Protest gegen Architektur-Projekt in Neapel

Ein Glückshorn als Zankapfel

Blick über die Stadt und den Golf von Neapel in der italienischen Provinz Kampanien.
Das Turmhorn soll am Lungomare, an der Hauptstraße beim Meer, nicht weit von der Piazza Vittoria errichtet werden. © dpa / picture alliance / Udo Bernhart
Von Thomas Migge  · 22.08.2017
Eine potenzielle Touristenattraktion sorgt für Streit in Neapel: Der Bürgermeister wünscht sich einen begehbaren Turm mit Terrassen in der Form eines Horns, das in Neapel als Glücksbringer gilt. Kritiker sorgen sich um das Stadtbild.
"Ich gehöre zu jenen, die hier nicht nur ständig klagen, sondern die was tun. Unser Projekt ist nicht Propaganda für mich und meine Stadtregierung, sondern ein Symbol für unseren Lebenswillen."
Neapels Bürgermeister Luigi de Magistris will die Welt mit einem Riesenhorn überraschen. Realisiert werden soll es von Pasquale Aumento, Freund des Bürgermeisters und Eigentümer des Bauunternehmens Italostage:
"Das schaffen wir! Das müssen wir schaffen. Bis zum 8. Dezember, dem Beginn der Weihnachtszeit muss das alles fertig sein! Wir werden nichts unversucht lassen, um dieses Projekt zu verwirklichen!"

Ein Horn als Turm

Der Bauunternehmer und der Bürgermeister sprechen von einem rund 40 Meter hohen Horn, das knallrot angestrichen wird. Kein Wohngebäude, keine Skulptur, sondern ein begehbarer Turm mit Aussichtsterrassen. Er soll am Lungomare, an der Hauptstraße beim Meer, nicht weit von der Piazza Vittoria errichtet werden.
Dieses Horn wird eine riesige Vergrößerung jener, in Italienisch "corni" sein, die vor allem in Neapel zu finden sind. Das "corno", das Horn, gehört zur neapolitanischen Volkskultur wie die Pizza und das "O sole mio". In der Regel handelt es sich um ein leicht um die eigene Achse gedrehtes und in die Länge gezogenes Horn in roter Farbe. Es soll, so wiesen Volkskundler nach, seit der Antike existieren, den bösen Blick abwenden und Potenz und Fruchtbarkeit seiner Träger garantieren. Normalerweise ist es einige Zentimeter groß und wird mit einer Kette um den Hals getragen, von Mann und Frau. Aber "corni" finden sich in allen Größen und Materialien, Plastik, Koralle, Gold und Silber, auch als Schlüsselanhänger und an Haustüren. In Neapel findet sich kein Souvenirgeschäft ohne diesen Glücksbringer, erklärt der neapolitanische Lokalhistoriker Gennaro de Santis:
"Dieser Glückbringer soll auch funktionieren gegen Weltuntergangsprophezeiungen wie auch gegen die Wirtschaftskrise. Was liegt da also näher, wird man sich im Rathaus gedacht haben, angesichts all der neapolitanischen Probleme, ein riesiges Horn zu errichten, als Super-Glücksbringer gewissermaßen. Gegen alle nur erdenklichen Übel."
Und als zusätzlicher Tourismusmagnet. Erhofft wird eine Art Elbphilharmoninieffekt "alla napolitana". Keine schlechte Idee in einer Stadt, die im Vergleich zu Rom, Florenz und Venedig viel weniger von Touristen besucht wird. Auch der Ort für das Turmhorn ist verkehrstechnisch perfekt: Er steht der Stadtentwicklung nicht im Wege, ist gut zu erreichen, auch für Touristen, die mit Kreuzfahrtschiffen kommen, und Parkplätze gibt es genug.

Kritik von einer Kulturorganisation

Doch nicht alle Neapolitaner sind begeistert von dem Mega-Glücksbringer, der sogar von Capri aus gut sichtbar sein soll. Allen voran die private Kulturorganisation Fondo Ambiente Italiana FAI, die größte ihrer Art zum Schutz von Kulturgütern in Italien. Sie will sich jetzt an die UNESCO in Paris wenden - denn immerhin ist die gesamte Altstadt Neapels ein Weltkulturgut, erklärt der Kunsthistoriker Antonio Parlante:
"Es gibt Dutzende von historisch wichtigen Bauwerken in der Altstadt, die vergammeln und verfallen, um die sich niemand kümmert. Schon 2011 überlegte sich deshalb die UNESCO, unsere Altstadt von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen. Das konnte damals abgewendet werden. Jetzt riskieren wir wieder eine UNESCO-Blamage."
Ob Parlante und der FAI recht oder einfach nur Angst vor dem Neuen haben, ist eine müßige Frage. Der Umstand, dass Neapels Altstadt ein Weltkulturgut ist, bindet auch dem Bürgermeister die Hände: Er kann nicht einfach in der Altstadt einen Neubau errichten - vor allem keinen, der von überall gut zu sehen ist und damit die Silhouette der Stadt verändert. Hier hat die UNESCO ein Wörtchen mitzureden - doch das sieht Bürgermeister de Magistris nicht ein. Der Konflikt um das Riesenhorn von Neapel ist somit auch ein Streit um kommunale Autonomie im Verhältnis zur UNESCO. Wie dieser Streit ausgehen wird, ist momentan noch unklar.
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