"Produktadel" in Rheinland-Pfalz
Mögen sie anderswo auch in die Bedeutungslosigkeit herabgesunken sein, in Rheinland-Pfalz gelten sie noch etwas, die Adligen - die "Produktadligen". 1931 machte ein Pfälzer Bursche den Vorschlag, doch das schönste Mädchen beim Weinlesefest in Neustadt zur Weinkönigin zu krönen. Inzwischen ist die 66. Pfälzer Weinkönigin im Amt: Silvia Benzinger, eine 26 Jahre alte Diplom-Weinbetriebswirtin aus Kirchheim an der Deutschen Weinstraße.
Weinadel ist nicht erblich, sondern will durch Fachwissen erworben sein: Die Königin wird von einer Fachjury gewählt. Müßiggang ist den Weinköniginnen fremd, ihr Terminkalender ist dicht gepackt mit Audienzen im In- und Ausland. Wie hat sich der "Produktadel" - die clevere Pfälzer Erfindung in Sachen Weinwerbung - über die Jahre gewandelt? Hat die heutige Pfälzer Weinkönigin etwas mit ihren Vorgängerinnen der vorigen Generationen gemein?
"Ja, einen wunderschönen guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren: ja. Rheinland Pfalz - das größte weinbautreibende Bundesland in Deutschland, es liegt im Südwesten (...). Wir haben insgesamt sechs Anbaugebiete (...) und von diesen sechs Anbaugebieten sind immerhin vier hier vertreten, nutzen Sie diese Gelegenheit und machen sich selbst ein Bild von der Vielfalt unserer Weine, wir haben für jeden Geschmack etwas dabei (...). Ich wünsche Ihnen damit ganz viel Spaß, genußreiche, erlebnisreiche Tage in Spandau auf dem Marktplatz und ich würde mich freuen, wenn sie nicht nur hier Rheinland-Pfalz genießen, sondern auch mal Rheinland-Pfalz besuchen (...)."
Forsch blickt die junge Frau mit den kurzen Haaren und der randlosen Brille über ihr Mikrofon hinweg ins Berliner Publikum. Über dem linken Arm trägt sie eine Jeansjacke, falls das kurzärmelige Paillettenshirt für den Abend doch zu dünn ist. Im Haar steckt ein silberner Reif. Ihre Majestät geben sich volksnah. Ihre Majestät, das ist Sylvia Benzinger, die Pfälzische Weinkönigin 2004/2005 - eine "Produktadelige". Jedes Jahr im Herbst wählen die 13 deutschen Weinanbaugebiete ihre königlichen Repräsentantinnen. Deren vornehmlichste Aufgabe ist es, bei Weinfesten, Messen und auf Auslandsreisen für den Wein zu werben.
Sylvia Benzinger: "Wein ist net nur ein Getränk oder ein Produkt. Wein ist irgendwo auch ein Lebensgefühl und vor allen Dingen eine Lebenseinstellung. (...) Und das ist der ganz klare Reiz und auch das Besondere an dem Amt der Weinkönigin. Es ist ein repräsentatives Amt - sozusagen Öffentlichkeitsarbeit. Dazu muss man vielleicht ein bisschen die Ader für haben, sich auch so in den Mittelpunkt stellen zu lassen. Mir persönlich macht das eigentlich nur sehr viel Spaß und ich kann, wie gesagt, für eines der tollsten Produkte werben, die es gibt."
Wein zu verkaufen, hat Sylvia Benzinger gelernt. Im elterlichen Betrieb in der kleinen Ortschaft Kirchheim ist sie fürs Marketing zuständig. Schon bei der Taufe soll der Großvater der Kleinen probehalber ein Teelöffelchen vom Pfälzer Rebensaft eingeflöst haben. Später studierte Sylvia Benzinger an der Fachhochschule Weinbetriebswirtschaft. Ihr Fachwissen braucht sie bei den rund 180 Terminen, die so eine Weinkönigin während ihrer Amtszeit zu bestreiten hat. Bis nach China führte eine ihrer Exkursionen. An diesem Spätsommerabend in Berlin-Spandau steht ein Rundgang über das Weinfest mit den örtlichen Honoratioren auf dem Programm. An jedem der vierzehn Weinstände wird ein Tropfen vom neuen Jahrgang probiert. Trinkfest müssen Weinköniginnen schon sein. Zum Auftakt gibt’s für alle einen Schluck Winzersekt aus der Riesenflasche:
"Bürgermeister: Ihre Majestät nicht bekleckern!
Passant: Was ist das für ein Winzersekt, frage ich die Weinkönigin mal?
