Prostituierte aus Moldau

"Die Kunden haben mich wie Abschaum behandelt"

Eine Prostituierte in Pumps und knapper Hose steht an einem Lkw.
Viele Frauen aus der Republik Moldau gehen eine Zeit lang ins Sexgeschäft ins Ausland. © picture alliance / dpa/ Boris Roessler
Von Annett Müller  · 10.02.2015
Mit falschen Versprechen werden viele Frauen aus der Republik Moldau ins Ausland gelockt. Dort arbeiten sie als Prostituierte - und kommen später mittellos zurück in ihr Dorf. Eine Aktivistin hilft ihnen bei der Rückkehr in den Alltag.
Elena Mereacre hat die falschen Schuhe an. Auf dem steinigen Weg knickt sie ständig mit ihren Absätzen um. Am Dorfrand von Costesti gibt es keine asphaltierten Wege mehr, da wo die Ärmsten des moldauischen Ortes wohnen. Die 58-jährige Mereacre hat unterm Arm einen Sack mit gebrauchten Kindersachen geklemmt – eine Spende aus Deutschland:
"Ich arbeite seit 14 Jahren als NGO-Aktivistin mit Frauen aus sozial schwachen Familien. Geldfonds für eine solche Arbeit zu finden, ist schwierig. Ich mache dennoch immer weiter, weil es junge Frauen im Ort gibt, die in Not sind. Denen versuche ich, zu helfen."
Viele Frauen wachsen in prekären Verhältnissen auf
Junge Frauen wie Andreea, die gerade aus dem Kleidersack eine Bermudashorts angelt. Die könnte ihrem neunjährigen Sohn passen. Andreea war erst 14, als sie Mutter wurde. Seit ihrem Schulabbruch schlägt sich die Alleinerziehende mit Gelegenheitsjobs durch, ständig steckt sie in Geldnöten. Jetzt sorgt NGO-Aktivistin Mereacre mit der Kleiderspende für einen Lichtblick bei ihr. Mereacre hat in den vergangenen Jahren ein Dutzend von Frauen im Dorf betreut, die Opfer von skrupellosen Geschäftemachern wurden:
"Es gibt viele junge Frauen bei uns, die in prekären Verhältnissen aufwachsen. Sie sind nicht nur arm, sie erleben auch viel Gewalt. Bei uns heißt es: Eine Frau, die nicht geschlagen wird, ist wie ein Haus, das nicht geputzt ist. Auf Frauen in solchen Verhältnissen haben es Menschenhändler besonders abgesehen. Sie können sie leicht überzeugen, ins Ausland zu gehen."
Leichte Beute war auch die 25-jährige Andreea, die ihren richtigen Namen nicht nennen will. Eine Freundin im Ort hatte sie für ein illegales Bordell in der Türkei angeworben, versprach ihr 3000 Euro Monatslohn, die sie als Prostituierte verdienen könne:
"Meine Freundin hat mir den Pass und die Reise bezahlt. Als ich dort war, war alles ganz anders als verabredet. Sie hat meine Einnahmen fast vollständig einbehalten und gesagt, ich würde schließlich bei ihr wohnen und von ihr verpflegt werden."
"Ich hatte immer zwei, drei, manchmal auch vier pro Nacht – immer ohne Kondom"
Jetzt lebt Andreea wieder in Costesti. In einem winzigen Zimmer, das sie sich mit der Großfamilie ihrer Schwester teilt. Kein Stuhl, kein Tisch, nur zwei Betten für acht Menschen. Andreea zieht ein betagtes Notebook unter dem Kopfkissen hervor. Gedankenverloren schaut sie auf Fotos von der Türkei, die sie als platinblonder Vamp mit High Heels und Minirock zeigen. Andreea ist kaum wiederzuerkennen, im grauen Jogginganzug, den sie gerade trägt:
"Ich dachte, es würde einfach sein, in einem Bordell zu arbeiten. Aber die Kunden haben mich wie Abschaum behandelt. Ich hatte immer zwei, drei, manchmal auch vier pro Nacht – immer ohne Kondom. Sie haben mit mir gemacht, was sie wollten. Ich konnte einfach nicht mehr, ich musste weg. Ich konnte mich nicht weiter beschmutzen lassen."
Würden das die Nachbarn in Costesti hören, würden sie Andreea als Hure brandmarken. Eine Anzeige bei der Polizei kommt für die junge Frau nicht infrage. Sie glaubt nicht, dass die Beamten ermitteln würden. Nur Elena Mereacre hat sie sich anvertraut. Psychologische Betreuung, die Andreea wohl am dringendsten bräuchte, kann aber auch Mereacre nicht leisten. Sie versucht es mit praktischer Lebenshilfe: Andreea soll doch morgen mit zur Weinernte kommen, schlägt die NGO-Aktivistin vor.
Viele Rückkehrerinnen finden nicht mehr in den Alltag
Einen Tag später riecht es in der Küche von Mereacre nach Rindfleisch. Deftiges Essen für die Weinlese. Costesti lebt im Herbst von den roten Cabernet Sauvignon-Trauben. Zehn Euro pro Tag verdienen die Erntehelfer. Doch es gibt kaum welche, weil viele Dorfbewohner im Ausland das Doppelte verdienen.
Mereacre wird ungeduldig, weil Andreea nicht auftaucht. Stattdessen schaut Mereacres Schwiegertochter, Maria Bivol, zur Tür herein. Sie hilft ihr bei der NGO-Arbeit. Zusammen betreuen sie Frauen, die mit falschen Versprechen ins Ausland gelockt und später mittellos ins Dorf zurückkehren. Viele der Frauen aber finden nur schwer in den Alltag zurück, meint Maria:
"Die jungen Frauen sind sehr wechselhaft, schwanken von einem Extrem ins andere. Wenn wir sie vermitteln wollen, dann winken viele Arbeitgeber inzwischen ab, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie nicht zuverlässig sind."
Mereacre hat sich auf den Weg in den Weinberg gemacht. Die NGO-Aktivistin braucht das Geld aus der Weinlese, um selbst finanziell über die Runden zu kommen. Andreea ist nicht gekommen. Vielleicht ja morgen, tröstet sich Mereacre.
"Das ist nun mal mein Alltag. Leute wie Andreea müssen ständig betreut werden, man muss sie förmlich an die Hand nehmen. Sie hat ein Leben lang Rückschläge erlebt und ist nicht stabil. Das kann man nicht einfach so ändern. Dazu braucht es vielleicht eine Betreuung ein ganzes Leben lang."