Prominente Stimmen zum Herbst 1989

"Das Wunder der friedlichen Revolution" ist eines der besten Bücher über den Herbst 1989, weil es aus dem lebendigen Geist dieser Zeit schreibt - erinnert von Menschen, die Bürger zweier Welten bleiben werden: angekommen zwar in der BRD, aber eben hergekommen aus der DDR.
"Es ist für mich das erste Buch gewesen, was nicht streng wissenschaftlich geschrieben wurde, es ist mein erstes Buch ohne Fußnoten. Das hat den Hintergrund, dass ich ganz verschiedenen Menschen Raum geben wollte, sich an den Herbst 1989 zu erinnern. Und auch selbst die Schwerpunkte zu setzen, was ihnen damals wichtig war und was ihnen heute wichtig ist."

Jan Schönfelder bei der Präsentation seines Werkes in einer Leipziger Buchhandlung.

Prominente Stimmen zum Herbst 1989 hat er zusammengetragen, 13 an der Zahl. Darunter Christian Führer, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, von der die alles entscheidende Demo am 9. Oktober 1989 ausgegangen ist. An diesem Montagabend in Leipzig fiel die Entscheidung über Krieg oder Frieden. 70.000 tapfere Bürger zogen im stummen Protest durch die Leipziger Innenstadt, vorbei an Schützenpanzerwagen und Soldaten mit geschultertem Gewehr. Der Schießbefehl ist ausgeblieben, Gott sei Dank. Eine Woche später war in der ganzen DDR das Volk auf der Straße.

"Dass das ohne Gewalt abging, überall, von Suhl bis Rostock, halte ich immer noch für ein historisches Wunder!"

Pfarrer Friedrich Schorlemmer.

"Die friedliche Revolution in der DDR war ein Wunder, und es gibt vieles, was wir noch immer nicht verstehen", befindet der Autor und macht uns damit seine Motiv verständlich, mit 13 Augen- und Ohrenzeugen des Geschehens persönliche Interviews zu führen - anhand eines Katalogs mit allgemeinen Fragen. Zum Beispiel: "Wann haben Sie 1989 zum ersten Mal gespürt, dass in diesem Land ein politischer Umbruch im Gang ist?" Oder: "Als die Fluchtwelle gen Westen ins Rollen kam, warum sind Sie in der DDR geblieben?"

Schönfelders Fragenkatalog – das liegt in der Natur der Sache - war nicht immer passgenau für die je besondere Person, die diese Fragen beantwortet hat. Stefan Krawczyk zum Beispiel, Liedermacher, von den SED-Oberen mit Berufsverbot und Gefängnisstrafe belegt, hat den Herbst`89 nicht in der DDR erleben dürfen. Die Stasi hatte ihn ein Jahr zuvor in den Westen abgeschoben. Zur Zeit der Maueröffnung tourt Krawczyk gerade mit einem Brecht-Programm durch die Bundesrepublik.

"Das hatte ich damals in der DDR aufgeführt, um meine Wiederzulassung als Sänger zu erreichen. Das wurde mir verboten mit den Worten: ‚Herr Krawczyk, aus Ihrem Mund klingt sogar Brecht wie ein Staatsfeind!’"

Der Vorteil von Schönfelders Themenkatalog: Er fördert verschüttete Wahrheiten zutage. Auf die Frage des Autors: "Gab es für Sie im Herbst ’89 Momente der Angst? Wenn ja, wovor haben Sie sich besonders gefürchtet?" bringen die meisten der Protagonisten zur Sprache, dass die "friedliche Revolution " nicht ganz so friedlich war, wie sie in die Geschichtsbücher eingehen wird. Dagmar Schipanski zum Beispiel wird den 7. Oktober in ihrer Heimatstadt Ilmenau nicht vergessen. Da hatte sie Jugendliche aus ihrem Bekanntenkreis eindringlich gewarnt, eine stadtbekannte Diskothek zu besuchen, um sich dort bei Musik und Tanz über Honecker und Genossen lustig zu machen.

"Dann ist diese Disco umstellt worden von den Kampfgruppen, mit Stasi zusammen. Da war die Straße eben von Anfang bis Ende besäumt mit den Kampfgruppen. Und die Jugendlichen mussten da durchgehen, und die sind dann zusammengeschlagen worden."

Was Schönfelders Buch auszeichnet: Es bittet nicht nur die "Sieger der Revolution" zu Wort, sondern auch ihre "Zaungäste" (zum Beispiel einen ZDF-Reporter aus Ostberlin) und – besonders spannend - auch einen, der damals mit Schmach und Schande davongejagt worden ist: Hans-Dieter Schütt, Chefredakteur der staatstragenden Jugendzeitung "Junge Welt".

Schütts "Innenansichten eines SED-Funktionärs anno ’89 "klingen fast wie eine psychoanalytische Beichte. Da kann man erfahren, wie genau man ein "Betonkopf" wird. Und wie es sich anfühlt, wenn einem plötzlich die ideologischen Felle davonschwimmen und man zittert, dass einem das wütende Volk auf der Straße demnächst das Büro demoliert.

Eines der besten Bücher über den Herbst 1989. Weil es eben nicht über den Herbst ’89 schreibt, sondern aus dem lebendigen Geist dieser Zeit - erinnert von Menschen, die Bürger zweier Welten bleiben werden: angekommen zwar in der Bundesrepublik, aber eben hergekommen aus der DDR.

Auf die Frage des Autors, was 20 Jahre später von dieser Zeit geblieben ist, reagiert Stefan Krawczyk mit einem melancholischen Lächeln: Für ihn habe der Herbst ’89 den Versuch, das Himmelreich auf Erden zu errichten, ein weiteres Mal ad absurdum geführt. Die Bilanz seiner Freundin Freya Klier fällt sonniger aus: Ihr ist die Erfahrung teuer, dass man mit Gemeinschaftsgeist, Kraft und Mut scheußliche Diktaturen zu Fall bringen kann.

Besprochen von Susanne Mack

Jan Schönfelder (Hrsg.:) Das Wunder der friedlichen Revolution. Prominente Stimmen zum Herbst 1989
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2009
216 Seiten, 14,80 Euro