Das ist ein Sekt aus Rheinhessen, soweit ich das weiß.
Ein Winzersekt, ne?
Der ist handgerüttelt, kommt original vom Winzer und ist aus Riesling gemacht.
Wir sind reine Rieslingtrinkerm deswegen passt das ja."
Auf dem Weg von einem Winzerstand zum anderen muss die Weinkönigin immer wieder Rede und Antwort stehen. Geduldig erklärt ihre Majestät dem interessierten Volk, dass Sekt neun Monate lang reifen muss. Und dass der Rotwein nur deshalb rot ist, weil er beim Gärungsprozess die Farbe der Traubenschale annimmt. Dazu allerdings muss er anders verarbeitet werden als Weißwein. Immer ist lockeres Parlieren angesagt, nicht trockenes Dozieren. Ein Spandauer will ein Autogramm von der Weinhoheit. Ein anderer ist enttäuscht, weil sie kein Dirndl trägt. Sylvia Benzinger ist zwiespältige Reaktionen auf ihr modernes Auftreten gewohnt:
"Gerade die ältere Generation, wenn man auf die trifft, die haben immer noch so diese Vorstellung von dem netten, hübschen Mädchen, das eben dann dasteht, nett lächelt und einen Trinkspruch aufsagt. Der einzige Trinkspruch, den ich kenne und gerne verwende ist "Zum Wohl, die Pfalz." Da hat sich wirklich ziemlich viel in diesem Amt getan, (...) man wird ganz klar auch intellektuell gefordert und für mich persönlich macht gerade das den Reiz aus."
Gustel Hauser: "Dann simmer raus auf die Bühne gerufen worden: Na, tun Se mol einen Trinkspruch sagen (lacht). Net? So. Dann habe ich gesagt: "So will ich dir die Treue geloben, die Treue dem goldenen König Wein, so will ich dir - und möchte dein immer – treue sein", net? So ungefähr, net?"
Trinksprüche waren noch gefragt, als Gustel Hauser, geborene Hauptmann, im zarten Alter von siebzehn Jahren in das Amt der Pfälzischen Weinkönigin gewählt wurde. Das war im Jahre 1937. Damals fungierte die Pfälzische zugleich als Deutsche Weinkönigin. Schließlich hatten die Pfälzer den Produktadel sechs Jahre zuvor erfunden. Klaus Jürgen Müller, ehemaliger Geschäftsführer der Weinwerbung für die Pfalz, kennt folgende Version vom Ursprungsmythos:
"Man kann net sagen, dass es‘ ne Schnapsidee oder Weinidee war, aber es ist so entstanden, wie man heute zu irgendwelchen Anlässen irgendwie (...) ein hübsches Mädchen oder eine hübsche junge Frau für ein bestimmtes Produkt dann sucht und das hat man halt hier in der Pfalz zum ersten Mal gemacht. Noch nicht mal hier im Weinbaugebiet, sondern es war in 'ner Stadt in Zweibrücken bei einer Herbstweinveranstaltung und da wurde das so halt durchgeführt, dass in dem Festzelt praktisch die Laune entstand, dass man aus dem Kreis der dort anwesenden jungen Damen eine Weinkönigin gewählt hat und das hat sich dann institutionalisiert."
Mitte der dreißiger Jahre verlief der Weinverkauf schleppend und man suchte händeringend nach einem Instrument, das den Absatz ankurbeln würde. Schönheit allein reichte aber dafür auch damals nicht aus, erinnert sich die heute fünfundachtzigjährige Gustel Hauser: Aus einer Winzerfamilie musste man stammen und sich vor allem mit dem Weinbau auskennen. Gustel Hausers "Ausbildung" bestand in ihrer täglichen Arbeit auf dem elterlichen Hof:
"Des war ja früher so, da ist man ja bei de Eltern hat man ja geschafft, net, mein Vater war schwer Kriegsbeschädigt, konnte auch net so alles mache, meine Mutter hat dann mit dem Fuhrwerk des alles gemacht und mir Mädchen haben dann die andere Arbeit so gemacht. / Wir waren Selbstvermarkter. Hauptsächlich Riesling und so de Wein, so den normalen Wein. (....) Der musste aber von Haardt nach Neustadt mit dem Schubkarren gefahren werden, mit dem Vieh, aber das ist immer zu umständlich gewesen, da ist immer die Brück drüber gegangen, da ist ein Zug drüber gegangen und da manche Viecher sind abgehauen, wie sie das gehört haben. Aber mei Mutter und meine Schwester, die sind immer mit dem Schubkarren bis an den Güterbahnhof gefahren und haben den Wein hin. War viel Arbeit, net?"
