"Projekte der Hoffnung"

Jakob von Uexküll im Gespräch mit Dieter Kassel |
René Ngongo aus dem Kongo, Alyn Ware aus Neuseeland und Catherine Hamlin, die sich in Äthiopien engagiert, erhalten den diesjährigen Alternativen Nobelpreis. Jakob von Uexküll hat ihn 1980 ins Leben gerufen, um "gegen die Mutlosigkeit" in der Welt anzugehen.
Dieter Kassel: Right Livelihood Awards, so heißen die Preise offiziell, die seit inzwischen 30 Jahren an Menschen vergeben werden, die sich für unsere Umwelt, für Frieden und für die Bekämpfung von Armut einsetzen. Vor allem in Deutschland sind diese Preise aber unter einem etwas eingängigeren Namen bekannt geworden, hier spricht man gerne vom Alternativen Nobelpreis. Heute Vormittag wurde bekannt gegeben, welche vier Männer und Frauen in diesem Jahr diesen Preis bekommen, und über diese vier, aber auch über die Geschichte des Alternativen Nobelpreises wollen wir jetzt mit dem Mann sprechen, der den Preis erfunden und durch den Verkauf seiner privaten Briefmarkensammlung im Jahr 1980 das erste Mal ermöglicht hat, Jakob von Uexküll. Schönen guten Tag, Herr von Uexküll!
Jakob von Uexküll: Ja, guten Tag!
Kassel: Lassen Sie uns keine Zeit verlieren und bei den vier Preisträgern anfangen, bei dem Mann, dessen Arbeit ich am spektakulärsten finde – was die anderen nicht entwerten soll: Es ist René Ngongo aus der Demokratischen Republik Kongo. Was macht er, warum hat er diesen Preis verdient?
von Uexküll: Er bekommt den Preis für seinen Mut, sich jenen Kräften entgegenzustellen, die die Regenwälder des Kongo zerstören, und für seine Bemühungen, politische Unterstützung für deren Bewahrung und nachhaltige Nutzung zu schaffen, so sagt es die Jury. Er informiert die Politiker, er hilft ihnen, er hilft den Bauern, er organisiert Programme, um Bäume zu pflanzen, er informiert die ausländischen Hilfsorganisationen, also ein sehr vielseitiger und mutiger Mann.
Kassel: Vielseitig und mutig, haben Sie gesagt, Herr von Uexküll, gerade das fiel mir auf, denn natürlich in einem Land wie dem Kongo wirklich Leute von der Notwendigkeit von Naturschutz zu überzeugen, ist nun wirklich schwierig. War das auch etwas, was die Jury beeindruckt hat?
von Uexküll: Ja, ich meine, viele sehen das ein, aber es gibt natürlich Kräfte, besonders aus dem Ausland, die möchten da gerne einen schnellen Profit machen und das war ... ob es nun im Zeitalter des Bürgerkrieges ist, wo es natürlich noch gefährlicher ist, oder jetzt zu Friedenszeiten, wo dann aber dafür mehr und mehr Firmen aus dem Ausland kommen. Sie wissen ja, die Ausbeutung der Naturreichtümer des Kongos geht ja seit Langem sehr schnell voran und die Menschen dort haben sehr wenig davon.
Kassel: Reden wir über eine Preisträgerin in diesem Jahr, die ebenfalls in Afrika lebt und arbeitet, Catherine Hamlin, sie arbeitet in Äthiopien und wird nun wiederum da für etwas ganz anderes ausgezeichnet. Was tut diese Frau?
von Uexküll: Genau, sie wird ausgezeichnet, weil sie sich seit 50 Jahren der Behandlung von Patientinnen mit Geburtsfisteln widmet und dabei die Gesundheit, Hoffnung und Würde von Tausenden ärmsten, afrikanischen Frauen wiederhergestellt hat.
