Die Coming-out-Beraterin
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Ein Drittel der Sachsen lehnen gleichgeschlechtliche Beziehungen ab. Auf dem Land gibt es zudem kaum Beratungsangebote für queere Menschen. Im Projekt „Queer durch Sachsen“ unterstützen Beraterinnen wie Manuela Tillmanns.
"Jetzt habe ich gerade nochmal eine Rückfrage bekommen, ob es heute bei dem Termin bleibt",
sagt Manuela Tillmanns, 38 Jahre alt, kurz vor ihrem Beratungstermin in der Kleinstadt Grimma, ganz in der Nähe von Leipzig.
"Manchmal fragen die Personen nochmal nach, weil sie unsicher sind. Die Person, die ich gleich treffen werde, wohnt auch nicht in Grimma, sondern reist auch extra an, um sich nochmal abzusichern."
Wenn Tillmanns spricht, klirren ihre Ohrringe. Ihre dunklen Haare trägt sie wie eine Vokuhila-Frisur, vorne kurz, hinten lang. Die Haare über ihren Schläfen sind abrasiert. Sie berät Menschen, die Fragen meist zur eigenen sexuellen Orientierung haben oder ihrer Identität. Da es in ihrem ländlichen Umfeld keine Anlaufstelle gibt, kommt Tillmanns zu ihnen. Das sind Junge, Alte und auch Eltern, deren Kinder entdecken, dass sie nicht heterosexuell sind. Tillmanns ist im Landkreis Leipzig, Nord- und Mittelsachsen unterwegs.
"Ich glaube, dass viele Menschen im ländlichen Raum gar nicht geoutet sind sozusagen. Und es deswegen so den Anschein hat, als würden Menschen, die schwul, lesbisch, bi-, trans-, inter- oder queer sind, sich gar nicht da aufhalten."
Angst vor Diskriminierung, Ausschluss und Gewalt hielten die meisten von einem Outing ab. Und das bedeute für manche, dass sie sich nur sehr begrenzt mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen könnten. Dann leistet Manuela Tillmanns sozusagen erste Hilfe.
"Massiv in der Gleichstellungsarbeit zusammengestrichen"
"Also Transberatung ist ein großer Anteil in unserer Arbeit. Es sind aber auch sehr viele Beratungen zum Coming-out. Und zwar dann ein homosexuelles oder lesbisches Coming-out. Es kommen aber durchaus Menschen in die Beratung, die aufgrund ihrer Biografie davon ausgegangen sind, dass sie sagen, sie haben ein lesbisches Coming-out gehabt und dann hat sich das nochmal verändert. Und jetzt stünde ein trans-Coming-out bevor."
Die mobile Beratung gibt es erst seit zwei Jahren in Sachsen. Nachdem die schwarz-rote Regierung dank einer Analyse feststellen musste, dass es im Freistaat kaum Angebote für homo-, bi- und intersexuelle Menschen im ländlichen Raum gibt. Weiter bekennt sich die Staatsregierung in einem Landesaktionsplan von 2017 dazu, Toleranz zu fördern und Diskriminierung zu bekämpfen. Finanziert wird das Projekt mit sächsischen Landesmitteln. Mit Blick auf die Landtagswahl sorgt sich Manuela Tillmanns allerdings über ihre Zukunft als Beraterin:
"Je mehr Stimmen quasi die AfD zum Beispiel bekommt, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Finanzierung eingeschränkt oder eingestampft wird. Und es hat natürlich unmittelbare Auswirkung für unsere Zielgruppen."
Christian Roßner: "Also einen ersten Geschmack sieht man ja derzeit in Dresden, wo ja sich die Mehrheiten innerhalb des Stadtrates geändert haben,"
sagt Christian Roßner vom Verein Rosalinde unterstützt das Projekt "Queer durch Sachsen".
"Und da wurde ja schon ganz massiv in der Gleichstellungsarbeit zusammengestrichen, bzw. schon avisierte erhöhte Gelder für Projekte nicht durchgeführt."
