Projekt Wasserwende

Klimaschutz aus dem Hahn

06:38 Minuten
Aufsicht auf ein Glas, in das sprudelnd Wasser eingelassen wird, sodass es bereits ins Becken überläuft.
Eine Erfrischung aus dem Wasserhahn: Das schont die Umwelt und hilft dabei, Müll zu vermeiden. © imago/Sven Simon
Von Josephine Schulz · 13.08.2019
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Seit den 70ern hat sich der Mineralwasserkonsum in Deutschland vervielfacht. Die Folge: Berge von Plastikmüll und eine hohe CO2-Bilanz. Völlig unnötig, sagt ein engagierter Umweltverein: Leitungswasser tut es genauso.
Projektwoche in der 8. Klasse an der Theodor-Heuss Schule in Berlin Moabit. Vor der Tafel sind fünf Stühle aufgereiht. In einer Art Talkshow sollen die Schüler über Wasser diskutieren. Einer spricht als Nestlé-Vorstand, ein anderer als Vertreter der Berliner Wasserbetriebe, wieder ein anderer als Umweltaktivist. Seit drei Tagen macht Anoosh Werner vom Verein a tip: tap – was auf deutsch so viel heißt wie "Ein Tipp: Leitungswasser" – mit den Schülern einen Workshop zum Thema Wasser. Sie zeigt auf die Tafel:
"Schaut mal, wie viel da schon steht, das ist richtig toll. Ihr wisst schon richtig viel über Wasser. Ihr seid richtige Wasserexperten. Ihr wisst einmal, dass Leitungswasser besser ist als Flaschenwasser, dass Plastikflaschen die Meere verschmutzen."

Wasserflaschen - ökologisch wenig sinnvoll

Die Mission der Initiative a tip:tap ist klar: Trinkwasser kommt in Deutschland aus dem Hahn, und genau das sollten die Menschen trinken. Denn Wasser aus Plastikflaschen hinterlässt einen weit größeren ökologischen Fußabdruck. Die Produktion der Flaschen, deren Entsorgung und Transport – all das produziert CO2 und verbraucht Ressourcen. Die Initiative will Flaschenwasser aus dem Alltag verdrängen. Bisher macht sie dafür in Berlin mobil, bald sollen weitere Städte folgen.
Warum sich die Aktivisten angesichts der massiven Plastikmüllproduktion in fast allen Lebensbereichen gerade die Wasserflaschen herausgesucht haben, erklärt Lena Ganssmann, eine der Mitgründerinnen von a tip:tap, so:
"Wir haben über Verzicht nachgedacht, und dann haben wir gedacht: Ja, dass man verzichten soll, ist irgendwie klar. Aber wo kann man denn was machen, wo man nicht verzichten muss? Und da ist uns dann das Leitungswasser eingefallen."

Mineralwasserkonsum hat sich mehr als verzehnfacht

Leitungswasser, das bestätigt die Stiftung Warentest, ist nicht schlechter als Flaschenwasser. Trotzdem steigt der Konsum von Mineralwasser seit Jahren. 1970 trank jeder Deutsche im Durchschnitt 12,5 Liter Flaschenwasser. Heute sind es im Jahr über 150 Liter. Und mehr als die Hälfte davon aus Plastik-Einwegflaschen.
Gründe für die Vorliebe für Flaschenwasser gibt es viele. Geschmack oder Angst vor Verunreinigungen im Leitungswasser – aber oft ist das Problem auch einfach, dass unterwegs der Durst kommt und gerade kein Wasserhahn in der Nähe ist.
Stefanie Zillner von a tip: tap sagt: "Die Trinkwasserversorgung im öffentlichen Raum ist natürlich das Thema für uns, wir versuchen den Bau von Trinkbrunnen zu initiieren. Wir arbeiten eng mit Refill zusammen, einer Initiative, die sich dafür einsetzt, dass man in Cafés, in Läden, überall in der Stadt reingehen kann und dann seine Flasche kostenlos mit Leitungswasser auffüllen kann."

