Projekt: 60 Jahre RIAS

Von Klaus Schütz |
Das erste Mal, als ich etwas mit dem RIAS zu tun bekam, da stand ich an der Ecke Uhlandstraße und Berliner Straße in Wilmersdorf. Wann das gewesen ist, weiß ich nicht mehr so genau. Aber es war sicherlich in der Zeit der Berliner Blockade. Aber worum es da ging, daran erinnere ich mich heute - fast 60 Jahre später - mit absoluter Klarheit.
An jener Straßenecke stand nämlich ein amerikanischer Jeep und um ihn herum viele Passanten. In dem Wagen saßen ein oder zwei junge Männer. Sie verlasen Nachrichten. Neues aus der Stadt. Neues aus der uns umgebenden sowjetischen Besatzungszone. Und Neues aus dem Ausland. Und sie sagten, sie seien vom Rundfunk im amerikanischen Sektor.

So wie mir ist es - wie ich weiß - vielen in West-Berlin in jenen Monaten ergangen. Wir hatten nämlich in der Stadt praktisch keinen freien Rundfunk zu unserer Verfügung. Es gab den Berliner Rundfunk. Der stand allerdings unter sowjetzonaler Führung, und mit seinem Programm wollten wir nichts zu tun haben.

Ich meine, wir hatten alle schon etwas über einen amerikanischen Sender gehört. Ihn selbst aber noch nicht. Und so wurde für viele Westberliner in jenen Tagen eine Verbindung geschaffen zum einzigen Sender der Freien Welt. Und dies mitten auf der Straße. Eine Verbindung, die sich dann sehr schnell zu einer Bindung entwickelte. Einer Bindung von ganz besonderem Charakter.

RIAS Berlin hat von West-Berlin aus eine bewundernswerte Leistung für die ganze Region erbracht. Als es darum ging, den Menschen in der sowjetischen Zone und dann in der DDR die Welt so darzustellen, wie sie wirklich ist. Durch ein umfassendes Vollprogramm, das über Jahrzehnte hinweg auf hohem Niveau informativ und unterhaltsam zugleich war.

Davon haben die Westberliner selbstredend auch profitiert. Denn es war ihre Stimme, die da in die Umgebung getragen wurde. Ganz gleich, was immer und wann immer gesendet wurde. Ob es ernste Musik war oder moderne Schlager. Ob kulturelle Ereignisse von hohem Glanz übertragen wurden oder wissenschaftliche Beiträge. Gar nicht zu sprechen vom Berliner Kabarett an seiner Spitze: die berühmten "Insulaner". Bis hin zu den Kinderprogrammen. Denn bei allen, die damals in Berlin Kind gewesen sind, bleibt unvergessen, dass "Onkel Tobias vom RIAS" da war.

So war RIAS Berlin bald eigentlich der Haussender bei den Berlinern geworden. Und er ist es bis zum Schluss geblieben. Übrigens: Auch deshalb, weil diese freie Stimme der Freien Welt immer unabhängig geblieben ist. Unabhängig der Berliner Politik gegenüber sowieso. Aber auch die Amerikaner haben den Mitarbeiterinnen und den Mitarbeitern des Senders jede nur mögliche Gestaltungsfreiheit gegeben. Das kann sich heute der eine oder der andere gar nicht vorstellen. Aber es war nun einmal so.

Tatsächlich war genau dies die Grundlage dessen, dass RIAS Berlin eine außergewöhnliche Vertrauensstellung gerade bei den Westberlinern hatte. Und das über Jahrzehnte hinweg.


Klaus Schütz wurde 1926 in Heidelberg geboren und wuchs in Berlin auf. Der SPD-Politiker war von 1967 bis 1977 Regierender Bürgermeister von Berlin. Anschließend ging Schütz als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland nach Israel. 1981 wurde er zum Intendanten der Deutschen Welle in Köln gewählt. Schütz ist Ehrenbürger von New York und Ehrendoktor der Universität Michigan und der Universität Haifa. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.