteilte Meinungen zum Humboldt Forum

Besuchen wir nun mit der Wochenzeitung DIE ZEIT das Berliner Stadtschloss samt innewohnendem Humboldt Forum:
"Die aseptische Ästhetik erinnert nicht zufällig an Helmut Schmidts Ausspruch, sein Amtssitz in Bonn habe den Charme einer rheinischen Sparkasse; nur tritt jetzt hier, im Schloss, das Staatswesen in der Formensprache einer Berliner Großversicherung auf. Diese Art einer kargen Auswechselbarkeit entspricht ziemlich genau der Bedeutungsarmut des Humboldt Forums. Bis heute will dort kein Funke zünden, alle Beschwörungen von Weltläufigkeit laufen ins Leere. Selbst die schwarze Fahne des Künstlers Kang Sunkoo, die an die Verbrechen der Kolonialzeit gemahnt, könnte man im kahl-kühlen Treppenhaus des Schlosses glatt für ambitionierte Kaufhausdeko halten."
Ziemlich gallig: der ZEIT-Autor Hanno Rauterberg.
"Das Luftschloss", titelt – ebenfalls nicht allzu freundlich – das Magazin DER SPIEGEL, in dem Ulrike Knöfel und Nils Minkmar behaupten: "Preußenverehrung und Kolonialismusdebatten lassen sich schwer vereinbaren."
Das sah die TAGESZEITUNG anders und adelte Schloss plus Forum zum "Cremekasten mit Tiefgang":
"Das Humboldt Forum wird vielleicht gerade wegen all der berechtigten Kritik an ihm besser werden, als die meisten glauben. Es ist auf gutem Weg zu einem Labor, in dem noch die unbequemste Frage gestellt werden darf", lobte die TAZ-Autorin Susanne Messmer.
Und in der SZ sah Peter Richter in der verzwickten Ausgangslage sogar ein Versprechen:
"Vor der Eröffnung macht der Bau keinen richtig glücklich und das, was drin geplant ist, die meisten ratlos. Nach Berliner Erfahrungen sind das geradezu ideale Bedingungen für Zukünftiges. Gerade kontaminierte und inhaltlich gescheiterte Bauten werden in Berlin als kulturelle Kondensationskerne geschätzt. Wo schon in NS-Hochbunkern und stalinistischen Heizkraftwerken getanzt, geliebt und Kunst gezeigt wurde, muss einem auch um die Potenziale eines neuerrichteten Preußenschlosses nicht bange sein."

Royale Tunichtgute

Wir streiten uns über ein neues altes Schloss, die Briten streiten sich über die Netflix-Serie "The Crown" – und zwar heftig:
"Den Machern von 'The Crown'", so Gina Thomas in der FAZ, "wird nicht ohne Grund unterstellt, die Monarchie zu unterhöhlen mit mokanten Charakterisierungen der Royals – das Oberhaupt vielleicht ausgenommen – als launische, geschädigte, hochnäsige, ichbesessene Tunichtgute, die sich in ihrem goldenen Käfig auf Kosten anderer amüsieren mit absurden Saufspielen, wenn sie nicht mit dick aufgetragener Symbolik Tiere töten oder sich gegenseitig zerfleischen."
Bitte, tun Sie es den Netflix-Royals nicht nach! Beginnen Sie den 3. Adventssonntag lieber mit der Erwartung, die in der SZ Überschrift wurde: "Könnte wundervoll werden".
Mehr zum Thema