Projekt „Plötzlich Wissen“

Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Kneipe

Das Projekt „Plötzlich Wissen“ unterwegs in Berlin Neukölln
Ein kleines Experiment am Biertisch: „Plötzlich Wissen“ unterwegs in Berlin. © Peter Kaiser
Von Peter Kaiser · 02.10.2018
Bürgern schwierige Wissenschaftsthemen vermitteln - das ist das Ziel des Projekts „Plötzlich Wissen“. Dazu gehen die Macher dahin, wo ihnen zugehört wird und sie mit Leuten ins Gespräch kommen: in Gaststätten oder Fußgängerzonen.
Inga: "Ihr seht so aus, als könntet ihr drei Gläser Wasser gebrauchen?"
Das polnische Paar, das eben noch plaudernd unter einem Baum im Biergarten saß, schaut jetzt interessiert zu Inga Marie Ramcke und André Lampe.
Inga: "Es sind nicht nur drei Gläser Wasser, es ist ein Experiment. Über Ozean und Meere. Und wir können an den drei Gläsern Wasser erklären, was ihr bis vor ein paar Sekunden nicht gewusst habt. Und ihr geht nach Hause und denkt, krass, was habe ich heute erlebt. Also zur Erklärung: Wir heißen ‚Plötzlich Wissen‘, und wir sind unterwegs, um mit Menschen über den Bereich Forschung im Bereich Meere und Ozeane zu sprechen.
Dann schüttet André Lampe etwas Rotkohlsaft in eines der drei mit Wasser gefüllten Gläser. Eines wird sofort etwas bläulich. André nimmt einen Strohhalm.
André: "Jetzt will ich mal anfangen, in dieses eine hier rein zu pusten. Und sagt mal Bescheid, ob ihr irgendetwas erkennen könnt?"

Entspannen und lernen

Das Projekt "Plötzlich Wissen" wurde 2016/2017 von der Mikrobiologin Julia Schnetzer zusammen mit der Dozentin und Puppenspielerin Inga Maria Ramcke und dem Physiker André Lampe gegründet. Ziel des Projektes ist, mit den Bürgern in einen Dialog zu Wissenschaftsthemen zu kommen. Und zwar direkt und dort, wo die Menschen sich entspannen: in einer Kneipe, einem Biergarten.
André: Wir haben gemerkt, wir müssen gar nicht so viel durch die Gegend laufen, wenn wir eine Handpuppenspielerin dabeihaben, und ein Schild, auf dem witzige Dinge stehen, da haben wir dann Sachen draufstehen wie: ‚Sambuca-Pupse, falsche Eier, wollen Sie mehr wissen?‘, da sind die Leute zu uns gekommen."
Inga, die Puppenspielerin, hält ihre Handpuppe, eine graue flauschige Gabelschwanzseekuh, hoch in der rechten Hand. Sie nennt sie Dugong, das ist der wissenschaftliche Name für die vom Aussterben bedrohten Seekühe. Jetzt schauen der Dugong und Inga zu Andrés drei Wassergläsern. Und das polnische Paar bringt sich ein.
Mann: "Da ändert sich die Farbe."
Frau: "Ja, ja."
André: "Ich habe jetzt hier reingepustet, und da hat sich die Farbe geändert. Und indem ich hier reingepustet habe, habe ich etwas mit dem Wasser gemacht. Ich habe nämlich CO2 im Wasser gelöst. Und dann entsteht Kohlensäure. Und wie der Name schon sagt, es ist sauer. Und wenn der pH-Wert abnimmt, dann wird Rotkohlsaft rot. Und wenn der pH-neutral ist, dann ist der so blau. Und das Tolle ist: Was das jetzt mit Meeren zu tun hat, ich habe nur einfach ein paar Mal in das Glas reingepustet, so bindet sich CO2 in den Meeren. Und das passiert im großen Stil in den Weltmeeren."

Wissenschaft zum Anfassen

Das Paar im Biergarten ist verblüfft.
"Würden Sie sagen, dass Sie etwas gelernt haben, was Sie vorher nicht wussten?"
Frau: "Natürlich. Ja. Vieles über die Wasserqualität in den Meeren, und ja …"
André: "Wir können ja alle möglichen Themen behandeln. Inga macht Sachen mit Tiermigration, Küstenschwanzseeschwalbe, Gabelschwanzseekühe, und was es nicht noch alles gibt an größeren Tieren. Dann die kleinen Bakterien von Julia, ich beschäftige mich auch schon mal mit Klima oder den Eigenschaften von Wasser, weil ich von Hause aus Physiker bin."
Dann geht es zum nächsten Tisch, eine Gruppe junger Erwachsener. Hier hält Inga ein geöffnetes Fläschchen mit einer Flüssigkeit darin den Gästen hin.
Inga: "Wer mag mal reinfassen? … Und? Wie ist es?"
Mann: "Es fühlt sich an, als wären das lauter kleine Kugeln, oder so."
Frau: "Oh, mein Gott. Das habe ich gar nicht erwartet."
Inga: "Ja, das ist ein Enthüllungseffekt. Also, wir gießen jetzt das Wasser raus, und dann seht ihr, in was ihr gerade gefasst habt."
André: "Das sind nichts anderes als Dekokugeln, wo man auch Blumen reinstellen kann."
Inga: "Wenn man die mit Wasser zusammentut, haben die den gleichen Brechungsindex, deswegen habt Ihr die nicht erkennen können. Das Gleiche passiert in den Meeren und Ozeanen, wenn man das Problem mit dem Plastikmüll hat."
Man sieht den Müll gar nicht, er ist aber da – und zwar viel zu viel davon .
"Plötzlich Wissen" bekam 2016/17 eine Anschubfinanzierung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Jetzt gibt es weitere Finanzierungsgespräche mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Robert Bosch Stiftung, der Stiftung Deutsches Meeresmuseum und anderen Institutionen.
"Wir begeistern Menschen zwischen 3 und 99 für sperrige Wissenschaftsthemen", sagen die Initiatoren und hoffen, dass das so weitergeht.
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