Projekt "Mein Grundeinkommen"

Wie schon 200 Leute die Utopie leben

Von Ina Hildebrandt · 20.08.2018
"Eher friert die Hölle zu, als dass Menschen bedingungslos für andere Geld spenden", war einer der ersten Internetkommentare zum Projekt "Mein-Grundeinkommen". Nun hat der Verein 200 Grundeinkommen für ein Jahr finanziert und will größer denken.
"Erstmal kann man das ja gar nicht glauben, dass das geklappt hat. Überwältigt, man hat sich gefreut. Bis dann das erste Geld auf dem Konto war und dann konnte man es erst so richtig glauben."
Als Kerstin Holtke auf ihren Bankeinzug im Juli schaute, standen dort plötzlich 1000 Euro. Einfach so – weil sie ausgelost wurde von der Initiative "Mein Grundeinkommen". Seit knapp vier Jahren verlost der gemeinnützige Verein über seine Online Plattform bedingungslose Grundeinkommen. Kerstin Holtke ist eine von mittlerweile 200 Gewinnern. Was die mit dem Geld tun, kann jeder selbst entscheiden:
"Mein großer Traum war es immer, einen Blumenladen zu haben. Das hatte ich dann auch beim Grundeinkommen eingetragen. Man muss da ja immer einen kleinen Wunsch äußern. Und den werden wir jetzt verwirklichen."
Ohne die zusätzlichen 1000 Euro pro Monat hätte die Niedersächsin das Risiko wohl nicht auf sich genommen.
"Man ist dann ja so ein wenig zurückhaltend, sage ich mal, etwas vorsichtig und man überlegt viel und jetzt, wo wir das Grundeinkommen haben, kann man das alles noch viel besser verwirklichen. Man kann sich noch eine Angestellte leisten und ist dann etwas beruhigter, sage ich mal."

Die Hölle ist nicht zugefroren

Finanziert wird das Ganze per Crowdfunding. Das heißt, auf der Plattform von "Mein Grundeinkommen" spenden derzeit freiwillig jeden Monat rund 70.000 Menschen, damit andere ein Grundeinkommen erhalten. Selbst etwas spenden, um sich zu bewerben, muss man nicht.
"Einer der ersten Internetkommentare war: 'Eher friert die Hölle zu, als dass Menschen bedingungslos Geld für andere spenden.' Und dann war es aber so, dass wir wirklich Monate lang mehr Geldgeber hatten, als Menschen, die das Grundeinkommen gewinnen wollten."
Michael Bohmeyer ist der Initiator von Mein-Grundeinkommen.de. Dank der anhaltend großen Resonanz können inzwischen rund zehn Grundeinkommen pro Monat verlost werden. Und auch das Team um Bohmeyer ist auf über 20 Mitstreiter angewachsen.
Der Berliner Michael Bohmeyer am 10.11.2015 in Berlin. Bohmeyer gründete eine Art Crowdfunding-Lotterie. Über seine Webseite verlost der 31-Jährige Grundeinkommen: 1000 Euro pro Monat, ein Jahr lang. 
Der Berliner Michael Bohmeyer gründete eine Art Crowdfunding-Lotterie. Über seine Webseite verlost er ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat für ein Jahr.© picture alliance / dpa / Foto: Violetta Kuhn
"Die Idee war nie, es so groß zu machen, aber ich habe persönlich Fragen an das Grundeinkommen. Ich glaube, wir brauchen dringend neue Lösungen für diese großen Probleme, die diese Gesellschaft hat: Digitalisierung, ökologische Krise, die Gesellschaft, die immer mehr gespalten wird, die Demokratiekrise. Für all das hat die Politik gerade keine Antworten und ich habe die Vermutung, dass es viel mit Ängsten zu tun hat. Und viel mit Existenzängsten. Das Grundeinkommen könnte da eine wahnsinnig gute Antwort drauf sein. Ich weiß es aber natürlich auch nicht, wie es wirkt, und deshalb möchte ich einfach meine Neugier befriedigen und deshalb sammele ich mit diesem Experiment zusammen mit dem Team Indizien, wie so ein Grundeinkommen wirken könnte, damit wir nicht noch 50 Jahre auf die Politik warten müssen."