Idyllische Bilder aus der Vorkriegszeit täuschen darüber leicht hinweg. Gustel Hauser wälzt Zeitungsausschnitte und alte Fotos. Eines zeigt zwei junge Frauen bei der Weinlese: Ihre Haare sind sittsam mit Kopftüchern verhüllt, stolz präsentieren die beiden die reifen Trauben in ihren Kiepen.
Gustel Hauser: "Des ist meine Schwester und des bin ich (...) und das ist das Haardter Schloss. Da hat man ja net so Hosen angezogen, höchstens, wenn es kalt war so Trainingshosen. Aber sonst ist man ja net mit den Hosen rumgelaufen: "Deutsche Mädchen gehen mit dem Rock!" Mit dem Rock in die Weinberge, net? So ist das damals gewesen."
Eine Allegorie der "Schönheit der Arbeit" könnte man meinen - plakatives Werben für die Arbeit im Weinberg und, ganz beiläufig, für die Naziideologie. Ein anderes Foto zeigt Weinkönigin Gustel auf den Schultern zweier Soldaten mit Nazi-Abzeichen an den Mützen. Der Produktadel ließ sich politisch instrumentalisieren. Als Weinkönigin kam das junge Mädchen auch deshalb in Frage, weil es Mitglied einer Trachtengruppe war und sich beim "Reichsberufswettkampf" hervorgetan hatte – einem Wettbewerb, der von der 1933 gegründeten "Deutschen Arbeitsfront" ausgerichtet wurde. Dieser Nazi-Verband sollte Beruf und Freizeitverhalten der Bevölkerung unter seine Kontrolle bringen.
Gustel Hauser: "War 'ne kleine Prüfung. TAKE 16: Des war alles vom Reichsberufswettkampf. Da waren alle Berufe da, wo man sich denke kann, wo dort geprüft wurden. Und da war ich eine von den jüngsten, wo mitgemacht haben bei uns im Ort und da war ich auch die Gausiegerin. War auch schon was, da hat man schon gesagt: Ah, die ist Gausiegerin, in allen Zeitungen war das schon dringestanden."
1937 war ein herausragender Weinjahrgang - "Pfälzer Bomber" wurde er getauft – und Gustel Hauser verbrachte ein abwechslungreiches Jahr. Einladungen führten sie nach Kaiserslautern, Stuttgart und München. Der Höhepunkt war eine einwöchige Tour durch Frankreich – nicht lange, bevor Deutschland das Nachbarland besetzte. Ihrer Nachfolgerin konnte Gustel Hauser die Krone noch aufsetzen, bevor die Thronfolge während des 2. Weltkriegs ausgesetzt wurde. Erst 1947 gab es wieder eine Weinkönigin.
Klaus Jürgen Müller: "Man hat die Zeit vor 1940 sehr gerne verschwiegen, auch die Deutsche Weinstraße hat man nicht in den Vordergrund gestellt, weil sie ja auch von den Nazis gegründet wurde und gerade in dem Rahmen auch von den Jahren 35 bis 40, als man wirklich versuchte, etwas für den Absatz des Weines zu tun, hat man nicht nur die Deutsche Weinstraße ins Leben gerufen, sondern man hat auch die Weinkönigin in den Vordergrund gestellt und natürlich standen nach den damaligen Gesichtspunkten die öffentlichen Funktionäre die Repräsentanten, die Nazis dann immer mit an erster Stelle. Aber das hat sich nach dem Krieg doch gewandelt."
Maritta Müller-Kern: "Also, wir befinden uns jetzt hier in unserem alten Winzerhaus, es besteht aus ganz dickem Sandsteingemäuer, es wurde 1890 erbaut (...). Wenn wir um die Ecke schauen, sehen wir direkt die große Weinpresse, wir sind mitten in der Weinlese. Heute morgen haben wir einen Riesling abgeerntet und der läuft jetzt frisch von der Kelter ab."
Der Familienbetrieb von Maritta Müller-Kern liegt in Neustadt-Diedesfeld – direkt unterhalb des historischen Hambacher Schlosses. Eine Weinkönigin im "Unruhestand" – vor dreißig Jahren saß auch Maritta Müller-Kern auf dem Thron. Statt Jeans, Winzerhemd und wattierter Weste trug sie als junges Mädchen ein "Dienstdirndl" – darin unterschieden sich die Nachkriegshoheiten kaum von der Vorkriegsgeneration. Wohl aber durch ihre fundierte Berufsausbildung:
Maritta Müller-Kern: "Ich bin bei uns im Betrieb die Winzermeisterin. / Ich habe das gelernt. Der Winzerberuf ist ja ein Lehrberuf. Ich besuchte die (...) Weinbauschule, später Landeslehr- und Forschungsanstalt und habe dann 1979 meine Meisterprüfung in Bad Kreuznach abgelegt."
