Prophet der technischen Überforderung
Der polnische Schriftsteller und Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem ist im Alter von 84 Jahren in Krakau gestorben. Lem wurde berühmt durch Romane wie "Solaris", in denen er vor den Verwerfungen des technischen Zeitalters warnte. Er gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern Polens und verfügte über ein beachtliches Fachwissen in Naturwissenschaft, Technik und Philosophie.
Brinkmann: Dass Stanislaw Lem im Alter an Weisheit gewonnen hat, teilen Sie diese Einschätzung auch?
Ziolkowski: Ja, unbedingt, das kann man behaupten, und vielleicht ist ja auch ein Ausdruck seiner Weisheit, dieser gewonnenen Weisheit, der Skeptizismus und die, ja, doch relative Kühle, mit der er gerade jüngste Entwicklungen in der Wissenschaft in seinen späten Lebensjahren immer wider kommentiert hat. Also Dinge wie Biotechnologie, vernetzte Computer und Roboter, virtuelle Realität, außerirdisches Leben, das sind ja alles Dinge, die in seinen Büchern, wenn jetzt auch nicht unbedingt unter diesen Bezeichnungen, immer eine Rolle gespielt haben. Denen gegenüber hat er sich tatsächlich zunehmend skeptisch gezeigt, keineswegs euphorisch über Entwicklungen, die er manchmal, ja sogar Jahrzehnte früher schon in seinen Romanen vorausgeahnt und beschrieben hat.
Er hat dann auch in diesem Zusammenhang die Rolle, ja so eines Zukunftsonkels, eines Orakels, immer abgelehnt, bei dieser Gabe, die sich nachweislich in seinen Romanen ja niedergeschlagen hat zur Vorausschau, hätte das ja auch nahe gelegen, dass er sich aufschwingt zum großen Propheten. Aber genau das hat er nicht getan, er hat es immer mit großem Skeptizismus alles betrachtet.
Und wichtiger schien ihm auf die enorme moralische Verantwortung des Menschen auch, oder der Menschheit eigentlich, hinzuweisen, und er hat darin auch gleichzeitig, glaube ich, so etwas wie die große Überforderung unserer Zivilisation gesehen, indem er darauf hingewiesen hat, dass dieser enorme Zuwachs an technologischen Möglichkeiten im weitesten Sinn eigentlich auf einen Menschen trifft, der sich gegenüber dem Menschen von vor 100.000 Jahren, also gegenüber dem Höhlenmenschen, kaum verändert hat. Mit welchen Dingen ist dieser Mensch konfrontiert, der eigentlich für ein Dasein seine Entwicklung erreicht hat, das Höhlenzeitalter betraf. Und an dieser Stelle glaube ich schon, entdeckt man so etwas wie eine Altersweisheit, die größer kaum sein könnte.
Brinkmann: Die Wissensgesellschaft, in der wir leben, hat er als Hölle empfunden. Er hat sich ja auch bestimmten Entwicklungen, wie der Nutzung des Internets, völlig entzogen. Er wolle, hat er einmal gesagt, kein "Informationsnomade" werden, sondern weiter aus erster Hand leben, das heißt, sich alle Informationen selber besorgen, indem er Labore anruft, Wissenschaftler trifft und so weiter. Macht das die Qualität seiner Bücher aus?
Ziolkowski: Von Anfang an, das kann man so sagen, denn Lem, im Grunde einen Bildungsweg beschritten hat, der ihn mit Physik, mit Kosmologie, mit Biologie … eigentlich als private Studien hat er das alles betrieben, und das hat ihn, glaube ich schon, in relativ früher Jugend, also unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, eigentlich gezeigt, und hat ihn einfach die konkrete, die exakte Information hat ihn eigentlich zeitlebens beschäftigt, und aus der hat er geschöpft.
Er hat ja, das ist ja eigentlich das Charakteristikum seiner Phantastik eigentlich, seiner Science Fiction, wenn man so will, bei ihm ist da wirklich viel Science dabei, und das waren die Quellen, die tatsächlich seine Bücher ausgezeichnet haben immer, und bis heute auszeichnen, und die auch seine Arbeitsweise, und eigentlich seine Lebensweise charakterisiert haben. Es ging ihm nicht darum, beliebig Informationen irgendwie zu erweitern oder einfach an sich ran spülen zu lassen, sondern tatsächlich gezielt, gediegene und gesicherte Information immer wieder aufzunehmen und eben auch zu verwerten dann in seiner Literatur.
