PrOst Wirtschaftswunder

Von Klaus Seifert · 07.09.2006
Herbert Pawis erzählt, wie er vor der Wende unter fast konspirativen Bedingungen gerade mal 1500 Flaschen Wein im Jahr produzierte. Die wurden unter Freunden, als "Bückware" unter der Ladentheke, oder im Tausch gegen Trabbi-Ersatzteile gehandelt. Heute: Deutschlands ehemals unbedeutendster Winzerfamilie geht es gut, während ringsum hoch verschuldete Hoteliers, Gastwirte und zugereiste "Investoren" mit der Insolvenz kämpfen.
Rückblick auf den Sommer 1990. Im "heißen Herbst" 89 war die Berliner Mauer gefallen, der Trabbi aber noch das gebräuchlichste Verkehrsmittel der Wendezeit. Auch in Freyburg, dem kleinen grauen Städtchen im Südzipfel Sachsen-Anhalts, an der Unstrut, die sich hier, flankiert von Weinhängen, der Saale entgegenschlängelt.

Mitten im Weinberg, auf halber Höhe der Ehrauberge am Freyburger Ortsende, steht das winzige Weinberghäuschen von Reni und Herbert Pawis. Hier, das hatten Einheimische uns Westlern verraten, könnten wir die pralle Natur rundum genießen, in der Ferne den Blick auf die vier Türme des stolzen Doms zu Naumburg und ein Glas vom einheimischen Wein probieren.
Genau wie vor 16 Jahren setzen wir uns auf eine der zwei steinernen Bänke. Der Hausherr, Herbert Pawis, erinnert sich:

"Ich bin 1963 hier eingezogen und da war das kleene Ferienhäuschen, das war früher ne alte Weinbergshütte. Und die hab ich damals umgebaut und die haben wir dann erst mal so als ganz junge Leute als Wohnung eingerichtet."

Und dann kam es zur wohl ersten "Straußwirtschaft" der DDR.

"Ich war beschäftigt in der Winzervereinigung und habe so ein bisschen heimlich so ein bisschen Wein selbst gemacht und och so n bisschen heimlich selbst hier auf der Terrasse schon so heimlich ausgeschenkt. Das war zu DDR-Zeiten … nicht gestattet – wir haben’s trotzdem gemacht, wie das früher so war."

War es nicht riskant, staatliche Regeln offen zu umgehen?

"Na ja, auf dem Land war das ein bisschen anders. Wir waren alle miteinander so gut verbunden, jeder brauchte den anderen, jeder wusste von dem anderen, jeder kannte den anderen natürlich sehr gut und so wurde einfach so manches arrangiert, was vielleicht gerade der Zufall so ergeben hat."

Und weil es Wein so gut wie gar nicht gab, kam er immer dann ins Spiel, wo es darum ging, Wunder zu bewirken.

"Mit dem Wein war das auch ein recht gutes Zahlungsmittel. Zum Beispiel: Der Trabbi war kaputt. Wenn mer dann so in die Werkstatt kam und man machte den Kofferraum auf… Obwohl es gar keine Ersatzteile gab, wenn da so zwei Flaschen Wein drinne lagen, dann kriegte man die Ersatzteile auch ganz schnell."

Inzwischen ist aus dem konspirativen Weinausschank eines der erfolgreichsten Weingüter der Saale-Unstrut Region geworden. Das hätte selbst der ewige Optimist Herbert Pawis nie zu träumen gewagt, damals.

"Als ich dieses Grundstück übernommen habe, damals, da war Brachland, außer wilde Kirschen und Holunder wuchs eigentlich nüscht weiter. Am Haus war ein einziger Weinstock an der Weinbergshütte. Den ham wer erhalten, der steht also noch: Es ist ne alte Magdalena, ne ganz alte Rebe, die mer besonders in Ehren halten. Dann hatten mer natürlich bald neu aufgerebt. Später dann haben wir mal neue Fläche dazu erworben bis es am Ende ein halber Hektar war.