Ein Drittel gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen
Manuela Tillmanns wartet inzwischen auf die S-Bahn, die sie von Leipzig nach Grimma bringt. Ein Grund für ihre mobile Beratung: Klienten können nicht in Erklärungsnot geraten.
"Zum Beispiel: Ein Familienvater, der ein trans-Outing hat oder darin begleitet werden möchte und die Familie weiß aber noch nicht Bescheid. Und das müsste alles gerechtfertigt werden: 'Sag mal, wo warst du denn eigentlich? Ich wusste gar nicht, wie ich dich erreichen soll' – oder so. Das sind Situationen, die gar nicht so selten vorkommen und das erschwert es natürlich. Und in den Fällen würden die Menschen vielleicht keine Beratung in Anspruch nehmen, haben aber durchaus Bedarf."
Grimma 13 Uhr 20. Gleich trifft Manuela Tillmanns ihre Klientin. Sie möchte über ihre Transgeschlechtlichkeit sprechen, erzählt die Beraterin. Aber erst einmal allein, ohne den Reporter. Nach einer Stunde sieht man sich wieder – überraschenderweise zu dritt.
Sexuelle Vielfalt ist ein sensibles Thema im Freistaat Sachsen. Wer sich outet, hat es nicht leicht, denn rund ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner lehnen gleichgeschlechtliche Beziehungen ab. Das ergab eine repräsentative Umfrage im vergangenen Sommer. Durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut dimap im Auftrag der sächsischen Staatsregierung.
"Ich bin trans Frau. Das heißt, ich will zur kompletten Frau werden. Ich bin momentan noch Mann."
Und doch fühlt sie sich schon länger als Frau. Franziska – diesen Namen gibt sie sich für dieses Interview. Sie möchte anonym bleiben. Ihre dunklen, schulterlangen Haare fallen ihr ins Gesicht. Franziska wirkt ruhig, aber keinesfalls scheu: Sie beantwortet die Fragen des Reporters offen und ohne lange nachzudenken. Franziska versteckt sich nicht. Sie erzählt, dass ihr die Beratung anfangs ziemlich schwer fiel:
"Natürlich war das erstmal für mich ein mulmiges Gefühl. Weil, ich bin eine Person, die viel online rumhängt. Und das war für mich auch ein Riesenschritt. Mit sozialen Kontakten außerhalb des Netzes …"
"Wünsche mir mehr Sensibilität von allen Menschen"
Die Beratung helfe ihr aber auch, weiter ihren Weg als Frau zu erkunden. Sie habe zum Beispiel Tipps bekommen, wo sie sich mit Menschen mit ähnlichen Erfahrungen austauschen kann. Diskriminiert wurde sie an ihrem Wohnort bisher nicht:
"Körperlich habe ich noch nicht die Erfahrung gemacht, dass ich angegriffen … oder et cetera. Das ging alles bei mir von der Psyche her. Und dann kam ich über meine Psychologin zu Rosalinde."
Tillmanns und Franziska treffen sich jetzt seit über einem Jahr, mehrmals im Monat. Und heute ist es das erste Mal, dass sie außerhalb ihres vertrauten Bekanntenkreises überhaupt mit jemandem über ihre Transgeschlechtlichkeit spricht.
"Und das ist jetzt auch ein Schritt für mich voran. Ich wünsche mir für die Personen mehr Sichtbarkeit. Und dementsprechend wünsche ich mir mehr Sensibilität von allen Menschen – in Hinblick auf: Nicht alle Personen sind heterosexuell oder klar männlich oder weiblich. Dass Leute, bevor sie Leuten quasi so eine Kategorie zuschreiben, vielleicht ein bisschen sensibler sind und andere mögliche Konzepte mal mitdenken."
Egal ob in der Familie, bei der Arbeit, in der Schule – oder in der Politik.
(abr)