Bei der Weinköniginnenwahl von 1975 setzte sich Maritta Müller-Kern vor einer rund fünfzigköpfigen Fachjury gegen sieben Bewerberinnen durch – das Verfahren funktioniert heute ähnlich. Mit hundertzwanzig Terminen war die Teilzeitmonarchie bereits in den 70er Jahren ein regelrechter Jetsetterjob: Auf einer Werbereise brachte Maritta Kern die Schotten vom Whisky auf den Wein. Auf Weinfestivitäten traf sie mit Ronald Reagan, Willy Brandt und Helmut Schmidt zusammen – ganz abgesehen von einer weiteren folgenschweren Begegnung:
"Ich habe auch Fanpost bekommen. Es war sehr unterschiedlich, viele wollten natürlich ein Treffen organisieren (lacht). – Ich bin bei meinem jetzigen Mann gelandet (lacht)."
Der ist im Hauptberuf Schulleiter, packt aber auch im Betrieb mit an. Um wirtschaftlich dauerhaft zu überleben, entwickelt Maritta Kern ihr Geschäftskonzept ständig weiter. Der Rotwein reift inzwischen in Barriquefässern, der Weißwein in Edelstahltanks. Am Ort war ihr Betrieb der erste, erzählt die Winzerin stolz, der den Trend zur "Vinothek" aufnahm – eine Art Showroom für die hauseigenen Produkte. Vor acht Jahren haben die Müller-Kerns ihren Hof um Gästewohnungen erweitert. Familie Bischof aus Rostock hat hier ein paar Tage Urlaub gemacht:
"War sehr schön hier im Weinberg.
Gerade am Hambacher Schloss, war sehr romantisch hier zu schlafen.
OK, dann geht der Alltag wieder los für uns. Denn lassen wir uns zu Hause den Wein noch schmecken, wir haben hier noch ein bisschen eingekauft (....), dann kommt die Erinnerung wieder erneut hoch.
Tschüss!"
Ein zweites Standbein. Guter Wein will eben auch verkauft sein, das hat Maritta Müller-Kern als Weinkönigin gelernt.
"Meine Lieben Gäste, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für die neue Pfälzische Weinkönigin Katja Schweder!"
Anfang dieses Monats wechselte die Krone der Pfälzischen Weinkönigin wieder einmal das Haupt. Vor der Auswahlprüfung und der feierlichen Gala in Neustadt an der Weinstraße haben alle fünf Kandidatinnen Seminare der Pfälzer Weinwerbegesellschaft durchlaufen. Statt Mädchen vom Lande gehen heute professionelle Weinbotschafterinnen ins Rennen, erläutert Klaus Jürgen Müller, langjähriger Geschäftsführer der Weinwerbung:
"Das Wichtigste ist ja die ganze Vorbereitungszeit. Da werden die Weinköniginnen noch fachlich zusätzlich ein bisschen geschult, nicht nur bezüglich des Weinwissens, sondern auch wie man das Weinwissen vermittelt. Man kann viel wissen und das trotzdem nicht nach außen tragen und da werden so ein paar Schulungen gemacht. Auch, was Auftreten angeht, sogar das richtige Schminken, Kleiderberatung, das war früher alles nicht. Aber das wird heute auch gemacht."
Sylvia Benzinger, die letzte Pfälzische Weinkönigin, hat das alles längst verinnerlicht. Deshalb ist sie auch nur kurz ohne Krone geblieben und vor zwei Wochen zur Deutschen Weinkönigin aufgestiegen.
Sylvia Benzinger: "Man wird sehr viel souveräner in seinem Auftreten, man lernt natürlich auch (...) sehr viele Menschen kennen und Kontakte knüpfen – ist ja heute auch das A und O. Was ich gelernt habe indem Jahr, dass man den Leuten den Wein mit noch mehr Genuß, mit noch mehr Weinerlebnis nähre bringen kann und da will ich hier verschiedenes umsetzten, um dieses Weingenusserlebnis dann auch zu bieten. / Ich stelle mir das so vor, dass wir richtige Weinseminare (...) anbieten, wir haben einmal im Jahr einen Tag der offenen Tür oder eine Woche der offenen Tür, da würde ich gerne mal so einen "Aromatunnel" installieren, wo die Leute einfach mal die verschiedenen Weinaromen mal ganz konzentriert riechen können."
Auf derartige Innovationen wird der Leininger Hof, das Weingut der Benzingers, wohl jetzt noch ein weiteres Jahr warten müssen. Denn das Volk will schließlich beworben sein.