Ja, und nach der Wende, dann, dann haben mer einfach gesagt: Jetzt machen mer’s alleene. Da war also mein Gedanke, den Keller ein bisschen auszubauen, auf der Terrasse Tische aufzustellen und Wein auszuschenken. Weine aus dem hauseigenen Keller und Weine aus der Winzervereinigung: Sind ja traumhaft schöne Weine, die ich da anbieten kann, seltene Rebsorten, die in Deutschland weitgehend unbekannt sind."

Mit kleinen Schritten und mit sicherem Instinkt hat Vater Pawis den kleinen Familienbetrieb in die unbekannte Marktwirtschaft gesteuert. Vorsichtig Gas geben, hieß die Devise.

"Mer wees nich genau, wie sich das entwickelt. Mer hoffte natürlich, sonst hätte man gar nicht investiert. Aber, wir haben einfach lieber angefangen mit ganz kleen und wo mer dann merkten, das wächst und das gedeiht…"

…da passierte, was immer wieder passiert: Die Pläne werden groß und größer…

"Da konnte man natürlich ohne Kredite nicht mehr auskommen, so haben wir also diesen Verkostungsraum dann hier gebaut: wunderschön rustikal mit Holz, also der so richtig schön in die Weinberge passt. Mit viel Fenstern, wo mer so ins Freie, in die Weinberge schauen kann, da braucht’ mer schon en Kredit dazu, den haben wir aber dann auch liebend gern gekriegt, ja."

Hinter den alten Steinbänken erhebt sich jetzt die beeindruckende Glasfront des neuen "Gutsausschanks". Ein wenig sieht er aus wie ein großer Starenkasten.

Von innen bietet sich bis zu 70 Gästen ein freier Blick in das weite Flusstal. Tritt man ein paar Schritte hinaus, schaut man auf die steilen Terrassenweinberge, die das Bild der grünen Landschaft an Saale und Unstrut prägen. Kein Wunder, dass man sich bei Pawis über ausbleibende Gäste nicht beklagen kann.

Für viele Winzer von Saale und Unstrut begann nach der Wende eine Erfolgsgeschichte. Einige aus der Generation der Söhne ernten heute höchste Anerkennung, sammeln mit ihren Spitzenweinen nationale wie internationale Auszeichnungen und haben neben der Ehre auch Erfolg im Geschäft. Nachdem das Weinmachen auch bei Familie Pawis heute in den geschickten Händen von Sohn Bernard liegt, konzentriert sich Vater Herbert auf seinen Weinausschank. Und er hat viel zu tun:

"Wir haben Gäste aus ganz Deutschland. Als wir damals, so 90, anfingen, da waren die Münchner Weinliebhaber, die heute noch kommen und gerne kommen. Hamburg ist, zum Beispiel, in den letzten Jahren ganz stark vertreten… Man kann eigentlich sagen von überall: Selbst von der Mosel Weinbauern, die dann so miteinander ins Gespräch kommen. Find’ ich einfach schön."

Nur ein paar Minuten Fußweg sind es vom Pawis’schen Weinberg bis zur Unstrut, dem Fluss, der der Weinregion den Namen, und der kleinen alten Stadt ihren Beinamen gibt: Freyburg an der Unstrut.

Das Städtchen Freyburg hat um die 4000 Einwohner. Der liebevoll restaurierte historische Stadtkern ist teilweise umgeben von den Resten einer mittelalterlichen Stadtmauer. Ihrem bekanntesten Einwohner, "Turnvater" Friedrich-Ludwig Jahn haben die Freyburger im Laufe der Zeiten ein Denkmal eine Ruhmeshalle und ein Museum errichtet.

Für wirtschaftlichen Erfolg steht Freyburgs größtes Unternehmen, die Rotkäppchen Sektkellerei. Nach einer Durststrecke zur Wendezeit, nicht zuletzt durch Zukauf namhafter "Westmarken", ist Rotkäppchen-Mumm heute Deutschlands größter Sektfabrikant.

Nach der Wende rundum restauriert, thront hoch über der Stadt seit dem elften Jahrhundert eine mächtige Burganlage, die große Schwester der berühmten Wartburg.

Am Freyburger Bootsanleger sind wir mit Kristine Glatzel verabredet, der Frau von der hier alle sagen, sie habe "ihre Neuenburg" nach dem Zusammenbruch der DDR zu neuem Leben in alter Schönheit erweckt.