Kassel: Das bedeutet konkret, weil ich natürlich als Mann das gelesen habe, und ich habe ehrlich gesagt, die Meldung nicht ganz verstanden. Was ist das Besondere an dieser Arbeit?
von Uexküll: Das Besondere daran ist, dass es eine Krankheit ist, die in Europa immer behandelt wird, aber dort werden die Frauen inkontinent oder sie verbluten, das heißt, es ist eine einfache Operation, die armen Frauen nicht zugänglich war, bevor sie kam. Und natürlich gibt es sehr viele Länder, wo diese Operation, wo diese Hilfe für Frauen noch immer nicht vorhanden ist.
Kassel: Machen wir weiter mit dem dritten Preisträger, das ist Alyn Ware aus Neuseeland, das heißt, damit verlassen wir nun die sogenannte sich entwickelnde Welt und kommen in die entwickelte. Wer ist nun dieser Mann und warum bekommt er den Preis?
von Uexküll: Alyn Ware wird ausgezeichnet für seinen Einsatz und seine internationalen Initiativen über zwei Jahrzehnte zur Stärkung der Friedenserziehung und zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt. Das ist ein Neuseeländer, der weltweit aktiv ist, von unten, wie man das so sagt, er organisiert also Friedensmärsche, Friedenserziehung aber vor allen Dingen, was uns beeindruckt, sind seine Aktivitäten bei der Vernetzung von Parlamentarien weltweit, wo es ihm wirklich gelungen ist, seit Jahren schon, ... Erst mal bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes, da war er sehr aktiv, da brauchte man eine UN-Resolution, dazu brauchte man die Unterstützung der ganzen Länder der Dritten Welt, der sogenannten Dritten Welt, das hat er an zentraler Stelle bewirkt. Aber jetzt arbeitet er hauptsächlich an der Schaffung einer atomwaffenfreien Welt, also ganz konkret, er arbeitet jetzt mit Parlamentarien in Japan und anderen südostasiatischen Ländern daran, dort eine atomwaffenfreie Zone zu schaffen und leitet also ein globales Parlamentarier-Netzwerk für nukleare Abrüstung von Neuseeland aus.
Kassel: Das ist in diesem Jahr – und das ist ja nicht unüblich bei den sogenannten Alternativen Nobelpreisen – eine Mischung von vier unterschiedlichen Menschen aus völlig unterschiedlichen Gegenden der Welt, die auch sehr Unterschiedliches tun. Man sollte vielleicht erklären, diese drei Preise, über die und über deren Preisträger wir gerade geredet haben, die sind dotiert, dafür gibt es Geld. Es gibt auch noch einen vierten Preis, den Ehrenpreis, so eine Art Preis für das Lebenswerk, und der geht in diesem Jahr an den Kanadier David Suzuki, der ist unter anderem Moderator einer Fernsehsendung, und das hat was damit zu tun. Warum kriegt man fürs Moderieren der Fernsehsendung auch einen Preis?
von Uexküll: Ja, Suzuki ist Wissenschaftler, er ist also jemand, der besonders die junge Generation in Kanada und in anderen Ländern aufmerksam macht auf die soziale Verantwortung der Wissenschaft, aber besonders auch aufklärt über die Gefahren des Klimawandels und andere ökologische Gefahren und was man zur Begrenzung und zur Bekämpfung dieser Bedrohungen tun muss. Er hat eine Fernsehsendung, er hat also Bücher geschrieben, hält Vorträge, aber hat eine Reihe von Initiativen geschaffen, auch seine Tochter war die Kinderbotschafterin in Rio, die dort eine sehr beaufmerksamte Rede hielt, als sie erst zwölf Jahre alt war, das ist also ... Suzuki ist einer der Vorreiter für die Stärkung des ökologischen Bewusstseins, wie gesagt, sehr, sehr bekannt in Kanada, aber auch in anderen angelsächsischen Ländern, in Deutschland noch nicht, im deutschsprachigen Raum noch nicht so sehr.
