Christo will übers Wasser gehen
Der alte Mann und der See: Sein jüngstes Projekt soll den 80-jährigen Christo nach Italien führen. Der Verhüllungskünstler will in der Nähe von Mailand auf dem Iseo-See knallgelbe Stege aus zusammengebundenen Kanistern bauen.
Klein ist er, fast schon beängstigend schlank, beinahe zerbrechlich wirkt er. Seine Ideen aber sind groß, stark und überwältigend. Jüngstes Beispiel – und das sagt er geradezu andächtig: Auf dem Wasser zu gehen.
"Walk on the water, basically."
Dieses Christus-artige Gefühl will Christo im Sommer auf dem Iseo-See schaffen. Etwa 100 Kilometer östlich von Mailand. Kanister werden zu einer Pontonbrücke verbunden und mit einer farbintensiven Kunstfaser überspannt. "Floating Piers", schwimmende Stege, so heißt das Projekt.
"Ein sehr engmaschiger Nylon-Stoff, ein tief gelber Farbton. Wie von einer Dahlie."
Dadurch, verspricht Christo mit leuchtenden Augen und Begeisterung in der Stimme, werde man das Wasser unter den Füßen geradezu spüren.
Spätestens jetzt hat man vergessen, dass Christo im Juni 80 Jahre alt geworden ist. Wie klein und zerbrechlich er noch bei der Begrüßung wirkte, in seinem fünfstöckigen Loftgebäude in New Yorks Stadtteil Soho.
Seine gelb-bespannten Schwimmbrücken werden das am Steilufer gelegene Küstenörtchen Sulzano mit den Inseln Monte Isola San Paolo verbinden. Auch wenn seine Frau bereits vor sechs Jahren verstorben ist, so wird auch dieses ein Projekt von Christo UND Jeanne-Claude. Immer mit der Frage: Was würde Jeanne-Claude dazu sagen? Niemand könne das ersetzen – ihre Art der kritischen Haltung, so sagt er.
Der Meister der Verhüllung. Der aus Natur Kunst macht und aus Kunst Natur. Der im Gasometer Oberhausen Luft verhüllt und in Berlin den Reichstag. Er hat noch so viele Pläne. Dazu gehören ein mit Stoff überdachter Flusslauf in Colorado und eine verhüllte Öl-Fass-Pyramide in Abu Dhabi. Fast immer braucht es mehr Geduld als für die schwimmenden Stege in Italien. Behörden, Anwohner, Umweltschutzinitiativen zu gewinnen – das braucht Zeit. Aber es gehe nicht um Geduld, es gehe um Leidenschaft. Sagt Christo. Sagt Jeanne-Claude.
Immer geht es nur um eines: sich – und das Publikum – neu zu erproben, Hindernisse zu überwinden, technisch Herausforderndes möglich zu machen.
"Alle unsere Projekte sind einmalige Bilder. Es wäre doch dumm jetzt nochmal Tore im Park aufzustellen, idiotisch geradezu. Oder ein anderes Parlament zu verhüllen. Blödsinn. Der ganze Prozess – das ist doch die Kreativität unserer Arbeit."
Seine drei aktuellen Projekte überspannen die ganze Welt – von den Vereinigten Arabischen Emiraten über Europa bis hin in Wahlheimat seit 1964: die USA. Christo fährt mit der Hand die Hutschnur entlang: Arbeit habe er bis hierher. Aber das sei ja auch gut zu. Denn das bedeute eine enorme Begeisterung, die ihn, nein, die sie beide, am Leben erhalte.