Eben ist die "Reblaus" angekommen: ein winziges Fahrgastschiffchen für höchstens 40 Personen. Mit dem Schiff fahren wir flussabwärts bis zur nahen Mündung der Unstrut in die Saale. Und wer kennt die besonderen Reize des Unstruttals besser als die pensionierte Direktorin der Neuenburg:

"Über der Stadt und über den Weinbergen thront die Neuenburg, die ehemals größte Burg der Landgrafen von Thüringen, mit gewaltigen Mauern, Türmen, einer wunderschönen Doppelkapelle, also ein ganz auserlesenes Stück Geschichte.

Der Wein prägt natürlich die alte Kulturlandschaft des Unstruttales. Sie haben hier noch richtige Terrassenweinberge mit wunderschönem Blick auf den vielfach gewundenen Fluss. Sie können in den Weinbergen einkehren, sie können dort nicht nur Wein erstehen und Wein probieren, Sie können dort essen, sie können dort schlafen. Es ist ein mediterranes Klima, das hier herrscht und das den Menschen sehr gefällt."

Kurz vor dem Anlegen macht uns die Kunstwissenschaftlerin aufmerksam auf den Höhepunkt unserer Fahrt:

"Wir werden dem Steinernen Bilderbuch begegnen. Das ist der so genannte Steinauer’sche Weinberg, eine ganz besondere Sache. Und zwar ist da im Jahre 1722 vom Hofjuwelier des Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels und seinen Freunden über eine Sandsteinbank von 200 Meter Länge, sind Reliefs geschaffen worden, die Herzog Christian hoch zu Ross zeigen, die biblische Szenen zeigen, die Hochzeit von Kanaan und vieles andere und: Es muss ein Künstler gewesen sein, der diese gewaltigen, überlebensgroßen Figuren in diesen Sandstein gehauen hat und das auf 200 Meter Länge, das ist schon beachtlich."

Von der Mündung der Unstrut in die Saale, am Naumburger Blütengrund, sind es nur fünf Kilometer bis Bad Kösen, einem netten kleinen Ort mit wieder belebtem Kurbetrieb. Ein gut ausgebauter Radwanderweg, oft direkt am Fluss entlang, führt zu einer der "ersten Adresse" der deutschen Winzerzunft.

Auf den Flaschen des Weingutes Lützkendorf prangt der Adler als Gütesiegel des Bundesverbandes der Deutschen Qualitäts- und Prädikatsweingüter. Die Mitgliedsbetriebe dieses exklusiven Clubs, müssen regelmäßig Kontrollen ihrer Arbeit auf dem Weinberg und im Keller bestehen. Letztlich entscheidend sind aber die Weine, erklärt Uwe Lützkendorf:

"Die Endprobe ist die Qualität der Weine. Es werden also aus der aktuellen Preisliste zehn Weine ausgesucht und diese Weine werden dann neutral, außerhalb des Betriebes, mit Vergleichsproben der Region probiert und da muss man mindestens acht Weine in der Spitzenposition nachweisen."

Und welche Sorten hat Ihr Kunde zur Auswahl?

"Wir sind einer der noch klassischen Betriebe, die über 30 Prozent Sylvaner im Anbau haben, unsere alte, klassische weiße Rebsorte der Region. Wir haben Riesling, der nicht eigentlich so typisch für Saale-Unstrut ist und: Mein Lieblingskind der letzten Jahre ist der weiße Burgunder, der sehr, sehr gut hier in unsere Region passt.

Im Bereich der Rotweine, sehr, sehr ausdrucksstarke Portugieser, auch die rote klassische Rebsorte der Region, wir haben einen geringeren Anteil Spätburgunder, aber in einer sehr heißen Lage im Anbau, wo wir in den meisten Jahren auch in der nördlichen Region richtig gute Spätburgunder produzieren können. Und haben als Besonderheit Blauen Zweigelt, also eigentlich eine österreichische Rebsorte. Also da verkaufen wir weniger, als wir verteilen."

