Pro und Contra

Punkte, Partizipien oder Sternchen: Soll man gendern?

06:34 Minuten
Illustration: Hände zeichnen.
"Ich gendere nicht", kommentiert Kirsten Lemke. Ein Plädoyer für das Gendern kommt von Helene Nikita Schreiner. © Imago / Science Photo Library / Gary Waters
Kommentare von Helene Nikita Schreiner und Kirsten Lemke · 05.02.2021
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Manchen wird so viel gendert, anderen zu wenig. Die Debatten darum werden teilweise emotional geführt. Ist Gendern in der Sprache sinnvoll? Ein Pro und ein Contra.

Ein Pro-Kommentar von Helene Nikita Schreiner

Können Sie das Wort "Spiegel-Ei" aussprechen? Oder verkommen die Silben beim Formen Ihrer Lippen zu einem stümperhaften "Spiegelei"?
Wenn Sie zu den 99,999 Prozent der Menschen gehören, die dieses Ei-Gericht richtig aussprechen können, dann: Glückwunsch! Sie haben den ersten Schritt zum Kleinen Gendern-Einmaleins erfolgreich gemeistert. Sie sind auf dem besten Weg dazu inklusiver und diskriminierungsfreier zu sprechen.
Denn ähnlich wie die Worttrennung beim Spiegelei funktioniert es auch mit Schüler*innen, Ärzt*innen, Verkäufer*innen und natürlich auch den Gender-Kritiker*innen. Gendern, das ist sehr, sehr einfach. Mit ein bisschen Übung, da packen Sie das!
Pusten Sie sich den Staub von den Schultern, klopfen Sie ihr muffiges Sakko ein bisschen ab, verlernen Sie den Satz "Das haben wir aber schon immer so gemacht!", machen eine kurze Mundwinkel-Dehn-Übung und probieren Sie es: mal mit langer, mal mit kurzer Lücke.
Sprache als wichtiges Kommunikationstool
Ganz ehrlich: Wer möchte eigentlich bewusst unsensibel und ausgrenzend sein? Unsere Sprache ist eines der wichtigsten Kommunikationstools, an ihr werden aber auch Machtstrukturen deutlich. Lange waren Frauen und nicht-binäre Menschen eben nicht mitgemeint. Wenn wir sprachlich das generische Maskulinum als Standard beibehalten, dann machen wir einen Großteil unserer Gesellschaft weiterhin unsichtbar. Und all das ist nichts Neues.Inzidenz, R-Wert, Aerosol: Wir haben im letzten Jahr so viele komplizierte Wörter in unseren Sprachschatz aufgenommen. Niemand hat gemuckst. Ich möchte, dass alle Teile unserer Gesellschaft sichtbar sind. Der Aufwand, um dazu einen Beitrag zu leisten, ist nun wirklich maximal gering: Ich mache eine kurze Pause. Wie beim Spiegelei.

Ein Contra-Kommentar von Kirsten Lemke

Ich gendere nicht. Wenn ich zum Beispiel von "unseren Hörern" spreche, dann meine ich Sie alle: Hörer, Hörerinnen und alle anderen. Sie sind für mich weder Hörende noch Hörer*Innen. Jetzt ist es mir doch einmal über die Lippen gekommen. Aber ich finde, es stört den Fluss. Beim Sprechen ebenso wie beim Lesen.
Natürlich bestimmt die Sprache das Bewusstsein. Das Wort "Professoren" lässt auch vor meinem geistigen Auge zuerst das Bild von alten weißen Männern erscheinen. Und Ärzte sind weiße Männer in weißen Kitteln. Aber wir wissen, dass diese Bilder längst nicht mehr stimmen. Wir können uns genauso gut eine bunt gemischte Gruppe von Menschen jeden Geschlechts, fast aller Altersklassen und jeglicher Herkunft vorstellen. Also sage ich "Professoren" oder "Ärzte" und meine alle, die diese Berufe ausüben.

"Bitte keine Sprachpolizei"

Um der Falle zu entkommen, nutzen viele die Partizipialform: Da werden Teilnehmer zu Teilnehmenden, Studenten zu Studierenden. Mich erinnert das immer an die großen Tafeln bei der DDR Reichsbahn mit der Anrede: "Werte Reisende!" Und was ist eigentlich mit Studierenden, die nicht am Schreibtisch, sondern in der Kneipe sitzen, sind sie dann Trinkende?
Ganz schlimm finde ich Wortneuschöpfungen wie "Gästin" oder "Mitgliederin". Nein, da bin ich echt sprachkonservativ. Aber was ich nicht möchte, ist eine Sprachpolizei. Die Sprache ist lebendig. Sie verändert sich durch uns alle, die wir sie benutzen. Das ist Sprachwandel. Deshalb sollen alle so sprechen, wie sie möchten. Aber dieses Recht nehme ich auch für mich in Anspruch.
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