Frau: "Sie macht das doch wirklich gut. (...) Es gibt inzwischen auch Kartoffelköniginnen, warum soll es dann eben nicht die ganz klassische Weinkönigin geben. Finde ich 'ne prima Einrichtung."
Mann: "Ne Weinkönigin gehört einfach zum Brauchtum und ist ein äußeres Zeichen einer schönen Tradition des Weinbaus und, ja, sie ist eigentlich ein Symbol (...) für das Schöne im Wein und am Wein. "
"Ja, einen wunderschönen guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren: ja. Rheinland Pfalz - das größte weinbautreibende Bundesland in Deutschland, es liegt im Südwesten (...). Wir haben insgesamt sechs Anbaugebiete (...) und von diesen sechs Anbaugebieten sind immerhin vier hier vertreten, nutzen Sie diese Gelegenheit und machen sich selbst ein Bild von der Vielfalt unserer Weine, wir haben für jeden Geschmack etwas dabei (...). Ich wünsche Ihnen damit ganz viel Spaß, genußreiche, erlebnisreiche Tage in Spandau auf dem Marktplatz und ich würde mich freuen, wenn sie nicht nur hier Rheinland-Pfalz genießen, sondern auch mal Rheinland-Pfalz besuchen (...)."
Forsch blickt die junge Frau mit den kurzen Haaren und der randlosen Brille über ihr Mikrofon hinweg ins Berliner Publikum. Über dem linken Arm trägt sie eine Jeansjacke, falls das kurzärmelige Paillettenshirt für den Abend doch zu dünn ist. Im Haar steckt ein silberner Reif. Ihre Majestät geben sich volksnah. Ihre Majestät, das ist Sylvia Benzinger, die Pfälzische Weinkönigin 2004/2005 - eine "Produktadelige". Jedes Jahr im Herbst wählen die 13 deutschen Weinanbaugebiete ihre königlichen Repräsentantinnen. Deren vornehmlichste Aufgabe ist es, bei Weinfesten, Messen und auf Auslandsreisen für den Wein zu werben.
Sylvia Benzinger: "Wein ist net nur ein Getränk oder ein Produkt. Wein ist irgendwo auch ein Lebensgefühl und vor allen Dingen eine Lebenseinstellung. (...) Und das ist der ganz klare Reiz und auch das Besondere an dem Amt der Weinkönigin. Es ist ein repräsentatives Amt - sozusagen Öffentlichkeitsarbeit. Dazu muss man vielleicht ein bisschen die Ader für haben, sich auch so in den Mittelpunkt stellen zu lassen. Mir persönlich macht das eigentlich nur sehr viel Spaß und ich kann, wie gesagt, für eines der tollsten Produkte werben, die es gibt."
Wein zu verkaufen, hat Sylvia Benzinger gelernt. Im elterlichen Betrieb in der kleinen Ortschaft Kirchheim ist sie fürs Marketing zuständig. Schon bei der Taufe soll der Großvater der Kleinen probehalber ein Teelöffelchen vom Pfälzer Rebensaft eingeflöst haben. Später studierte Sylvia Benzinger an der Fachhochschule Weinbetriebswirtschaft. Ihr Fachwissen braucht sie bei den rund 180 Terminen, die so eine Weinkönigin während ihrer Amtszeit zu bestreiten hat. Bis nach China führte eine ihrer Exkursionen. An diesem Spätsommerabend in Berlin-Spandau steht ein Rundgang über das Weinfest mit den örtlichen Honoratioren auf dem Programm. An jedem der vierzehn Weinstände wird ein Tropfen vom neuen Jahrgang probiert. Trinkfest müssen Weinköniginnen schon sein. Zum Auftakt gibt’s für alle einen Schluck Winzersekt aus der Riesenflasche:
"Bürgermeister: Ihre Majestät nicht bekleckern!
Passant: Was ist das für ein Winzersekt, frage ich die Weinkönigin mal?
Das ist ein Sekt aus Rheinhessen, soweit ich das weiß.
Ein Winzersekt, ne?
Der ist handgerüttelt, kommt original vom Winzer und ist aus Riesling gemacht.
Wir sind reine Rieslingtrinkerm deswegen passt das ja."
