Protest-Memes in Hongkong

Ein kollektiv geführtes Tagebuch

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Demonstranten in Hongkong halten ein Schild in die Höhe mit dem die lokale Regierung und er chinesische Staatschef Xi Jinping kritisiert werden.
Anleihen an popkulturelle Codes: Bei den Demonstrationen in Hongkong wird Kritik an der Regierung auch mit modifizierten Filmplakaten geäußert. © Imago / Zuma / Geovien So
Von Jenny Genzmer · 12.07.2019
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In Hongkong wird der Kampf gegen die Regierung nicht nur auf der Straße geführt: Auch im Internet sind die Aktivisten engagiert. Unter anderem mit Memes und Animationsfilmen verbreiten sie ihre Forderungen.
Protestierende auf den Straßen von Hongkong im Oktober 2014: Transparente mit Demokratieparolen hängen von der Fußgängerbrücke, Menschen singen und halten gelbe Regenschirme in die Luft. Dieser Song "Raise the Umbrella" wurde eigens für die Regenschirmbewegung geschrieben.

Die Protestkultur hat sich geändert

Der Cartoonist und Designer Jason Li erklärt, dass die Farbe Gelb damals für Demokratie gestanden habe. "Manche haben auch gelbe Schleifen getragen. Die Regenschirme wurden deshalb als visuelles Symbol so stark, weil Journalisten viele Fotos von Protestierenden gemacht haben, die sich mit Regenschirmen vor der Polizei schützen. Das Bild war nicht nur markant für uns selbst, sondern wirkte auch international. Und so wurde es zu einem Bild, mit dem wir uns auch selbst identifizierten."
79 Tage lang haben die Menschen auf Hongkongs Straßen ausgeharrt, der zivile Ungehorsam sollte so lange anhalten wie möglich. Leitfiguren wie der damals 17-jährige Joshua Wong wurden zum Gesicht der Bewegung. Heute sei diese viel diverser. Zum Teil aggressiver, aber auch kooperativer und besser organisiert, sagt Jason Li. Seit der ersten großen Demonstration am 9. Juni zirkuliert unter den Demonstrierenden ein Slogan – inspiriert von Hongkongs Nationalhelden Bruce Lee.
"Das steht im Gegensatz zur Regenschirmbewegung", meint Jason Li, "diese Idee – sei wie Wasser, sei flexibel, wenn sie dich zurückstoßen. Übe Druck aus, aber zieh dich dann zurück. Es ist also mehr als eine Parole zur Motivation, es ist auch eine Strategie. Wenn die Polizei hart durchgreift, bleib nicht stehen und lass dich festnehmen. Lauf weg und komm ein anderes Mal wieder. Bei der Regenschirmbewegung sind Menschen zurürckgeblieben, sie haben sich bewusst vor laufender Kamera festnehmen lassen."

Nach Gewalt ändern sich die Memes

Die neue Bewegung sei dezentral durch und durch, sagt Li. Und in ihren Memes werde das sichtbar - die Urheberinnen und Urheber bleiben häufig anonym und der Stil verändert sich. Jason Li hat eine Entwicklung von vier Wellen festgestellt. Die erste nennt er "Awareness building". Es sei der Versuch, die Aufmerksamkeit auf die Demonstrierenden und ihr Anliegen zu lenken. Wie auf dem Protestzug am 9. Juni, als die radikaldemokratische politische Organisation "People Power" Transparente trug, die auf die Folgen des geplanten Auslieferungsgesetzes hinweisen sollten.
"Das Meme war ein Poster mit dem Bild von Thanos aus der Avengers-Serie, der so stark ist, dass er das Leben des halben Universums mit einem Fingerschnipp auslöschen könnte", erzählt Jason Li. "Sie haben das Gesicht von Chinas Regierungschef Xi Jinping auf das Bild von Thanus gephotoshopt. Das Bild suggeriert also – wenn das Auslieferungsgesetz kommt, kann er dich mit einem Fingerschnipp über die Landesgrenze bringen."
Bei den Protesten drei Tage später eskaliert die Gewalt. Die Polizei setzt Tränengas und Pfefferspray gegen Demonstrierende, Journalisten und Journalistinnen ein. Im Internet taucht der Namen der asiatischen Fastfoodkette "Pepper Lunch" auf Bildern auf, die Pfefferspraywolken zeigen. Und Demonstrierende, die sich mit Regenschirmen schützen, "Pepper Lunch in Hong Kong". Gifs und Memes über Polizeigewalt sind die zweite Meme-Welle, die Jason Li beobachtet. Als sich Festnahmen häufen und der erste Demonstrant, ein Mann im gelben Regencape Suizid begeht, verändert sich die Ästhetik der Bilder.

Heroische Bilder in Animationsfilm

Die Hongkonger News Website "Stand News" veröffentlicht ein animiertes Video einer unbekannten Gruppe, das innerhalb weniger Tage in viele Sprachen übersetzt wird. Für Jason Li ein Beispiel für die dritte Meme-Welle. Er nennt sie "die Heroisierung der Aktivistinnen und Aktivisten."
"Die Animation zeigt Menschen, die vor Tränengas fliehen, Hände, die protestieren und gefesselt werden. Und sie endet in dieser epischen Szene mit dem Mann im gelben Regencape und Menschen mit Regenschirmen. Das Video hat etwas majestetisch-heroisches. Es kam heraus, weil die ersten Proteste kaum Auswirkungen hatten und die Menschen sich aufputschen wollten, mehr zu tun und zu kämpfen", meint der Designer Jascon Li.

Zusammenstehen als neues Motiv der Memes

Für Jason Li ist dieses Video aber nicht nur eine Heroisierung. Es ist noch was anderes. Ein Übergang zur vierten Welle von Memes. Die Zeichnungen und Collagen zeigen immer häufiger Menschen, die zusammenstehen, den Arm umeinander legen oder einzelne Menschen, farblich abgehoben von der Masse. Psychische Gesundheit, mentale Krisen werden Thema, Aufrufe, sich nicht überwältigen zu lassen und zusammenzustehen.
"Nach der Aktion am erste Juli, als die Polizei das Regierungsgebäude räumte, nachdem es die Protestierenden erst eindringen ließ und dann quasi über Nacht festnahm – das ist die Stimmung bei vielen gekippt", sagt Jason Li.
Durch Memes haben viele soziale Bewegungen ihre Botschaften und Appelle transportiert. In Hongkong kommt noch eine Dimension hinzu, Memes sind nicht nur Kommunikationsmittel von Bedürfnissen, Forderungen und Strategien, sie sind ein Mittel der Selfreflektion – eine Art minutiös geführtes, kollektives Tagebuch.
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