Berlin baut Brunnen - wenn auch zaghaft

In puncto Trinkbrunnen ist der Berliner Senat tatsächlich aktiv geworden. Im vergangenen Jahr hat er eine Million Euro zur Verfügung gestellt und den Bau von 100 Brunnen beschlossen. Im Vergleich mit anderen Großstädten ist das allerdings mager. In Rom zum Beispiel gibt es um die 2500 Brunnen.
Freier Zugang zu Leitungswasser in der Öffentlichkeit, das ist auch ein Merkmal von sogenannten Wasserquartieren. Zwölf davon sollen in den kommenden zweieinhalb Jahren in Deutschland entstehen. Das Bundesumweltministerium hat dem Verein a tip:tap für das bundesweite Projekt Wasserwende 1,3 Millionen Euro aus den Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative zur Verfügung gestellt.
Chemnitz etwa soll ein solches Wasserquartier werden, Gelsenkirchen und das Campusviertel in Marburg. A tip:tap will dort mit den kommunalen Wasserversorgern zusammenarbeiten und Schulen, Unternehmen und Anwohner dafür gewinnen, komplett auf Leitungswasser umzusteigen.
"Eine Verhaltensänderung erwirkt man, indem viele Menschen sich ändern und das anderen Menschen erzählen, die da immer wieder mit konfrontiert werden. Und deshalb stehen wir ja auf jedem Stand im Mariannenkiez, weil wenn man zum dritten Mal mit dem gleichen Menschen drüber spricht, dass er doch mal auf Leitungswasser umsteigen soll, vielleicht klappt‘s dann ja beim dritten mal und tut er das auch", sagt Stefanie Zillner.

Strenge Qualitätskontrollen

Der Mariannenkiez in Berlin Kreuzberg ist das Beispiel für die zukünftigen Wasserquartiere. Seit 2017 ist die Initiative hier präsent und musste auch lernen: Die Liste an Vorurteilen gegenüber Leitungswasser ist lang.
"Das sind Themen wie ‚Hormone im Wasser‘,‘ Rückstände‘, ‚meine Leitungen sind nicht gut‘. Und das sind alles Probleme, das ist super, dass die zu uns kommen: Auf jedes dieser Probleme haben wir eine Antwort."
Immer mal wieder gibt es in einzelnen Gemeinden Warnungen über Verunreinigungen im Leitungswasser: Legionellen zum Beispiel, die krank machen können. Grundsätzlich wird das Leitungswasser in Deutschland aber sehr genau kontrolliert. Die Leitungswasserverordnung ist bei vielen Grenzwerten sogar strenger als die Mineralwasserverordnung, die für Flaschenwasser gilt.

Subversives Anti-Marketing

Bei der "Fridays for Future"-Demo muss sich a tip:tap nicht besonders anstrengen, die Leute von Leitungswasser zu überzeugen. A tip:tap dreht hier einen Werbefilm für Leitungswasser. Die Demonstrierenden halten ein Plakat in die Kamera, nehmen einen Schluck Wasser in den Mund und prusten ihn der Kamera entgegen.
Die Idee dahinter, erklärt Stephanie Zillner: "Wir wollen quasi die Flaschenwasser-Marketing Abteilung mit ihren eigenen Waffen schlagen." Denn die Werbung sei ein entscheidender Grund für die Vorbehalte gegenüber Leitungswasser: "So funktioniert die Psyche, wenn das eine Produkt als besser dargestellt wird, wirkt das andere automatisch schlechter."
Auch Lena Ganssmann ist überzeugt, dass Geschmacksvorlieben letztlich das Ergebnis erfolgreichen Marketings sind:
"Früher haben wir so Blindwassertests gemacht, und da war es echt lustig, weil da wirklich so, ich sag jetzt mal, militante Fans von irgendeiner Wassermarke kamen und gesagt haben: 'Ich schmecke das auf jeden Fall hundertprozentig, ich leg da meine Hand für ins Feuer'. Und lagen dann halt sehr oft voll daneben. Und die holen dann ihre Freunde, dass die gucken, dass wir da nicht schummeln. Und das sind schöne Momente."
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