Auf dem Weg von einem Winzerstand zum anderen muss die Weinkönigin immer wieder Rede und Antwort stehen. Geduldig erklärt ihre Majestät dem interessierten Volk, dass Sekt neun Monate lang reifen muss. Und dass der Rotwein nur deshalb rot ist, weil er beim Gärungsprozess die Farbe der Traubenschale annimmt. Dazu allerdings muss er anders verarbeitet werden als Weißwein. Immer ist lockeres Parlieren angesagt, nicht trockenes Dozieren. Ein Spandauer will ein Autogramm von der Weinhoheit. Ein anderer ist enttäuscht, weil sie kein Dirndl trägt. Sylvia Benzinger ist zwiespältige Reaktionen auf ihr modernes Auftreten gewohnt:
"Gerade die ältere Generation, wenn man auf die trifft, die haben immer noch so diese Vorstellung von dem netten, hübschen Mädchen, das eben dann dasteht, nett lächelt und einen Trinkspruch aufsagt. Der einzige Trinkspruch, den ich kenne und gerne verwende ist "Zum Wohl, die Pfalz." Da hat sich wirklich ziemlich viel in diesem Amt getan, (...) man wird ganz klar auch intellektuell gefordert und für mich persönlich macht gerade das den Reiz aus."
Gustel Hauser: "Dann simmer raus auf die Bühne gerufen worden: Na, tun Se mol einen Trinkspruch sagen (lacht). Net? So. Dann habe ich gesagt: "So will ich dir die Treue geloben, die Treue dem goldenen König Wein, so will ich dir - und möchte dein immer – treue sein", net? So ungefähr, net?"
Trinksprüche waren noch gefragt, als Gustel Hauser, geborene Hauptmann, im zarten Alter von siebzehn Jahren in das Amt der Pfälzischen Weinkönigin gewählt wurde. Das war im Jahre 1937. Damals fungierte die Pfälzische zugleich als Deutsche Weinkönigin. Schließlich hatten die Pfälzer den Produktadel sechs Jahre zuvor erfunden. Klaus Jürgen Müller, ehemaliger Geschäftsführer der Weinwerbung für die Pfalz, kennt folgende Version vom Ursprungsmythos:
"Man kann net sagen, dass es‘ ne Schnapsidee oder Weinidee war, aber es ist so entstanden, wie man heute zu irgendwelchen Anlässen irgendwie (...) ein hübsches Mädchen oder eine hübsche junge Frau für ein bestimmtes Produkt dann sucht und das hat man halt hier in der Pfalz zum ersten Mal gemacht. Noch nicht mal hier im Weinbaugebiet, sondern es war in 'ner Stadt in Zweibrücken bei einer Herbstweinveranstaltung und da wurde das so halt durchgeführt, dass in dem Festzelt praktisch die Laune entstand, dass man aus dem Kreis der dort anwesenden jungen Damen eine Weinkönigin gewählt hat und das hat sich dann institutionalisiert."
Mitte der dreißiger Jahre verlief der Weinverkauf schleppend und man suchte händeringend nach einem Instrument, das den Absatz ankurbeln würde. Schönheit allein reichte aber dafür auch damals nicht aus, erinnert sich die heute fünfundachtzigjährige Gustel Hauser: Aus einer Winzerfamilie musste man stammen und sich vor allem mit dem Weinbau auskennen. Gustel Hausers "Ausbildung" bestand in ihrer täglichen Arbeit auf dem elterlichen Hof:
"Des war ja früher so, da ist man ja bei de Eltern hat man ja geschafft, net, mein Vater war schwer Kriegsbeschädigt, konnte auch net so alles mache, meine Mutter hat dann mit dem Fuhrwerk des alles gemacht und mir Mädchen haben dann die andere Arbeit so gemacht. / Wir waren Selbstvermarkter. Hauptsächlich Riesling und so de Wein, so den normalen Wein. (....) Der musste aber von Haardt nach Neustadt mit dem Schubkarren gefahren werden, mit dem Vieh, aber das ist immer zu umständlich gewesen, da ist immer die Brück drüber gegangen, da ist ein Zug drüber gegangen und da manche Viecher sind abgehauen, wie sie das gehört haben. Aber mei Mutter und meine Schwester, die sind immer mit dem Schubkarren bis an den Güterbahnhof gefahren und haben den Wein hin. War viel Arbeit, net?"
Idyllische Bilder aus der Vorkriegszeit täuschen darüber leicht hinweg. Gustel Hauser wälzt Zeitungsausschnitte und alte Fotos. Eines zeigt zwei junge Frauen bei der Weinlese: Ihre Haare sind sittsam mit Kopftüchern verhüllt, stolz präsentieren die beiden die reifen Trauben in ihren Kiepen.
Gustel Hauser: "Des ist meine Schwester und des bin ich (...) und das ist das Haardter Schloss. Da hat man ja net so Hosen angezogen, höchstens, wenn es kalt war so Trainingshosen. Aber sonst ist man ja net mit den Hosen rumgelaufen: "Deutsche Mädchen gehen mit dem Rock!" Mit dem Rock in die Weinberge, net? So ist das damals gewesen."
