Protestant aus Überzeugung, Katholik aus Mentalität

12.05.2010
Versteht man unter "Oekumene" den Dialog und die Kooperation der katholischen und der evangelischen Kirchen in Deutschland, dann teilen sich die Menschen meist in drei Gruppen: Eingefleischte Konfessionalisten, die gar keine Oekumene wollen. Idealistische Pragmatiker, die sie an der Basis längst vollzogen haben. Und indifferente Konfessionslose, denen egal ist, ob es eine "Einheit der Kirchen" jemals geben wird oder nicht.
Allen drei Meinungen hat der (katholische) Pattloch-Verlag pünktlich zum "Ökumenischen Kirchentag" in München ein intelligent amüsantes Buch gewidmet: "Warum Evangelische überflüssig und Katholiken die wahren Christen sind" heißt ein Untertitel in Vatikan-gelb und "Warum Katholiken überflüssig und Evangelische die wahren Christen sind" heißt der Untertitel in EKD-violett.

Das Buch hat keine Vorder- und Rückseite, sondern es sind zwei Bücher, jeweils auf dem Kopf stehend aneinander geklebt. Diese etwas gewollt lustige Aufmachung birgt aber profunde Sachkenntnis und luzide Argumentation: 96 Seiten lang erläutert der evangelische Theologe Uwe Birnstein, warum Martin Luthers Prinzip "Allein der Glaube, allein die Schrift" den Menschen frei, eigenverantwortlich und Gott gegenüber unmittelbar machte, warum es schon lange vor der Reformation 1517 "evangelisch" gesonnene Einzelpersonen und Bewegungen gab, warum die evangelische "Kirche der Freiheit und des Wortes" auf verschrobene Winkelzüge der Erbsündenlehre verzichten kann und weder eine "Mutter Gottes der unbefleckten Empfängnis" noch einen in Lehrfragen "unfehlbaren" Papst braucht.

In den Zeugenstand zur Verteidigung evangelischer Lehre ruft Autor Uwe Birnstein die Herren Goethe, Heine, Hesse, Rilke, Dostojewski, Schleiermacher, Kierkegaard und Bonhoeffer, um zu beweisen, dass Aufklärung, Individualismus, Demokratie und sozialer Aufstieg letztlich alles Früchte aus protestantischer Pflanzung sind.

Die 96 Seiten des katholischen Religionswissenschaftler Georg Schwikart sind dagegen zunächst bestürzend dünn unterfüttert. Vom Missfallen seiner pubertierender Tochter am Verlauf einer evangelischen Konfirmation über das Rezept einer "Züricher Pfarrhaustorte" bis zu Witzchen und Anekdötchen kommt er nicht hinaus, bis er die Bibel als Werk der kirchlichen Tradition, die Weitergabe der Priesterweihe seit Petrus als unverzichtbar und das Papstamt als moralischen wie medialen Vorteil anführt.

Beide Autoren hängen ihren Plädoyers selbstkritische Kapitel an und listen freimütig auf, um welche roten Kirschen sie den Nachbarn in seinem Garten beneiden. Das ist versöhnlich gemeint und sicher vernünftig, verwässert aber für den Leser die erfreulich klare Profilschärfe der jeweiligen Konfession.

Deutlich wird: Protestant ist man aus Überzeugung. Katholik aus Mentalität.

Der eine hört, denkt und entscheidet. Der andere schaut, feiert und gehorcht.

Birnstein und Schwikart ist es gelungen, das Schwere leicht zu sagen und - unter Vorspiegelung unernster Satire - ganz ernsthafte Kirchen-, Dogmen- und Mentalitätsgeschichte zu vermitteln.

Zu den Autoren:
Uwe Birnstein, geb 1962, evangelischer Theologe, Zeitungs- und Hörfunk-Journalist, lebt in München und Tirol, schrieb Biografien über Johanes Calvin und Philipp Melanchthon.

Georg Schwikart, geb 1964, Religionswissenschaftler und katholischer Theologe, lebt in St Augustin bei Bonn, schrieb zahlreiche Sachbücher über Tod und Sterben, Trauerbegleitung etc.


Besprochen von Andreas Malessa

Uwe Birnstein, Georg Schwikart: Katholisch? Never! Evangelisch? Never!
Pattloch Verlag, München 2010
192 Seiten, 12,95 Euro