Brinkmann: Stanislaw Lem war Jude. Er hat mit gefälschten Papieren den Zweiten Weltkrieg überlebt. Er war Automechaniker, bevor er Arzt wurde und dann zu schreiben begann. In den achtziger Jahren ist er für mehrere Jahre ins Wiener Exil gegangen, dann nach Polen zurückgekehrt. Das sind natürlich Brüche, die ein Leben tief prägen. Meinen Sie, dass diese Brüche auch ausschlaggebend dafür waren, dass er sich in so vielen literarischen Gattungen zeitgleich bewegen konnte? Also er hat ja Lyrik geschrieben, Essays, Romane eben, aber auch Hörspiele und Fernsehspiele.
Ziolkowski: Das ist ganz gewiss ein wichtiger Untergrund für ein so vielfältiges Schaffen, diese biografischen Brüche. Ich glaube aber, und es gibt so ein kleines Detail, das stammt sogar aus seiner Kindheit, nämlich da wurde Stanislaw Lem einmal bescheinigt, er habe einen Intelligenzquotienten von 180, das ist bei irgendeinem Test gemessen worden, fragen Sie mich jetzt nicht nach dem exakten Jahr. Er hat dann sogar so eine kleine Berühmtheit schon als Kind gehabt, als intelligentestes Kind in Südpolen, das ist also irgendwo dokumentiert.
Ich will darauf hinaus, man darf auf keinen Fall vergessen, dieser Stanislaw Lem hatte auch enorme Geistesgaben. Er war wirklich begabt und er hatte Voraussetzungen, dass er, man muss sich das einfach ja auch nur mal vor Augen halten, er hat im Grunde parallel ein Medizinstudium betrieben und das dann auch abgeschlossen, unterbrochen durch den Zweiten Weltkrieg, wo das nicht ging, hat dann eigentlich festgestellt, die Medizin ist nichts für ihn und hat dann in privaten Studien eigentlich sich all dieses Wissen angeeignet, das er später als Autor eigentlich, ja, verwertet und ausgebreitet hat.
Er selber hat dafür vielleicht noch sogar noch die profanste Begründung geliefert, indem er erklärte, er konnte einfach nicht als Mediziner arbeiten, weil er konnte kein Blut sehen und das hat er leider dann eben erst später festgestellt, als er schon Mediziner war. Ich würde es so zusammenfassen, er ist tatsächlich also ein sehr vielseitiger Autor gewesen. Einer, ein Kollege von ihm, hat das sogar mal definiert, es gibt ... in der Literatur sollte man einführen eine Messeinheit, die sich nennt "ein Lem" und das beinhaltet Sachverstand, Witz und also eine enorme literarische Begabung. Und dies alles vereinte sich also bei ihm und das macht einfach seine einzigartige Stellung aus.
Brinkmann: Gregor Ziolkowski über den polnischen Schriftsteller Stansilaw Lem.
Ziolkowski: Ja, unbedingt, das kann man behaupten, und vielleicht ist ja auch ein Ausdruck seiner Weisheit, dieser gewonnenen Weisheit, der Skeptizismus und die, ja, doch relative Kühle, mit der er gerade jüngste Entwicklungen in der Wissenschaft in seinen späten Lebensjahren immer wider kommentiert hat. Also Dinge wie Biotechnologie, vernetzte Computer und Roboter, virtuelle Realität, außerirdisches Leben, das sind ja alles Dinge, die in seinen Büchern, wenn jetzt auch nicht unbedingt unter diesen Bezeichnungen, immer eine Rolle gespielt haben. Denen gegenüber hat er sich tatsächlich zunehmend skeptisch gezeigt, keineswegs euphorisch über Entwicklungen, die er manchmal, ja sogar Jahrzehnte früher schon in seinen Romanen vorausgeahnt und beschrieben hat.
Er hat dann auch in diesem Zusammenhang die Rolle, ja so eines Zukunftsonkels, eines Orakels, immer abgelehnt, bei dieser Gabe, die sich nachweislich in seinen Romanen ja niedergeschlagen hat zur Vorausschau, hätte das ja auch nahe gelegen, dass er sich aufschwingt zum großen Propheten. Aber genau das hat er nicht getan, er hat es immer mit großem Skeptizismus alles betrachtet.
Und wichtiger schien ihm auf die enorme moralische Verantwortung des Menschen auch, oder der Menschheit eigentlich, hinzuweisen, und er hat darin auch gleichzeitig, glaube ich, so etwas wie die große Überforderung unserer Zivilisation gesehen, indem er darauf hingewiesen hat, dass dieser enorme Zuwachs an technologischen Möglichkeiten im weitesten Sinn eigentlich auf einen Menschen trifft, der sich gegenüber dem Menschen von vor 100.000 Jahren, also gegenüber dem Höhlenmenschen, kaum verändert hat. Mit welchen Dingen ist dieser Mensch konfrontiert, der eigentlich für ein Dasein seine Entwicklung erreicht hat, das Höhlenzeitalter betraf. Und an dieser Stelle glaube ich schon, entdeckt man so etwas wie eine Altersweisheit, die größer kaum sein könnte.