Eine Allegorie der "Schönheit der Arbeit" könnte man meinen - plakatives Werben für die Arbeit im Weinberg und, ganz beiläufig, für die Naziideologie. Ein anderes Foto zeigt Weinkönigin Gustel auf den Schultern zweier Soldaten mit Nazi-Abzeichen an den Mützen. Der Produktadel ließ sich politisch instrumentalisieren. Als Weinkönigin kam das junge Mädchen auch deshalb in Frage, weil es Mitglied einer Trachtengruppe war und sich beim "Reichsberufswettkampf" hervorgetan hatte – einem Wettbewerb, der von der 1933 gegründeten "Deutschen Arbeitsfront" ausgerichtet wurde. Dieser Nazi-Verband sollte Beruf und Freizeitverhalten der Bevölkerung unter seine Kontrolle bringen.
Gustel Hauser: "War 'ne kleine Prüfung. TAKE 16: Des war alles vom Reichsberufswettkampf. Da waren alle Berufe da, wo man sich denke kann, wo dort geprüft wurden. Und da war ich eine von den jüngsten, wo mitgemacht haben bei uns im Ort und da war ich auch die Gausiegerin. War auch schon was, da hat man schon gesagt: Ah, die ist Gausiegerin, in allen Zeitungen war das schon dringestanden."
1937 war ein herausragender Weinjahrgang - "Pfälzer Bomber" wurde er getauft – und Gustel Hauser verbrachte ein abwechslungreiches Jahr. Einladungen führten sie nach Kaiserslautern, Stuttgart und München. Der Höhepunkt war eine einwöchige Tour durch Frankreich – nicht lange, bevor Deutschland das Nachbarland besetzte. Ihrer Nachfolgerin konnte Gustel Hauser die Krone noch aufsetzen, bevor die Thronfolge während des 2. Weltkriegs ausgesetzt wurde. Erst 1947 gab es wieder eine Weinkönigin.
Klaus Jürgen Müller: "Man hat die Zeit vor 1940 sehr gerne verschwiegen, auch die Deutsche Weinstraße hat man nicht in den Vordergrund gestellt, weil sie ja auch von den Nazis gegründet wurde und gerade in dem Rahmen auch von den Jahren 35 bis 40, als man wirklich versuchte, etwas für den Absatz des Weines zu tun, hat man nicht nur die Deutsche Weinstraße ins Leben gerufen, sondern man hat auch die Weinkönigin in den Vordergrund gestellt und natürlich standen nach den damaligen Gesichtspunkten die öffentlichen Funktionäre die Repräsentanten, die Nazis dann immer mit an erster Stelle. Aber das hat sich nach dem Krieg doch gewandelt."
Maritta Müller-Kern: "Also, wir befinden uns jetzt hier in unserem alten Winzerhaus, es besteht aus ganz dickem Sandsteingemäuer, es wurde 1890 erbaut (...). Wenn wir um die Ecke schauen, sehen wir direkt die große Weinpresse, wir sind mitten in der Weinlese. Heute morgen haben wir einen Riesling abgeerntet und der läuft jetzt frisch von der Kelter ab."
Der Familienbetrieb von Maritta Müller-Kern liegt in Neustadt-Diedesfeld – direkt unterhalb des historischen Hambacher Schlosses. Eine Weinkönigin im "Unruhestand" – vor dreißig Jahren saß auch Maritta Müller-Kern auf dem Thron. Statt Jeans, Winzerhemd und wattierter Weste trug sie als junges Mädchen ein "Dienstdirndl" – darin unterschieden sich die Nachkriegshoheiten kaum von der Vorkriegsgeneration. Wohl aber durch ihre fundierte Berufsausbildung:
Maritta Müller-Kern: "Ich bin bei uns im Betrieb die Winzermeisterin. / Ich habe das gelernt. Der Winzerberuf ist ja ein Lehrberuf. Ich besuchte die (...) Weinbauschule, später Landeslehr- und Forschungsanstalt und habe dann 1979 meine Meisterprüfung in Bad Kreuznach abgelegt."
