Projektionsfigur des Autors

03.01.2011
Es ist die Geschichte eines gewissen Dami, Soziologe in Buenos Aires, Marktforscher und Soziopath, gequält von allerlei Krankheiten, die ihn immer im entscheidenden Augenblick am großen Karrieresprung hindern.
Einmal ist es ein Bandscheibenvorfall, der den jungen Workaholic kurz vor dem großen Durchbruch aus dem Verkehr zieht; beim zweiten Mal wiederholt sich das Ganze in derselben Firma, mit denselben Leuten, denselben Umständen, nur kommt ihm diesmal ein Magengeschwür in die Quere.

Dami verliert seinen Job und wird Straßenhändler auf der Plaza Once. Mit seinen Marketingkenntnissen wird er schnell die Nummer eins der fliegenden Sockenverkäufer; doch dann legt ihn ein eingewachsener Zehennagel so lange lahm, bis alle anderen sein Geschäftsmodell kopiert und ihn beim Umsatz überholt haben.

Natürlich ist das Ganze eine Parabel auf wirtschaftliche Zyklen und Zusammenbrüche. Natürlich ist es eine Satire. Und ein Exempel marktwirtschaftlich bestimmter Biografien.

"Sogar seine berühmte Intelligenz war nichts weiter als eine hyperschnelle Form der Anpassung",


heißt es über Dami,

"Er war nicht intelligent, er war schnell, so schnell, dass es intelligent wirkte."

Es ist, wie man an der heiter distanzierten Erzählform in der dritten Person schon am ersten Satz merkt, natürlich keine Autobiografie. Und ein Roman ist es schon gar nicht. Es ist so etwas wie eine - ziemlich kurzweilige und komische - Untersuchung am lebenden, respektive fiktionalen Objekt.

Damis körperliche Beschwerden, die Intimität von Eiter und Schmerzen, sind das einzige, was an dieser Figur privat ist. Sonst besteht sie aus Arbeit und dem unbedingten Streben nach Erfolg: keine Freunde, keine Gefühle, kein Sex. Nicht einmal Angst: Dami erforscht zwar die Konsumgewohnheiten der abgestiegenen Mittelschicht Argentiniens, aber obwohl er selbst immer wieder scheitert, fürchtet er den sozialen Abstieg nicht.

"Als Narziss und Verweigerer (...) schien Dami die Klemme, in der er steckte, gar nicht erst wahrzunehmen. Seine unbegrenzten rhetorischen Fähigkeiten, erlaubten ihm, (...) das Scheitern als Aufbruch zu deuten."

Und darum geht es in diesem kleinen, aber immens gehaltvollen Buch: um Deutungen, gerne um widersprüchliche Deutungen. Damián Tabarovskys Dami ist eine Projektionsfigur, die so aussieht und auch dieselben Kleider trägt wie ihr Autor; aber sie verkörpert lediglich dessen Gedanken über das Leben im realen Kapitalismus, über Krankheit und Einsamkeit, Triumph und Scheitern, Medien und Wirtschaft, Schwachsinn und Vergnügen. Insofern ist dieser witzige und wunderbar unsystematisch sprudelnde Text doch so etwas wie eine Autobiografie.

Besprochen von Katharina Döbler

Damian Tabarovsky: Medizinische Autobiografie
Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg
Berenberg Verlag, Berlin 2010
96 Seiten, 19,00 Euro