Positives Denken durch Grundeinkommen

Teil dieses Freilandversuches ist auch Corinna Crusius. Die Sozialarbeiterin hat die zwölf Monate Grundeinkommen gerade hinter sich. Kürzer getreten im Job ist sie nicht, im Gegenteil: Sie machte eine Fortbildung zur Familientherapeutin und bekam neue Perspektiven.
"Ich arbeite ja stundenmäßig genauso viel wie vorher. Ich lebe in der gleichen Wohnung, die Familie hat sich nicht verändert. Die Fortbildung kam dazu und so ein Gefühl des positiven Denkens durch das Vertrauen und das Geschenk der anderen. Also, wenn man die Freiheit hat, sich zu entscheiden, dass dabei nur etwas Gutes rauskommen kann."
Jetzt – nach Ende ihrer Grundeinkommens-Zeit – will Corinna Crusius sich dieses positive, freie Denken erhalten. Auch ohne das zusätzliche Einkommen.
"Es hat nicht aufgehört. Ich habe auch gedacht, was ist, wenn es das Grundeinkommen nicht mehr gibt: Verändern sich dann auch wieder meine Gedanken? Das haben sie nicht getan. Und denke, es liegt auch daran, dass ich ein ganzes Jahr damit beschäftigt war zu überlegen, wie geht es mir, wie würde es anderen gehen, wie würde es sich gesellschaftlich auswirken und von der Haltung, die sich verstärkt hat, die ist dann nicht einfach weg, nur weil das Geld fehlt, weil ich das ja wirklich fühle und das meine Überzeugung trifft."

Künftig: Pilotprojekt mit Grundeinkommen für Gruppe

Erfolgsgeschichten wie diese finden sich zahlreich auf der Plattform von "Mein Grundeinkommen" und bestätigen die Arbeit des Vereins. Aber ein Grundeinkommen für alle? Statt für 200 künftig für 80 Millionen Menschen? Utopisch, nicht finanzierbar und überhaupt - wer arbeitet dann noch?
"Ich glaube, ein Grundeinkommen ist total praktikabel. Was wir mit unserer Arbeit leisten, ist einfach nur die Berührungsängste mit der Idee des Grundeinkommens abbauen. So ein Grundeinkommen klingt vielleicht utopisch, ist es aber eigentlich nicht. Gucken wir zum Beispiel unser Hartz4-System an, was ja das Gegenteil des Grundeinkommens ist. Es hat eine Bedürftigkeitsprüfung, es ist nicht für jeden, aber es sind eben mit Miete, Krankenversicherung und dem Geld, was man kriegt, auch knapp 1000 Euro. Aber es ist eben nicht bedingungslos, sondern wir leisten uns einen riesigen Staatsapparat, weil wir glauben, es gibt Leute, die, wenn sie nicht unter Druck stehen würden, nicht mehr arbeiten würden. Das lässt sich aber statistisch gar nicht beweisen und diese Sanktionen, die es da gibt, sind auch kontraproduktiv. Aber wir haben eben kein Vertrauen in die Menschen, sondern stattdessen gängeln wir sie. Und, wenn wir uns das einfach sparen würden, dann würden wir diesen Menschen Mut und Hoffnung zurückgeben. Und ja, vielleicht gebe es ein paar wenige, die dann nicht mehr arbeiten würden, aber das tun ehrlich gesagt einige auch heute schon und daran wird sich in keinem System was ändern."
Nicht ausruhen, sondern weiter experimentieren lautet die Devise von Michael Bohmeyer und seinem Team. Angespornt von den Entwicklungen der vergangenen vier Jahre möchten sie mit "Mein Grundeinkommen" nun den nächsten Schritt wagen. Bisher gab es keine wissenschaftliche Begleitung zur Frage, wie das Grundeinkommen das Leben der Menschen verändert hat. Das soll sich im nächsten Jahr ändern:
"Es haben mittlerweile vom Baby bis zur Rentnerin, vom Obdachlosen bis zum Beamten die verschiedensten Menschen gewonnen und da kommen immer wieder neue, spannende Geschichten dazu. Aber trotzdem ist jetzt langsam der Punkt, wo wir von diesen Einzelfall-Geschichten mal zu einer kollektiven Wirkungserforschung kommen müssen. Da gibt es eine ganz konkrete Idee: Wir wollen das erste zivilgesellschaftlich organisierte Pilotprojekt zum Grundeinkommen machen, wo wir nicht mehr Geld für ein Jahr verschenken, sondern ein dauerhaftes, echtes Grundeinkommen in eine Gruppe geben. Wahrscheinlich wird es eine Gruppe aus 100 Menschen mit Armen und Reichen, die sich gegenseitig über einen Zeitraum Grundeinkommen garantieren und dann finden wir heraus, was verändert sich: Bleiben die Armen arm, geht die Mittelschicht noch arbeiten, haben die Reichen weiterhin Lust beizutragen? Das wollen wir herausfinden und das soll dann auch wissenschaftlich begleitet werden, damit wir wieder neue Indizien kriegen, wie Grundeinkommen wirken würde."
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