Brinkmann: Die Wissensgesellschaft, in der wir leben, hat er als Hölle empfunden. Er hat sich ja auch bestimmten Entwicklungen, wie der Nutzung des Internets, völlig entzogen. Er wolle, hat er einmal gesagt, kein "Informationsnomade" werden, sondern weiter aus erster Hand leben, das heißt, sich alle Informationen selber besorgen, indem er Labore anruft, Wissenschaftler trifft und so weiter. Macht das die Qualität seiner Bücher aus?
Ziolkowski: Von Anfang an, das kann man so sagen, denn Lem, im Grunde einen Bildungsweg beschritten hat, der ihn mit Physik, mit Kosmologie, mit Biologie … eigentlich als private Studien hat er das alles betrieben, und das hat ihn, glaube ich schon, in relativ früher Jugend, also unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, eigentlich gezeigt, und hat ihn einfach die konkrete, die exakte Information hat ihn eigentlich zeitlebens beschäftigt, und aus der hat er geschöpft.
Er hat ja, das ist ja eigentlich das Charakteristikum seiner Phantastik eigentlich, seiner Science Fiction, wenn man so will, bei ihm ist da wirklich viel Science dabei, und das waren die Quellen, die tatsächlich seine Bücher ausgezeichnet haben immer, und bis heute auszeichnen, und die auch seine Arbeitsweise, und eigentlich seine Lebensweise charakterisiert haben. Es ging ihm nicht darum, beliebig Informationen irgendwie zu erweitern oder einfach an sich ran spülen zu lassen, sondern tatsächlich gezielt, gediegene und gesicherte Information immer wieder aufzunehmen und eben auch zu verwerten dann in seiner Literatur.
Brinkmann: Stanislaw Lem war Jude. Er hat mit gefälschten Papieren den Zweiten Weltkrieg überlebt. Er war Automechaniker, bevor er Arzt wurde und dann zu schreiben begann. In den achtziger Jahren ist er für mehrere Jahre ins Wiener Exil gegangen, dann nach Polen zurückgekehrt. Das sind natürlich Brüche, die ein Leben tief prägen. Meinen Sie, dass diese Brüche auch ausschlaggebend dafür waren, dass er sich in so vielen literarischen Gattungen zeitgleich bewegen konnte? Also er hat ja Lyrik geschrieben, Essays, Romane eben, aber auch Hörspiele und Fernsehspiele.
Ziolkowski: Das ist ganz gewiss ein wichtiger Untergrund für ein so vielfältiges Schaffen, diese biografischen Brüche. Ich glaube aber, und es gibt so ein kleines Detail, das stammt sogar aus seiner Kindheit, nämlich da wurde Stanislaw Lem einmal bescheinigt, er habe einen Intelligenzquotienten von 180, das ist bei irgendeinem Test gemessen worden, fragen Sie mich jetzt nicht nach dem exakten Jahr. Er hat dann sogar so eine kleine Berühmtheit schon als Kind gehabt, als intelligentestes Kind in Südpolen, das ist also irgendwo dokumentiert.
Ich will darauf hinaus, man darf auf keinen Fall vergessen, dieser Stanislaw Lem hatte auch enorme Geistesgaben. Er war wirklich begabt und er hatte Voraussetzungen, dass er, man muss sich das einfach ja auch nur mal vor Augen halten, er hat im Grunde parallel ein Medizinstudium betrieben und das dann auch abgeschlossen, unterbrochen durch den Zweiten Weltkrieg, wo das nicht ging, hat dann eigentlich festgestellt, die Medizin ist nichts für ihn und hat dann in privaten Studien eigentlich sich all dieses Wissen angeeignet, das er später als Autor eigentlich, ja, verwertet und ausgebreitet hat.
Er selber hat dafür vielleicht noch sogar noch die profanste Begründung geliefert, indem er erklärte, er konnte einfach nicht als Mediziner arbeiten, weil er konnte kein Blut sehen und das hat er leider dann eben erst später festgestellt, als er schon Mediziner war. Ich würde es so zusammenfassen, er ist tatsächlich also ein sehr vielseitiger Autor gewesen. Einer, ein Kollege von ihm, hat das sogar mal definiert, es gibt ... in der Literatur sollte man einführen eine Messeinheit, die sich nennt "ein Lem" und das beinhaltet Sachverstand, Witz und also eine enorme literarische Begabung. Und dies alles vereinte sich also bei ihm und das macht einfach seine einzigartige Stellung aus.
Brinkmann: Gregor Ziolkowski über den polnischen Schriftsteller Stansilaw Lem.