Das fiel uns schon an den anderen Stationen dieser Weinreise auf: Eine erstaunliche Sortenvielfalt prägt Deutschlands kleinstes Anbaugebiet!

"Dem muss ich aber hart widersprechen! Wir sind das fünftkleinste! Das kleinste Weinanbaugebiet Deutschlands ist und bleibt das sächsische. Wir sind das nördlichste.

Wir sind hier schon sehr, sehr stark vom Kontinentalklima geprägt. Man hat ja früher irgendwo die gewerbliche Weinbaugrenze beim 50. Breitengrad gezogen, das ist so die Höhe Köln/Bonn Ahr/Nahegebiet. Und wir liegen hier in Bad Kösen weit über dem 51. Breitengrad."

Dann könnte die vielfach gefürchtete fortschreitende Erderwärmung dieser nördlichen Weinregion sogar zugute kommen?

"Es ist absehbar, nach Aussagen der Meteorologen, dass sich das in den nächsten 20 Jahren schon deutlich erhöhen wird. Das heißt, wir werden vielleicht in 20 Jahren weinbauliche Verhältnisse haben wie vielleicht heute im Süden Europas."

Keine Spekulationen. Was macht die hiesigen Winzer heute so erfolgreich?

"Wir sind ja nicht nur Einzelbetriebe, sondern Ansporn für die ganze Region. Es gab einen Spruch eines Kollegen, der gesagt hat: ‚Weiß Du, wir sind ja froh, dass wir Dich haben! Ihr habt das Preisniveau realisiert, Ihr habt den Markt für die anderen geebnet. Und wenn wir zwei Euro preislich hinter euch schwimmen und ein Drittel mehr produzieren.’"

Saale-Unstrut Weine haben Ihren Preis.’ Der liegt im Schnitt etwa um ein Drittel höher als in populären Lagen wie der Pfalz. Nach den aktuellen Preislisten bekommt man eine Flasche Qualitätswein ab fünf Euro. Für Spätlesen, etwa vom weißen oder grauen Burgunder bezahlt man zwischen sechs und zwölf Euro.

Rotweine wie der beliebte Dornfelder sind meist etwas teurer. Für besondere Jahrgänge und im Holzfass gereifte Weine, zahlen Kenner gut und gern auch 20 Euro, sofern diese edlen Tropfen noch vorrätig sind.

Sehr zum Wohle.

Dr. Werner Bilstein: "Wenn ich jetzt diesen Gutedel im Glas habe, diesen herrlichen Tropfen, dann sehe ich erstmal, dass es ein blitzblanker Wein ist, er ist klar wie ein schöner Spiegel, die Farbe mit einem grünlich, leicht gelblichen Ton, animiert regelrecht zum Trinken. Wenn ich mit meiner Nase das Bouquet wahrnehme: Die Klarheit und die Farbe widerspiegelt sich auch im Geruch, die Walnussnote verhalten, auch ein kleiner Schuss von unreifen Früchten dabei und im Geschmack auch mal ein etwas derbes Wort, eine Maulfüllende Säure, man tapeziert regelrecht den Gaumen…."

Wer könnte den Inhalt eines schlichten Glases blumiger beschreiben als der Vorsitzende eines Männerbundes, der sich ganz und gar der Pflege der Weinkultur verschrieben hat? Dr. Werner Bilstein, im Hauptberuf Obermedizinalrat, ist Vorsitzender der Weinbruderschaft Saale-Unstrut. Für eine kleine Weinprobe schaut er gern einmal bei seinem Clubkameraden Udo Lützkendorf, dem Seniorchef des Weingutes, vorbei. Was ist der Zweck einer Weinbruderschaft?

"Der Wein ist für uns Gesundheit, Frohsinn Glück und viel Erlebnisfreude. Wir helfen mit bei den Qualitätsbestimmungen, wir lieben die Geselligkeit."

Allerdings gibt es da noch einen kleinen Unterschied:

"Wir haben auch Weinschwestern. Aber schon alleine diese Begrifflichkeiten: Weinbruderschaft und dort sind Damen drin! Ist eigentlich fast so ein kleiner Kalauer, dass ich folgende Formulierungen in der Ansprache finde: ‚Liebe Weinbrüder und liebe Weinbrüderinnen!’"