Kassel: Das wird sich vielleicht durch die Preise auch ändern.
von Uexküll: Das glauben wir auch, das meinen wir auch.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Begründer des sogenannten Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll. Die Preise in diesem Jahr an die vier Männer und Frauen, über die wir gerade gesprochen haben, werden am 4. Dezember in Stockholm verliehen und das ist dann, Herr von Uexküll, die insgesamt 30. Verleihung dieses Preises. Wenn Sie zurückblicken auf drei Jahrzehnte und auf die vielen, vielen Preisträger – hat der Preis die Welt verändert?
von Uexküll: Nun, der Preis schafft Hoffnung, das ist glaube ich das Wichtigste. Er unterstützt natürlich die Arbeit der Preisträger und die haben, wenn nicht gleich die Welt verändert, so doch in ihren Ländern zum Teil Erstaunliches bewirkt. Also, erstens gibt er ihnen natürlich Schutz und neue Arbeitsmöglichkeiten und neue Unterstützung, weil er sie bekannt macht, aber er hilft ihnen dadurch auch ganz praktisch, in einem Fall in Lateinamerika sogar, die geplante Rückkehr des Ex-Diktators zu verhindern, weil der Preisträger jetzt durch unseren Preis so bekannt war, dass er den nötigen Status dort bekommen hatte. Aber viele Menschen werden natürlich davon inspiriert, auch in ihren Ländern diese Arbeit dann weiterzuführen, einzuführen. Das sind ja nun exemplarische Projekte oft, Projekte der Hoffnung, werden sie oft genannt, und das ist ja nun die dritte, vielleicht also für viele die wichtigste Wirkung, dass sie zeigen, was einzelne Personen, was Initiativen ausrichten können, um dann also gegen die Mutlosigkeit anzugehen, die ja nun der schlimmste Feind ist, wenn man meint, das hilft alles nichts mehr. Wir zeigen hier tagtäglich, was getan werden kann.
Kassel: Machen wir es mal ganz praktisch: Wenn Sie einen Preis verleihen wie in diesem Jahr an René Ngongo aus dem Kongo, der dort gegen internationale, wirtschaftliche Interessen und auch gegen eine gewisse Ignoranz, die es bei Umweltschutz immer gibt, versucht, den Regenwald in Afrika zu retten – glauben Sie, dass ihm das jetzt in Zukunft leichter fallen wird als Träger dieses Preises?
von Uexküll: Nun, also, das ist die Erfahrung schon, sonst würde ich das ja auch nicht machen, wir würden ja auch die Spenden nicht bekommen, dass die Arbeit dadurch erleichtert wird. Wir hatten auch einen Fall, das war jetzt auch aus Südamerika, wo die Preisträger – das war eine Organisation, eine Bauernorganisation –, die sagten uns, ja, wenn wir ein Anliegen hatten und in die Hauptstadt fuhren und die wollten in irgendein Ministerium gehen, wir sind ja nun arme Bauern, wir kamen ja nicht mal am Pförtner vorbei. Aber nachdem wir diesen Preis bekommen hatten, dann stand der Minister selbst an der Tür, um uns zu empfangen.
Kassel: Sie wollten ursprünglich, als Sie damals dann am Ende diesen eigenen Preis, der nur umgangssprachlich immer als Alternativer Nobelpreis bezeichnet wird, gestiftet haben, da wollten Sie ja ursprünglich einfach zwei neue Nobelpreise stiften und ein Teil des offiziellen Preises werden. Das hat nicht funktioniert. Wenn Sie sich mal angucken: Hat Ihr Preis den offiziellen Nobelpreis in irgendeiner Form beeinflusst, vielleicht wenigstens den für Frieden, der vielleicht am ehesten noch so ein bisschen so eine Idee hat, wie Sie sie haben?
von Uexküll: Ja, ich meine, ganz konkret war das natürlich vor ein paar Jahren der Fall, als Wangari Maathai den Friedensnobelpreis bekam, genau 20 Jahre, nachdem sie unseren Preis bekommen hatte. Also, da sind schon einige interessante, positive Entwicklungen. Bei den wissenschaftlichen Preisen ist es wohl noch immer nicht sehr, merkt man nicht viel davon, die sind also für mich noch immer nicht in Alfred Nobels Sinne, dass sie diejenigen unterstützen, die der Menschheit, wie er schrieb, den größten Nutzen gebracht haben. Wenn man sich vorstellt, also, dass kein Solarenergieforscher bisher einen Physiknobelpreis bekommen hat, dann ist das natürlich schon etwas merkwürdig.
