Pro und Contra "Freedom Day"

Sollten die Corona-Regeln ein festes Enddatum haben?

05:19 Minuten
Junge Menschen feiern in einem Club. Sie tragen keine Masken und tanzen eng nebeneinander - so wie vor der Corona-Pandemie.
Feiern ohne Masken bei einer "Freedom Day"-Party in London. Sollte Deutschland auch einen solchen Tag festlegen? © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Alberto Pezzali
Von Michael Watzke und Bastian Brandau · 20.09.2021
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Das Ende der Pandemie lässt sich politisch nicht einfach beschließen - das Ende der Corona-Maßnahmen schon. Sollte es Ende Oktober einen "Freedom Day" geben, wie es der Kassenärztechef Andreas Gassen vorgeschlagen hat? Ein Pro und Contra.

Pro: Freiheit für die Kinder

Meine Kinder sind sieben, sechs und vier Jahre alt. Die Älteste kann sich noch schwach daran erinnern, wie es damals war, ohne Covid. Als man sich noch umarmen durfte und keine Masken tragen musste. Die Jüngste kennt gar kein Leben mehr ohne Corona. Neulich im Auto war vor uns eine Straße wegen einer Baustelle gesperrt. Wir kommen hier nicht durch, sagte ich. "Blödes Corona", sagte die Kleine.
Ich würde so gern einen "Freedom Day" mit ihr feiern. Einen Feiertag der Freiheit. Den Kindern sagen: Das habt ihr gut gemacht. Zum Dank habt ihr hier eure Freiheit zurück, euer altes Leben, an das ihr euch fast nicht mehr erinnern könnt.
Ihr habt ein Recht darauf. Ihr Kinder habt in dieser Pandemie mehr Solidarität bewiesen als irgendeine Generation seit dem Krieg. Ihr habt verzichtet, gelitten, damit wir Älteren leben und unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht.
Jetzt, mit wirksamen Impfstoffen in Hülle und Fülle, ist Corona nicht mehr die Plage des vergangenen Winters. Es ist, das belegen alle Daten, eine Pandemie der ungeimpften Erwachsenen geworden. Sie leben in Gefahr – und können diese Gefahr bannen, indem sie sich impfen lassen. Kinder und Jugendliche müssen vor Corona, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Angst haben. Warum sollen sie sich weiter einschränken, um die zu schützen, die sich einfach nicht impfen lassen wollen?
Ich habe gestern mit einer Freundin diskutiert, die Impfverweigerin ist. Ich habe drei Dinge aus der Diskussion mitgenommen. Erstens: Sie wird ihre Meinung nicht ändern, egal welche Argumente ich vorbringe. Zweitens: Sie ist nicht zur Impfung verpflichtet – aber sie muss die Konsequenzen selber tragen. Gesundheitlich, gesellschaftlich, finanziell. Sie hat kein Recht, den geimpften Teil der Bevölkerung in Geiselhaft zu nehmen. Und drittens: Wir bleiben trotzdem Freunde – mit unterschiedlichen Ansichten. Vielleicht feiern wir den Freedom Day sogar gemeinsam.
(Michael Watzke)

Contra: Dänemark sollte unser Vorbild sein

"Mission accomplished" – Mission erfüllt. Das stand am 1. Mai 2003 in riesigen Lettern auf einem Flugzeugträger, auf dem der damalige US-Präsident George W. Bush eine Rede zum Irak-Krieg hielt. 2011, also acht Jahre nach Bushs Rede zogen die internationalen Truppen aus dem Irak ab. Frieden herrscht dort bis heute nicht.
Ähnlich würde es laufen, wenn Deutschland zum 30. Oktober einen "Freedom Day" ausrufen würde. Das Ende aller Corona-Schutzmaßnahmen an einem vorher festgelegten Zeitpunkt. Nach dem Vorbild Englands, das im Juli einen solchen Freedom Day feierte. Dort sei das Gesundheitssystem nicht kollabiert, so tatsächlich die Argumentation von Bundesärztekammerchef Gassen.
Allerdings hält sich das Corona-Virus nicht an Stichtage, kommen weitere gefährliche Mutanten, gibt es keinen Impfstoff für Unter-12-Jährige und diejenigen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Und auch wenn sich die Situation wohlgemerkt zu Beginn des Sommers in England nicht so schlimm wie befürchtet entwickelt hat – Todeszahlen und die Durchseuchung befinden sich auf einem Niveau, das weit entfernt davon ist, unter Kontrolle zu sein.
Andere Mediziner und die Stiftung Patientenschutz haben die vorherige Festlegung eines Datums zum Ende aller Schutzmaßnahmen daher zu Recht als verantwortungslos oder zynisch bezeichnet. Zumal für Ende Oktober, wenn die kalte Jahreszeit beginnt. Besser als an England sollte sich Deutschland an Dänemark orientieren. Eine Impfquote von weit über 70 Prozent hat dort vorvergangene Woche dazu geführt, dass alle Schutzmaßnamen vorerst aufgehoben sind.
Das wäre auch in Deutschland möglich, wenn sich mehr Menschen impfen ließen. Es ist der einzige Weg, der zu mehr Freiheit für alle führt. Und nicht ein allen Regeln der Kunst des Populismus vorher festgelegter "Freedom Day". George W. Bush hat übrigens später gesagt, er habe seine Rede zur erfüllten Mission bereut.
(Bastian Brandau)
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