Weinbruder Udo Lützkendorf war sein Leben lang Weinmacher, zu DDR-Zeiten Kellermeister und Direktor des renommierten Staatsweingutes Kloster Pforte auf dem gegenüberliegenden Saaleufer. Er sagt, das Weinbusiness war für die DDR eine Goldgrube, weil es sich zu einträglichen Devisengeschäften mit dem Westen geradezu anbot.

"Wir machten damals, über Daumen und Zeigefinger, in etwa drei Millionen Liter Wein. Und die Sachsen machten eine Million Liter Wein, oder etwas mehr – und 75 Prozent dieser Menge ging in die Interhotels. Und das sind vier Millionen Flaschen. Und dort wurden die Weine angeboten. Dann kostete eben die Flasche im Schnitt 50 D-Mark. Und das war für den kleinen Wirtschaftsbereich eine gewaltige Einnahmequelle."

Nach dem Zusammenbruch der DDR standen auch die Winzer vor einem radikalen Neuanfang: Sollten sie ihren Wein selbst vermarkten? Wie geht das überhaupt? Und kann man davon leben?
An die 30 haben den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Udo Lützkendorf hat sie ermutigt: Nach der Devise: Wenn auch alles fehlt: Kapital, Erfahrung oder Beziehungen, was ihr habt, ist ein einmaliges Produkt!

"Jeder Wein hat mehr oder weniger Mineralität in seinem Körper. Hier, an Saale-Unstrut, stehen die Weine zu 80 Prozent auf Muschelkalkverwitterungsboden. Die Füße der Steilhänge sind Gipskeuper, Tone, und die Hügel in den Tälern sind Löslehm. Ja, und das ist das, was hier feine Weine machen lässt."

Kellereiführungen sollen neue Kunden anlocken und für den Saale-Unstrut Wein gewinnen. Beim größten Weinproduzenten der Region, der Winzervereinigung Freyburg, steht oft der Kellermeister persönlich den Besuchern Rede und Antwort. Locker doziert Hans-Albrecht Zieger über Weinherstellung und Genuss. Und damit der Stoff nicht ganz so trocken rüberkommt, erzählt der junge Hausherr auch gern einmal aus dem Winzerleben:

"Es gibt ja noch immer die Geschichte, in der Ernte oder in der Gärung, dass man mit der Kerze in den Keller geht und wenn die Kerze ausgeht, ist der CO2-Gehalt zu hoch und da muss man also den Keller wieder verlassen... Es ist natürlich dummerweise so, dass die weniger Sauerstoff braucht zum Brennen wie der Mensch zum atmen. Das heißt also: In aller Regel sieht man die Kerze nicht mehr ausgehen."

Mit 26, nach Studium und Praxis im Weinmekka Geisenheim am Rhein und anderen ersten Adressen, übernahm der gebürtige Meißener vor drei Jahren die Verantwortung für Millionen Flaschen. Der junge Mann trägt seine große Aufgabe mit Fassung.

"Also wir können zurzeit etwa zwischen 2,5 und drei Millionen Flaschen verkaufen. Natürlich sind wir ein großer Betrieb, aber bei uns sind auch die Tanks größer."

Ganz zu schweigen von der Vielzahl der Sorten.

"Also es ist in einer normalen Ernte so, dass ich etwa so zwischen 250 und 300 Partien ausbaue."

Gebäude und Erscheinungsbild der Winzergenossenschaft Freyburg machen heute einen hoch professionellen Eindruck. Aus dem alten Verkaufsraum wurde eine einladende Weingalerie, sogar mit reichlich Parkraum vor der Tür. Was genau sind die Marketingziele?

"Dass wir heute eigentlich einen großen Teil der Kunden zurückgewinnen, die eben erst mal andere Sachen ausprobiert haben und jetzt eigentlich merken, Ich möchte den Wein hier aus der Region trinken, weil er schmeckt. Dieser Entwicklungsprozess, der ist so gut gelaufen, dass man sagen kann: Jetzt brauchen wir wieder ein bisserl mehr Wein."