Bei der Weinköniginnenwahl von 1975 setzte sich Maritta Müller-Kern vor einer rund fünfzigköpfigen Fachjury gegen sieben Bewerberinnen durch – das Verfahren funktioniert heute ähnlich. Mit hundertzwanzig Terminen war die Teilzeitmonarchie bereits in den 70er Jahren ein regelrechter Jetsetterjob: Auf einer Werbereise brachte Maritta Kern die Schotten vom Whisky auf den Wein. Auf Weinfestivitäten traf sie mit Ronald Reagan, Willy Brandt und Helmut Schmidt zusammen – ganz abgesehen von einer weiteren folgenschweren Begegnung:
"Ich habe auch Fanpost bekommen. Es war sehr unterschiedlich, viele wollten natürlich ein Treffen organisieren (lacht). – Ich bin bei meinem jetzigen Mann gelandet (lacht)."
Der ist im Hauptberuf Schulleiter, packt aber auch im Betrieb mit an. Um wirtschaftlich dauerhaft zu überleben, entwickelt Maritta Kern ihr Geschäftskonzept ständig weiter. Der Rotwein reift inzwischen in Barriquefässern, der Weißwein in Edelstahltanks. Am Ort war ihr Betrieb der erste, erzählt die Winzerin stolz, der den Trend zur "Vinothek" aufnahm – eine Art Showroom für die hauseigenen Produkte. Vor acht Jahren haben die Müller-Kerns ihren Hof um Gästewohnungen erweitert. Familie Bischof aus Rostock hat hier ein paar Tage Urlaub gemacht:
"War sehr schön hier im Weinberg.
Gerade am Hambacher Schloss, war sehr romantisch hier zu schlafen.
OK, dann geht der Alltag wieder los für uns. Denn lassen wir uns zu Hause den Wein noch schmecken, wir haben hier noch ein bisschen eingekauft (....), dann kommt die Erinnerung wieder erneut hoch.
Tschüss!"
Ein zweites Standbein. Guter Wein will eben auch verkauft sein, das hat Maritta Müller-Kern als Weinkönigin gelernt.
"Meine Lieben Gäste, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für die neue Pfälzische Weinkönigin Katja Schweder!"
Anfang dieses Monats wechselte die Krone der Pfälzischen Weinkönigin wieder einmal das Haupt. Vor der Auswahlprüfung und der feierlichen Gala in Neustadt an der Weinstraße haben alle fünf Kandidatinnen Seminare der Pfälzer Weinwerbegesellschaft durchlaufen. Statt Mädchen vom Lande gehen heute professionelle Weinbotschafterinnen ins Rennen, erläutert Klaus Jürgen Müller, langjähriger Geschäftsführer der Weinwerbung:
"Das Wichtigste ist ja die ganze Vorbereitungszeit. Da werden die Weinköniginnen noch fachlich zusätzlich ein bisschen geschult, nicht nur bezüglich des Weinwissens, sondern auch wie man das Weinwissen vermittelt. Man kann viel wissen und das trotzdem nicht nach außen tragen und da werden so ein paar Schulungen gemacht. Auch, was Auftreten angeht, sogar das richtige Schminken, Kleiderberatung, das war früher alles nicht. Aber das wird heute auch gemacht."
Sylvia Benzinger, die letzte Pfälzische Weinkönigin, hat das alles längst verinnerlicht. Deshalb ist sie auch nur kurz ohne Krone geblieben und vor zwei Wochen zur Deutschen Weinkönigin aufgestiegen.
Sylvia Benzinger: "Man wird sehr viel souveräner in seinem Auftreten, man lernt natürlich auch (...) sehr viele Menschen kennen und Kontakte knüpfen – ist ja heute auch das A und O. Was ich gelernt habe indem Jahr, dass man den Leuten den Wein mit noch mehr Genuß, mit noch mehr Weinerlebnis nähre bringen kann und da will ich hier verschiedenes umsetzten, um dieses Weingenusserlebnis dann auch zu bieten. / Ich stelle mir das so vor, dass wir richtige Weinseminare (...) anbieten, wir haben einmal im Jahr einen Tag der offenen Tür oder eine Woche der offenen Tür, da würde ich gerne mal so einen "Aromatunnel" installieren, wo die Leute einfach mal die verschiedenen Weinaromen mal ganz konzentriert riechen können."
Auf derartige Innovationen wird der Leininger Hof, das Weingut der Benzingers, wohl jetzt noch ein weiteres Jahr warten müssen. Denn das Volk will schließlich beworben sein.
Frau: "Sie macht das doch wirklich gut. (...) Es gibt inzwischen auch Kartoffelköniginnen, warum soll es dann eben nicht die ganz klassische Weinkönigin geben. Finde ich 'ne prima Einrichtung."
Mann: "Ne Weinkönigin gehört einfach zum Brauchtum und ist ein äußeres Zeichen einer schönen Tradition des Weinbaus und, ja, sie ist eigentlich ein Symbol (...) für das Schöne im Wein und am Wein. "