Kassel: Ja, das ist natürlich auch ein Thema. Ich habe mich vorhin fast nicht getraut, weil Sie zu Recht gesagt haben, dass Mutlosigkeit nun wirklich etwas sehr Negatives ist und dass man sich die nicht erlauben sollte, aber wenn wir uns angucken, wofür – gegen welche Kämpfe – der Alternative Nobelpreis seit fast 30 Jahren verliehen wird, es ist gegen Atomwaffen, gegen Naturzerstörung, gegen Armut natürlich – wir haben Naturzerstörung, wir haben Armut, wir haben auch immer noch Atomwaffen in dieser Welt, immer mehr Länder besitzen sie, der Klimawandel ist ein großes Thema, aber so richtig gestoppt wird er nicht. Sind Sie manchmal nicht trotz allem selber mutlos?
von Uexküll: Nein. Ich sage immer, ich bin Possibilist, ich bin weder Optimist, noch Pessimist, ich sehe die Möglichkeiten als Possibilist und es hängt von jedem von uns ab. Wie Sie wissen, dass es noch nicht fünf nach zwölf ist, also gehe ich davon aus, dass es fünf vor zwölf ist, und da sind natürlich die Preisträger und die Preiskandidaten und -kandidatinnen, das sind ja also nun jedes Jahr weit über 100, die sind natürlich ein großer Ansporn, denn die riskieren ja viel mehr als ich, als wir hier riskieren in unseren reichen Ländern. Und wenn die nicht aufgeben, dann sehe ich auch keinen Grund, aufzugeben. Und wissen Sie, wenn jetzt ein US-Präsident von einer atomwaffenfreien Welt spricht zum ersten Mal – es ändert sich schon eine ganze Menge. Ob das nun ausreicht und schnell genug sein wird, besonders beim Klimawandel, das wird sich erst noch zeigen. Aber die Hoffnung aufzugeben, dazu ist es noch zu früh.
Kassel: Ist denn Barack Obama, der den Friedensnobelpreis bekommt, auch ein Kandidat für den Alternativen Nobelpreis?
von Uexküll: Nun ja, der Preis war wohl auch etwas früh. Wir müssen nun sehen, was er nun erreicht, er hat ja in allen sehr viel Hoffnung geweckt, das muss man natürlich sagen. Wir haben eigentlich nicht amtierende Staatschefs ausgezeichnet, das war wohl auch ein Prinzip, wenn wir im schwedischen Parlament die Preise verleihen, die vertrauen uns eigentlich, dass wir das nicht tun. Und da hatten wir eigentlich nur zwei Mal Nominierungen für amtierende Staatschefs und die haben dann beide zum Glück auch nachher den Friedensnobelpreis bekommen, nicht, Gorbatschow und Präsident Arias von Costa Rica. Also, es gibt also genügend andere Kandidaten und wir sagen ja auch: Wir geben den Preis an solche, die ihn wirklich brauchen. Ich glaube, wenn jemand schon Präsident geworden ist, besonders in den USA, dann braucht der den eigentlich nicht mehr, dann hat er ganz andere Möglichkeiten.
Kassel: Obama hat eine gewisse Macht, das kann man unterstellen.
von Uexküll: Ja.
Kassel: Der Possibilist Jakob von Uexküll, Begründer der sogenannten Alternativen Nobelpreise, über die diesjährigen Preisträger, die, wie gesagt, ihre Preise am 4. Dezember, Termin hat sich noch geändert, in Stockholm bekommen, und über 30 Jahre Right Livelihood Awards. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr von Uexküll!
von Uexküll: Ja, vielen Dank!