Das Konzept geht auf. Nach der Kellereiführung schwärmen Kunden in Scharen aus zum Weinkaufen. Einige greifen gezielt in die Regale, andere nehmen erst noch die eine oder andere Kostprobe.

"Was mögen Sie am liebsten am Unstrutwein?"

"Vielfalt… Diese Reinheit, diese vielen trockenen Weine, die bekömmlichen Weine, das gefällt mir… Ja, das ist unsere Region. Die sind herzhaft im Geschmack…"

"Was ist mit dem Preis und der Leistung?"

"... Die ist völlig in Ordnung…"

"Haben Sie eine Lieblingssorte?"

"Ja, wie gesagt: Weißwein trocken, aber die Lieblingssorte?... Vom Rhein und von der Mosel, aber jetzt auch Saale-Unstrut, weil man sagt, der schmeckt… Diesen trockenen Traminer… Der Gutedel… Wir sind eben auch dem Weißburgunder verfallen, mal sehn… Bacchus, André, Portugieser… Der schmeckt einwandfrei, ist klar, ne?... Meine Frau ist Spezialist – ich trinke nur, was meine Frau mitbringt, das Trinke ich dann nachher, sie ist da maßgebend…"

Zum Schluss der Reise noch ein Besuch beim wohl schnellsten Aufsteiger der hiesigen Winzerszene, Bernard Pawis, dessen Vater Herbert mit seiner Straußwirtschaft ebenfalls ein Pionier des Weingeschäfts war.

Wie man hört, läuft die Abfüllmaschine. Ein seltener Moment, jetzt im Spätsommer. Denn die Keller sind so gut wie leer, bis auf die eisernen Reserven, die ein kluger Winzer für seine besten Kunden im Fachhandel und der Spitzengastronomie reservieren muss. Amüsiert lässt Bernard Pawis die Produktionszahlen der früheren Jahre Revue passieren.

"Am Anfang haben wir begonnen mit einigen hundert Flaschen, 1990, da waren wir unheimlich stolz drauf. Aus diesen paar hundert wurden dann tausend, dreitausend, fünftausend, zehntausend. Ja mittlerweile sind es im Jahrgang 2005 knapp 95.000 Flaschen.
Alle Weine sind abgefüllt und die meisten Flaschen auch schon ausverkauft. Das ist natürlich schön für das Unternehmen, aber es ist auch immer schwierig, den Kunden zu erklären, dass sie auf einen bestimmten Wein ein paar Wochen oder Monate warten müssen, bis der neue fertig ist. Aber es zeigt natürlich auch, dass der Wein eben einfach begehrt ist und ich denke, bei solchen Sachen muss man … so eine Wartezeit auch mal in Kauf nehmen. Das ist bei allen guten Sachen so."

Dabei musste der junge Prädikatswinzer seinen guten Namen erst erringen.

"Was mir momentan sehr wichtig ist, dass wir der einzige Betrieb im Osten sind, der jedes Jahr mindestens ein großes Gewächs, das ist ja so was ähnliches wie ein Grand Cru in Frankreich, anerkannt bekommen hat. Und auch in diesem Jahr ist es uns gelungen, wieder zwei große Gewächse vom Riesling und vom Weißburgunder, anerkannt zu bekommen. Das ist für mich eigentlich ne tolle Geschichte, weil ich selber spüre, ich hab was erreicht, auf ganz tollem Niveau, was eben nur Spitzenbetriebe bundesweit ähnlich können."

Hinter einem verschmitzten Lächeln ahnt man bei dem modernen Weinmacher Bernard Pawis etwas ganz Altmodisches: Berufsethos.

"Ich find’ es schade, dass wir als Winzer nur 30 Mal in unserem Leben die Möglichkeit haben, unseren eigenen Wein zu machen, jedes Jahr nur ein einziges Mal. Ein Bäcker kann jeden Tag seine Plätzchen aufs Blech legen und sagen: Morgen mache ich das Rezept noch ein bisschen feiner, aber ich muss wieder ein Jahr lang warten, um meine Visionen wieder einbringen zu können, und drum ist für mich das Leben viel zu kurz, als Winzer."